Hasek´s Heimkehr – im Theater 89 – Rezension

Der leidet an seiner Liebe/ der leidet an seiner Not/ der leidet an seiner Lust / der an seiner Macht/ Ich leide an meinem Mitansehen // Erich Fried

So gut habe ich Woyzeck noch nie verstanden, das ist das Gefühl, mit dem man aus dieser Premiere kommt. Sie trägt den Titel „Ha`s´eks Heimkehr“, gesprochen „Haschek“, vielleicht nach dem Verfasser der ersten Kurzgeschichte von Schweyk, einem Soldaten, der nach Aussage des Autors „ein echter Tölpel“ ist, dadurch aber auch ungestört wichtige Dinge sagen konnte?  Der junge Hasek in diesem Stück lebt heute und war kürzlich noch in einem Land des nahen Ostens auf „Friedensmission“, wie man unsere neuzeitlichen Ölkriege nennt, da man dafür sogar seinen Bundespräsidentenposten verlieren kann, wenn man ausspricht, dass sie wegen der westlich-verschwenderischen „Daseinsvorsorge“, also zur „Rohstoffsicherung“ geführt werden.

Er ist kriegstraumatisiert und dafür hat er eine Therapeutin. Die fragt ihn, ob er Schlafstörungen habe. „I wo“, sagt er, „ich schlafe nur nicht mehr, da habe ich keine Störungen!“  Er will seinen Job in einem Militärlager behalten, weil er Kind und Freundin ernähren muss, er will aber nicht zurück in den Krieg. In der ersten Szene wird er von seinem Vorgesetzten fertig gemacht, der ihm nachher die Freundin ausspannt, er selbst reagiert darauf geradezu provozierend devot, seine Unkonzentriertheit, sein halbes Weggetretensein, seine Verschrecktheit, seine Unfähigkeit, sich berühren zu lassen ohne mit Panik zu reagieren, all das lässt ihn festhalten an tausendfach eingeübten militärischen Ritualen, die er aber ungeheuer leer rüberbringt, was sie gleichzeitig entlarvt, natürlich ist ihm dies nicht bewusst.

Christian Natter, der nach einem Brasilienworkshop beschloss Schauspieler zu werden, und seither großes Talent bewies, spielt das großartig modern.  An einem sehr frühen Zeitpunkt kommt einem schon Woyzeck in den Sinn, noch dazu begreift man aber, wie die Leere, die wie Dummheit rüberkommt, durch das Nachgrübeln entsteht, was unablässig in ihm ist und sich im Kreise dreht. Wut wird dadurch bei seinen Vorgesetzten hervorgerufen und Überheblichkeit, niemals Mitleid. Da aber hier der Schwerpunkt auf der Kriegstraumatisierung liegt, es wird ausführlich geschildert wie anders er früher war, die Freundin schildert das genau und man kann es sehen an diesem Hasek, der die Hände ringt und lieber geht als kommt und immer arbeiten muss, um nicht fühlen zu brauchen, und nun sieht man genau, was in ihm ist, und wie sich das entwickelt hat und begreift, dass man dies beim Woyzeck nie vorher begriffen hatte, obgleich auch er aus einem Krieg kam, und so gehen einem diverse Lichter auf, wie also solche Beschädigungen  entstehen.

Die Therapeutin ist ein großartiger Witz und eine gelungene Karikatur ihres Berufsstandes, sie entlockt ihm aber doch, was er nicht erzählen wollte, nämlich, dass es dort unten üblich war, durch zusammenstehende Haufen Menschen zu fahren, weil man nicht bremsen mochte, aus Angst, es würden Bomben geworfen. So kommt es, dass sie dort, mit ihm nur zufällig im Auto, ein Kind überfahren, nachher muss er, da er als Autoschlosser eingesetzt ist, noch die kleinen Hände aus dem Motorblockrost entfernen, wo sie, abgerissen, sich verfangen hatten. Diese Szene enthüllt sich nur zögerlich, beinahe wie zufällig, wie von ungefähr und ist doch das, was ihn nicht loslässt Tag und Nacht, die dunklen Augen des Jungen, den er aus dem Autofenster vorher noch sah und die Gleichgültigkeit des MG-Schützen, der bei all dem ungerührt neben ihm saß, während er selbst, noch ungewohnt an Derartiges, „Stopp“ schreit und nachher weinend sich in das Dunkel des Autos hinein krümmt, derlei passierte dann noch „mehrmals“, da war er schon in seinem Nebel, registrierte nur noch die Geräusche, grauenvolle Geräusche.

„Nehmen Sie die Medikamente, dann kommt alles wieder in Ordnung“ tröstet die Therapeutin, während der Leutnant, den Nebenbuhler und Untergebenen Hasek, der sowieso nicht mehr für das hiesige Leben taugt, wieder zurückschicken will.    

Einen Satz merkt man sich noch lange. Hasek antwortet, als die Therapeutin fragt, ob er das nicht seiner Frau erzählt habe, dass das niemand hören dürfe, der ihn hinterher noch lieben soll.

Es kommt, wie es kommen soll, er wird immer verschreckter, kein Schlaf, dafür Halluzinationen, er weiß, dass er die  Berührungen seiner Freundin nicht mehr aushalten kann, aber er will sich doch nicht von ihr hintergangen wissen, da er „immer nur an sie gedacht hat dort draußen“, er will sie nicht verlieren, will sie nicht ihm, den er hasst, lassen, so zieht er das Messer wie Woyzeck.

Eric Henry Sanders hat ein modernes Woyzeck-Drama geschaffen. Kein Drama zum Thema „Kriegstraumatisierung“ und seiner psychiatrischen Behandlung, „es kommt alles wieder in Ordnung“, sondern ein Stück gegen den Krieg, gegen das Töten, gegen die Angst. Sehr gut gespielt, spannend und sehr konzentriert inszeniert, sparsames Bühnenbild, nur die Andeutung eines außen entlang gezogenen Gitterkäfigs, Symbol für die Nähe der Soldaten zu ihren Opfern. Dieses Antikriegsstück sollte man ebenfalls in den Schulen spielen, in denen die Bundeswehr wirbt, damit die Schüler schon mal sehen, was die Abenteuerversprechungen wert sind, die sie dort zu hören bekommen.