Atropa – Die Rache des Friedens – Rezension
jw / Feuilleton / 11.5.13
In Rostock wird zur Zeit im Theater am Stadthafen `Atropa – Die Rache des Friedens´ aufgeführt. Ein ganz besonderes und in seiner Sprachkraft gewaltiges Antikriegsstück.
Der belgische, überaus erfolgreiche Autor Tom Lanoye hat hier einen alten Stoff von Euripides und Aischylos derart in eine moderne Sprache übertragen, dass es einen nach der Aufführung auf den Stuhl drückt und noch lange festhält im Nachdenken des gelungenen Übertragungsvorgangs. Seine Sprachmacht ist von den derzeit modernen Autoren mE die größte.
Krieg ist Kindesmord
Krieg ist in dieser Parabel zunächst Hinmordung der eigenen Kinder, in diesem Fall der Tochter (Iphigenie) und beginnt als Opferung des Liebsten, was man hat, um genügend grausam werden zu können. („Denn nur was mich am tiefsten trifft – nur das – kann mich als Führer festigen“) Psychologisch sehr gekonnt ist dieses Opfern mit einer vorgetäuschten Heirat verbunden und wird schließlich von der Tochter als heroischer Akt empfunden, mit dem Ausziehen der Soldaten in den Krieg verglichen.(„Nicht alles Blut, was man vergießt, ist sinnlos und verloren“), und schließlich von ihr freiwillig, aus Liebe zu ihrem Vater und da sie glaubt, dass es für ihr Land notwendig sei, vollzogen. Der protestierenden Mutter wirft sie vorher noch entgegen: „Du hast mich nicht für dich allein geboren“
Bühne: Ein weißer Steg mit Grundgesetzartikeln
Der Regisseur in Rostock, Alexander Flache, lässt die Spieler allein auf einem weißen Steg spielen, der im Ganzen einem zugedeckten Schwimmbad ähnelt, auf dessen Rand die bundesrepublikanischen Grundgesetzartikel gerade noch eben zu lesen sind. Sie werden nun während der Aufführung vielfach mit Füßen getreten und schließlich zu einem Schlachtfeld der grausamsten Schlächtereien.
Gewaltexzesse: Sparsam und symbolhaft verfremdet
Die Gewalt wird hier reduziert und sparsam gestaltet, ist dafür um so wirkungsmächtiger. Zu Beginn des Krieges bücken sich die Spieler und holen wahllos Kleidung unter dem Bühnensteg hervor und werfen diese auf die Bühne. Später begreift man: Das ist das Einziehen der Soldaten, das Sammeln, auf einen Haufen werfen, Mobilmachung. Die Kampfhandlungen werden nun durch das Schlagen und Wenden der Kleidungsstücke symbolisch verdeutlicht. Die Kleidungsstücke sind alle auf der gewendeten Seite mit rotem Stoff ausgekleidet, so verwandeln diese sich unter den staunenden Augen des Publikums allein in der eigenen Vorstellungskraft in verletzte, verwundete, blutende Menschen.
Was bleibt uns außer der Gestank von Fäulnis und verwesung
Die Hilflosigkeit tritt als Kind in Erscheinung, das ein Holzspielzeugpferd auf die Bühne bringt. Am Ende des Krieges sieht man vier verschleierte Frauen schwarz gegen einen feuerroten Hintergrund stehen, dann Leichen (auf dem Haufen liegende Kleidungsstücke, überwiegend rot) zusammenkehren („was bleibt uns außer dem Gestank von Fäulnis und Verwesung? Krater klaffen auf, wo einstmals große Städte waren“) Die Zerstörung der Gebäude wird durch zerbröselnde Sägespäne symbolisiert.
Wir müssen sie als erstes schlagen
Kein Blutgeschmiere ist nötig, kein Wälzen in Matsch, weder Eiter noch Erbrochenes muss real auf die Bühne oder die Schauspieler, das Vernichtungsszenario wird durch die Sparsamkeit seiner Requisite viel deutlicher in die eigene Vorstellungswelt gebrannt. Was Krieg will, die Ausbeutung vervielfachen, den Luxus absichern, die eigene `Kultur´ über andere, angeblich Barbaren stellen, dafür werden großartige Worte gefunden. Dass sich am Ende alles zerstört, auch die eigenen Protagonisten, dass das der eigentliche Sinn jeden Krieges ist, wird sehr gut zum Ausdruck gebracht. Hier sind die Szenen der rächenden Klytämnestra sehr eindrucksvoll gegeben, weil nüchtern und nachvollziehbar, ohne jedes Pathos. Viele aktuelle Bezüge, Original-Kriegszitate aus dem Munde der neuzeitlichen Verteidiger der „schönen neuen Weltordnung“ bilden hochaktuelle Bezüge („Wir müssen sie als erstes schlagen, bevor sie die Gewalt auf unseren Boden tragen“) sind gut eingebaut, die Umsetzung des Stoffes in Rostock ist außerordentlich gelungen.
Spieltechnisch
Herausragend ist Sandra-Uma Schmitz als Klytämnestra. Auch Sonja Hilberger als Hekabe ist sehr authentisch, Björn-Ole Blunck als Agamemnon gestaltet seine Entwicklung vom Pflichtgefühl und der Prinzipientreue über die Machtüberhebung, dem Zerfall seiner Persönlichkeit bis schließlich zum blankem Sadismus, der aus seinen Taten wächst, sehr nachvollziehbar und doch auch sparsam, nicht zuviel davon, das kommt sehr gut. Manche der Spielerinnen sprechen leider streckenweise zu leise, was sehr schade ist. Fragen von Macht und Politik in einem von Ausbeutung und Selbstüberhebung geprägten System werden hier erfolgreich und mutig zur Diskussion frei gegeben.
Samstag, 11.5.13 im Theater am Stadthafen in Rostock um 20 Uhr.
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Zum Autor: Das belgische Allroundgenie Tom Lanoye ist in allen schriftlichen Genresparten begabt, er brachte es einst vom aufmüpfigen Kneipentourer, der in den siebziger Jahren satirisch vorm dritten Weltkrieg warnte, zum modernen und ungeheuer sprachmächtigen politisch Stellung nehmenden Theater- und Romanautor. Nach Fort Europa, Mamma Medea (frei nach Euripides), schrieb er ein Triptychon der Macht, worin nach Mefisto for ever (frei nach Klaus Mann), den Abschluss, das Stück Atropa. (‘Atropa. Die Rache des Friedens’) (frei nach Euripides, Aischylos, George Bush, Donald Rumsfeld und Curzio Malaparte) bildet.