Die Brücke von Vavarin Rezension
Die Brücke von Vavarin, Theater Senftenberg, Premiere: 2009
in ak 539 vom 15.5.09
Einst war ein Farbbeutel geflogen und ich hatte das nicht gut gefunden. Ich saß unmittelbar dahinter und gehörte zu den schärfsten Kriegsgegnerinnen. Ich hatte mich in den Delegiertenblock geschmuggelt, da ich dort eine Freundin entdeckt hatte. Später warf ich meinen Name in eine Kiste, wurde gezogen und da man mich nicht kannte, konnte ich auch eine Rede halten.
Wir setzten noch auf Überzeugung. Wir wussten von Ströbele, dass es knapp war, bei 500 Delegierten wollten wir 260 durch Argumente überzeugen. Während des Diskussion sahen wir, dass die Linien der Befürworter scharf gezogen waren, sie störten durch lauter Lachen und einander Zurufen unsere Beiträge und ich sah mit eigenen Augen ehemalige politische Freunde sich mit Papierkügelchen und anderen lustigen Dingen beschäftigen, während oben auf den Zuschauerrängen 5000 saßen und gegen die Kriegsentscheidung Transparente entrollten und brüllten. Die Stimmung war gegen den Krieg, also für uns und wir meinten, es müsse ein Leichtes sein, die 260 Menschen, die für eine Mehrheit nötig waren, zu überzeugen. Wir waren also allzu leichtgläubig und daher guten Mutes.
Da flog der Farbbeutel. Sicherheitskräfte zogen auf und Absperrungen wurden gezogen und das Präsidium entfernte sich. Ich merkte Enttäuschung in mir aufkommen, da die gegnerischen Reden nun nicht mehr ihre Adressaten erreichen konnten. Ich meinte wahrzunehmen, dass die Stimmung im Delegiertenblock, der nun durch Einkesselung und Umklammerung von schwarzen Männern verdächtig klein aussah, in Richtung „Zusammenhalten“ zu kippen drohte, und dass das keine Methoden der Überzeugung seien, sondern beinahe schon gewalttätige und das widerstrebte mir und ich hatte Befürchtung um die vorher schon so sicher geglaubte Mehrheit, die sich dann ja auch schließlich um ein weniges, 20-30 Stimmen, als zu knapp erwies, was maßgeblich den unverhohlenen rhetorischen Drohungen des großen Vorsitzenden und zahlreicher auf gerade Linie gebrachten Leuten zu verdanken war. Der Farbfleck hatte während der Rede die Bedeutung, eine Art Synonym für Gewalt abzugeben, die Fischer geschickt so einsetzte, als sei die Gewalt der Serben gemeint, die er, wies geplant und besprochen war, mit Auschwitz gleichsetzte.
Wenn wir heute, in Kenntnis der Lügen und Fälschungen den roten Farbfleck auf der Wange des Kriegsministers im Senftenberger Theaterstück „Die Brücke von Vavarin“ sehen, so wird uns bewusst, dass dieser Fleck ein höchst geschicktes und sehr vorausschauendes Mittel des friedlichen Protestes und der Gegenreaktion war, auch ein äußerst wirksames, denn nicht nur als Synonym für Verletzung, im Sinne der zukünftigen Opfer dieser Kriegsentscheidung gilt es uns fortan, sondern auch als Brandmal und einer gewissen symbolisch vollzogenen Rache. Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu, am Hals der rote Fleck, tot wäre, wen hier der Splitter getroffen hätte.
Für immer wird also dies in die Geschichte wegweisend und bedeutungsschwanger eingehen, aber doch hat es an dem Tag selbst ein wenig die Stimmung gekippt, das hatte mich sauer gemacht. Ich glaubte noch, wir könnten es verhindern durch Reden und Abstimmen, was doch längst beschlossene Sache war. Konzerne, spezialisiert auf Kriegsstimmung hatten es sich ausgedacht, Flüchtlingslager nannten sie um in Konzentrationslager und aus Stacheldraht heraus filmten sie, und gaben es als in den Stacheldraht hinein fotografiert an. Leichen sammelten sie zusammen und sprachen von Massakern und Massenexekutionen mit dem einen einzigen Ziel den Weg zum Öl frei zu bekommen.
