Herr der Fliegen – Rezension

„Herr der Fliegen“ von William Golding, für Theater adaptiert und aufgeführt vom Jugend-Ensemble des Gefängnistheaters »aufBruch«, in der Jugendstrafanstalt Berlin, in der Regie von Peter Atanassow, ist laut Programmheft der Versuch, Schuberts Winterreise von 1827, Goldings Herr der Fliegen von 1954 und unsere Situation heute in Verbindung zu bringen und stellt hier das achte  Modul des Winterreiseprojekts (HipHopOperFilmTheater) des aufBruch-Gefängnistheaters in der Projektleitung von Sybille Arndt dar.

Bühne(Holger Syrbe): Blaues Licht, ein Leierkasten, hinten hellgraue Leinwand, oben ein Chor. Er singt: Schuberts »Leiermann«. Ein Spieler an der Drehleier. »Wunderlicher Alter/ Soll ich mit dir geh’n?« / Fragt da der Mensch den lockenden Tod? / Will er ihm folgen? Auf der Leinwand unterhalb des Chores unscharfe Filmszenen:  Bombenabwürfe aus der Flugzeugperspektive. Sie fliegen in unterbrochenem Stakkato herab, wie ausgeschüttete Erbsen, nein, eher Bohnen, kleine Bohnen, die rieseln, als ließe eine Ziege einen Regen von Kotbröckchen ab, ohne Unterlass. Die Bomben taumeln auf ihrem Weg, überkugeln sich, sausen in freiem Fall, stürzen herab, suchen jede ihren eigenen Weg. Unten sieht man es klein und harmlos aufleuchten, hier und da. Die Kamera filmt aus dem Fenster eines Bombers.

Abgeworfen, abgestürzt, verloren

Die Bomben gehen in starken Seegang über, Wellen schlagen übereinander, Rauschen, Jugendliche stolpern ähnlich ungelenk auf die Bühne, wie die Bomben, die man eben auf der Leinwand gesehen hat, auch sie: Abgeworfen, abgestürzt, verloren…  Sie finden sich auf einer Insel zusammen, kein Erwachsener ist mit ihnen. Und nun beginnt ein soziales Experiment: Wie kommen die Jugendlichen klar ohne Erwachsene, ohne Struktur, ohne Anweisungen, was zu tun oder zu lassen ist?

Die Jäger bemägen, dass es keine Waffen gibt

Was man weiß: Es ist Krieg und für den Krieg sind sie erzogen worden. Nun gibt es auf der Insel keinen Krieg, auch keinen Feind, zumindest lässt er sich nicht blicken. Aber auch keinen Lehrer, keinen Erwachsenen, was sollen sie tun? Die Jugendlichen spalten sich schnell in zwei Gruppen auf, die Krieger und die Hüttenbauer, das erinnert an Jäger und Sammler. Doch die Krieger bemängeln, dass es keine Waffen gibt und kein Wild und es scheint sie im Wald auch zu gruseln. Die Hüttenbauer wollen Regeln finden und auch, dass jeder mal dran kommt mit Reden, dafür steht eine Muschel, die sie finden und die einer von ihnen trägt, ein Simon. Ihn hassen die Krieger als erstes, da er schwach und ein Geistesmensch ist, ihnen an Körperkraft unterlegen, ebenso wie den, der die Hütten bauen will und darauf achten, dass das Feuer nie ausgeht. Die Hüttenbauer finden, dass es die Jäger zu einfach haben und die Krieger wollen mehr Beachtung. So entwickelt sich ein uraltes Spiel um die Macht, bei dem sich zwei Anführer herausbilden, die im Laufe der Zeit an Macht verlieren, wieder gewinnen, dann beginnt das Töten.  Jack und Ralph heißen sie hier.

Jagt das Schwein

Ein Monster im Wald erfüllt eine Symbolfunktion, Jack: “Die haben Angst, das ist gut, gut für uns, schlecht für die… jagt das Schwein!“, die Krieger hängen den Kopf eines erlegten Wildschweins als selbstgewähltes Symbol des Todes auf einen Pfahl. Als sich das Monster als Leiche eines Fallschirmspringers in den Zweigen hängend, entpuppt, scheint die aus Angst geborene Schreckensherrschaft nicht mehr abwendbar.

Ich bin zu viel allein gewesen, ich bin zu wenig allein gewesen

“Das Spiel, was sehr viel „erzählt“, oft nur angedeutet wird, und Golding folgt, wird unterbrochen durch Tanz, Musik,  durch RAPs, die Biografisches einweben, Handke-Texte über die Entfremdung, die Verbindung von damals zu heute gelingt. Sätze hört man: “Ich bin schon mit der Erbsünde behaftet auf die Welt gekommen./ Ich habe immer im Mittelpunkt stehen wollen / „Ich bin zu viel allein gewesen“. Und auch: „Ich bin zu wenig allein gewesen“. Sätze, mit denen die Jugendlichen nach Erklärungen suchen, für das, was ihnen geschieht.

Angreifend ausweichen

Im Stück entwickelt sich ein Spiel von Angst und Gewalt, eine kränkende Handlung zieht die andere nach sich, Gesang: „lass es geschEH`N, weil du nicht blEIben kANNst/ Die alte Leier des Leierkastenmanns: Angreifend ausweichen. Ausweichend angreifen. … (Dem Angriff begegnen mit gleicher und (oder) andrer Bewegung.)  Heiner Müller. Jack wird zum Todfeind aller.

Die Autorität, die ihm früher Angst gemacht hat, die ist nun in ihm selber drin

Seine Person ist eine Falle für die anderen. Wie verblüffend schnell einer Macht über andere gewinnen kann um dann alle in den Abgrund zu ziehen. Jack ist klein, zierlich, ungeduldig, springt auf die Leute zu, bedroht sie, wird aus Kleinheitsgefühlen aggressiv. Die Autorität, die ihm früher Angst gemacht hat, die ist nun in ihm selber drin und bedroht andere und zieht sie mit. Der Krieg, für den sie ausgebildet wurden, den führen sie nun gegeneinander weiter. Logisch, folgerichtig, klar. Und wird doch gerügt von den Erwachsenen, die die Kinder später wiederfinden, sie als unbeherrscht und unmoralisch, unvernünftig verurteilen. Natürlich nur, weil sie auf Ihresgleichen losgingen. Hätten sie das mit dem „Feind“ gemacht, und schön ordnungsgemäß, nach Regeln, dann wäre es in Ordnung gewesen.

Etwas auszudrückn, was ihnen wichtig ist

Die Spieler und Sänger sind Laien, man merkt es kaum, sie scheinen etwas von sich selbst zu spielen, es ist zweifellos die Kunst von Regie und Mitarbeitern, etwas in den jungen Menschen zu treffen, dass sie begeistert, vorwärts treibt, ihnen Möglichkeiten eröffnet, etwas auszudrücken, was ihnen wichtig ist, dem Publikum auch über sich selbst zu erzählen. Großer Applaus.

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