Jeder stirbt für sich allein im Hans-Otto-Theater. – Rezension
Hans Fallada zu dramatisieren, seine Romane für das Theater oder Film zu adaptieren, ist eine dankbare Aufgabe, denn er hat seine Dialoge schon selbst geschrieben. Man muss nur die Beschreibungen und Erzählsequenzen in Bilder umsetzen, dann hat man das Stück schon. Er selbst sah alle Bücher als Filme vor seinem geistigen Auge, das ist überliefert.
Der Stoff „ Jeder stirbt für sich allein“ ist in besonderem Maße dafür geeignet, seine innere Struktur gibt schon die Aufteilung in Akte eines griechischen Dramas vor, Ausgangspunkt ist der Tod eines Sohnes, der im Krieg, den er nie wollte, fiel, aus der heraus sich alles weitere entwickelt: Eine Entwicklung der Eltern von biederen unpolitischen Duldern zu heimlich Widerstand Leistenden. Dann Hochgefühl, Absturz, Reifung durch Erkenntnisse und Tod durch Hinrichtung. Das Publikum wird zum Denken gebracht durch die Widersprüche, in die sich die Protagonisten verwickeln, was am Beispiel des Kommissars, „des Einzigen, den die Karten der Quangels überzeugt haben“, wie er kurz vor seinem Selbstmord konstatiert, deutlich wird.
Konzentriert und nüchtern
Das Hans-Otto-Theater gibt das Stück konzentriert und nüchtern, keine Videos, kein Blut, kein Schlamm, in dem sich wer wälzt, kein Feuer, keine Bomben, kein Hitlergebrüll. Nur ein sich je nach Bedarf langsam drehender breiter Klotz aus Holz, in dem Wohnungen übereinander Häuser skizzieren, in dem eine lange, graue Mauer Straße vorstellt, indem ein Zimmer Arbeit zeigt, dazu Treppenhäuser, fertig, alles andere bleibt der Fantasie des Zuschauers überlassen.
Sieht, wohin es in dieser Gesellschaft geht
Zu Beginn laufen und schlendern alle Mitwirkenden mehrfach durchs Bild, Straßenstimmung darstellend. Die Briefträgerin Kluge, mit der das Buch beginnt, führt auch hier ein, sie wird durch Nadine Nollau besetzt, die eine bestimmte Eigenschaft Fallada‘scher Frauen sehr schön zeigt, das Selbstbewusst-Kluge, gepaart mit einer starken Mütterlichkeit, was er in all seinen Lämmchenfiguren realisiert hat. Sie sieht, wohin es in der Gesellschaft geht und wandert aufs Land aus, wo man unabhängiger leben kann, wie sie sagt.
Sehr überzeugend
Das Ehepaar Quangel ist glänzend und sehr passend besetzt, Jon- Kaare Koppe ist zwar nicht so groß, wie man sich Quangel immer vorgestellt hat, aber seine starre Sturheit, seine subdepressive Stimmung, die Trauer nicht rauslässt, seine Körperhaltung, seine in einem langen Leben erworbene Klugheit des Menschenverstands, seine beredte Schweigsamkeit, all das bringt er ungeheuer gut. Auch Katja Zinsmeister, vielleicht etwas zu jung für diese Rolle, meistert ihre Aufgabe gut, sehr überzeugend ist sie besonders in dem schonungslosen Kampf, den sie zu Beginn mit ihrem Mann führt, ausgelöst durch den Satz: „ Du und dein Führer…“, der geschickt zu etwas hinweist, nämlich zur bereits vor Längerem erfolgten Bestechung zumindest der Arbeiteraristokratie, Quangel ist Werkmeister, durch die Versprechungen der Nazis.
Die Entwicklung seiner Figur unprätentiös gemeistert
Auch Komissar Escherich, eine Schlüsselfigur, wird durch Arne Lenk sehr gut gespielt, seine Anpassung an die Nazis, die sich die ganze Zeit über noch ein winziges Stückchen Eigenentscheidungsfreiheit bewahrt hatte, weicht mit einem Schlag, als er die Widerlichkeit seiner Oberen in Gänze erkannt hat, dazu die Größe Quangels, einer Stärke in Selbsterkenntnis, die folgerichtig nur noch einen Ausweg kennt, den Selbstmord. Diese Entwicklungen seiner Figur meistert er unprätentiös, fast unauffällig, sehr gut, dass er sie nicht so hochspielt.
Kein Schnickschnack eingebaut
Die Machart des Stückes ist modern, im Sinne von Brecht, Boal, Dario Fo, es wechseln die Spieler sukzessive ins Erzählende, treten wahlweise aus ihren Rollen heraus, distanzieren sich von ihrer Figur, wählen die personelle Erzählweise und schlüpfen danach wieder in ihre Rollen hinein. Das Ganze unauffällig, fast unbemerkt. Es gefällt mir, dass hier kein Schnickschnack eingebaut ist, also, das plötzlich zehn Quangels auftauchen, kein verwirrender Rollenwechsel eingebaut, keine Mehrfachbesetzung einer Figur. Das ist nicht nötig, der Stoff ist auch so spannend, man würde es nur zerfasern.
Es erinnert sehr an „Frucht und Elend des dritten Reiches“ von B.B., es wirkt exemplarisch. Bravo an die Regisseurin Annette Pullen und ihr Team. Eine gute Inszenierung, lohnt sich!