Der einzige Nicht-Nato-Staat sollte destabilisiert und beseitigt werden, wenn nicht so, dann anders, so hatte man nun lange genug probiert, nun kam anders. Waffen mussten abgeworfen und Arsenale ausgetauscht, Proben aufs Exempel mussten statuiert und das Begriffsabsurdikum „Humanitäre Hilfe durch Waffengewalt“ wurde mit Hilfe des unlauteren Ausschwitzvergleichs geboren. Nebenbei ließ sich glänzend demonstrieren, dass nichts so genial ist, wie die ehemalige Friedenspartei als Hauptkriegstreiber zu nutzen, leichter fliegen einem nie die Befürworter zu und leichter kriegt man nie die Gegner mundtot gemacht.
Von den üblen Lügen und groben Fälschungen, die heute in Schulbüchern als Beispiel für mediale Manipulation zu finden sind, haben wir, die wir uns damals gegen den Krieg mit einem entschiedenen NEIN gewendet haben, noch nichts gewusst, doch immerhin geahnt und vorausgesehen, aus anderen, ähnlichen Erfahrungen, die wir deutlich aufzeigten. Unsere Argumente wurden von den Gehirngewaschenen beiseite gefegt. Ich sehe noch die Gesichter vor mir, die in den nächsten Tagen diesen Entschluss rechtfertigten, beste Freunde waren darunter, die Väter unserer Kinder, zahllose Gegner des von heute aus „ersten“ Golfkrieges des Jahres 1991, ein Heer von Kriegsbefürwortern erhob sich um uns herum und ließ uns hilflos und wütend in die Kissen beißen. Doch immerhin, nach der Abstimmung brüllte zunächst der ganze Saal. Die Delegierten mussten mit ihren Bauchschmerzen durch die Hinterausgänge abgeführt werden. Anwesende Jugoslaven weinten und beschworen uns, standzuhalten, den Krieg zu stoppen, wir waren gelähmt und unfähig, uns die Folgen wirklich vorzustellen. Von den Bauchschmerzen der Kriegsbefürworter war hinterher nie mehr die Rede.
Das Theater in Senftenberg hat daraus jetzt ein Stück gemacht. Dieses war so bedrückend und beeindruckend, dass die Zuschauer hinterher nicht mehr in der Lage waren zu klatschen, sie saßen da wie erschlagen und eine Grabesstille erhob sich über der letzten Szene. Einige versuchten etwas ähnliches, die Hände lösten sich nur schwer aus der Erstarrung, die den ganzen Körper ergriffen hatte, einige Klatscher ertönten und erstarben wieder, mir taten die Schauspieler leid, weil ich dachte, sie könnten das falsch verstehen, ich ging zu einer Mitarbeiterin, entschuldigte mich stammelnd, dass es kein Missfallen sei, dass einfach niemand hätte klatschen können. Tröstend sagte sie, dass die Schauspielenden das wüssten und es wirklich nichts mache, und dabei machte sie eine Geste mit dem Arm in meine Richtung, wie um mich zu beruhigen, denn ich war wohl ganz in Aufruhr, weil ich dachte, sie müssten gerade das doch erwarten, wegen ihrer wirklich ungeheuer guten Leistung, die wir nun nicht deutlich genug hätten würdigen können, doch das war wohl nur scheinbar, denn wir zeigten es eben gerade durch unsere Erstarrung, was hier mit uns geschehen war.
Wie konnte das gelingen?
Das Senftenberger Theater, erzählt mir ein Mann am Wegrand auf dem Weg zu meinem abgelegenen Wohnsitz im Nordosten der Republik, an dem ich am nächsten Mittag mit Fahrrad vorbeifahre, er schichtete gerade Baumstämme auf einen Hänger, das Senftenberger Theater war schon zu DDR-Zeiten immer etwas Besonderes. Dort haben sie immer etwas gegeben, was nirgends sonst gespielt wurde. Der Baumstämme transportierende Mann mit ergrautem Bart und ins Gesicht gezogener Mütze hatte mich, woher ich komme, gefragt, und so kam es, dass wir anlässlich des Holzes, das zum Heizen geladen wurde, über die Notwendigkeit kritischen Theaters debattierten, sowie deren immer schon vorhanden gewesenes kritisches Potenzial in der kleinen Stadt Senftenberg. .
Gleich neben Hoyerswerder befindet sich offenbar eine Fangemeinde aufklärerisch-mutigen Theaters, dass dem Mainstream der Republik trotzt und wagt etwas vor der Zeit jahrhundertelangen Vergessens und verordneten Vertuschens auf die Bühne zu bringen.
Der Regiesseur ist Sewan Latchinian, auch bekannt als Schauspieler am DT in Berlin, der Autor ein ausgestiegener Politiker, Hans Wallow. Die Lebensgeschichte der Sanja Milenkovic, die auf der Brücke von Vavarin starb, weil wir nicht die 260 Stimmen zusammen bekommen haben und die anderen Bauchschmerzen hatten, wird mit der Zeitgeschichte verwebt: Die Fernsahansprache von Gerhard Schröder am 24.3.99, die Rede von Fischer auf dem Kriegsparteitag in Bielefeld, die Aussagen zum Massaker von Rugovo, eine nichtveröffentlichte Anhörung des Verteidigungsausschusses, die Macht des Journalismus, anhand manipulativen Bildmaterials, Erklärung eines Insiders aus dem Bonner Regierungsapparat vom 7.4.99 und das Urteil vom 2.11.2006. Mit den Mitteln des Dokumentartheaters ähnlich wie in der Ermittlung wird hier allgemeine Zeitgeschichte mit persönlichen Einzelschicksalen verknüpft. Ohne Sentimentalität, ohne Kitsch, ohne Rührung oder Mitleid dabei hervorzulocken. Einfache Fakten reichen aus, um das Blut in den Adern gefrieren zu lassen. Wenn Sanjas Freundinnen, die noch eben wie auf Handy-Disko-Fotos alberten, erzählen, wie ihr der Kopf herabhing, als die zweite Explosion endgültig allem ein Ende machte, dann sieht frau alles vor sich, obgleich auf der Bühne nur Parlamentsbänke sichtbar vorhanden sind: Da die Brücke, da der Fluss, da die Verwundeten, da die Mütter, die ihre Kinder riefen, da diejenigen, die helfen wollten und auch getroffen wurden, da das Leichenschauhaus und die verstümmelten. Kein Bild war eindringlicher, als das, was wir uns selbst in unseren Köpfen ausmalen. Als dann der Richterspruch verfügt: Kein Schadenersatz, nicht Schuld der Deutschen Regierung und dann die Jahreszahl diesen Richterspruches genannt wird: 2006, wo immerhin schon Regierende selbst abgerückt waren, hohe Beamte, auf sicheren Posten, gekündigt hatten sie und waren gegangen, einer davon schrieb dieses Stück, Hans Wallow, nie hörte man je diesen Namen, aus der SPD aus und von allen Ämtern zurückgetreten, ein neues Leben angefangen nur wegen Vavarin, trotz dem allen und den Aufdeckungen der Lügen in den Schulbüchern, trotz alldem, der Richterspruch: Die Deutschen nicht schuldig, kein Schadenersatz an die Opfer, gefällt im Jahre 2006 – da war die Kraft von uns Zuschauenden aufgebraucht. Da lagen über uns nur noch Wut und Erstarrung aus den Erkenntnissen der Lüge. Der Lügen, zu der die Regierenden kalt lächelnd fähig sind und wie es also gelingen kann, die Menschen hinters Licht zu führen zu jeglichem Zweck und wie brüchig also alles ist und welche Gefahr droht. Weitere Hintergrundinfos.