Hamlet im Rostocker Sommertheater – Rezension
Ein wunderbar humoristischer »Hamlet«, frei von jeglichem Pathos, ist in diesem Sommer auf einer Freilichtbühne in Rostock zu sehen.
Die Ränge des kleinen Theaters der »Compagnie de Comédie« waren bei der Premiere am 26. Mai übervoll. Zu Beginn gehen Rosenkranz und Güldenstern (Eugen Krößner, Peer Roggendorf), zwei trottelige Büttel des Königs Claudius, durch die Zuschauerreihen langsam nach vorn und geben ein wunderbar typisches Beispiel für die Beschränktheit und Zwanghaftigkeit von Befehlsempfängern.
Nacheinander treten die jeweils Nächsthöheren auf, zuerst Chevalier (Roggendorf), eine Art königlicher Hofmeister. In Gala und weißer Spitzenbordüre spielt er den Unersetzbaren, wirft die gefärbt-auffällige Mähne eitel nach hinten, schwört das Publikum auf die Königsfamilie ein. Fähnchen werden ausgeteilt, Hochrufe eingeübt.
Unter sich hat Chevalier den Ohlsen, eine hinzugefügte, proletarische Figur. Eine Art Hausmeister fürs Grobe, und dabei ein witziger auktorialer Erzähler mit klugen Shakespeare-Sprüchen. Der Dialekt der Region Mecklenburg-Vorpommern verbindet die damalige mit der heutigen Zeit.
In Feindschaft, Gier, Macht- und Rachsucht
Auftritt der königlichen Familie, zunächst wie im Standbild, dann in Konflikten zerrissen, einzeln in Feindschaft, Gier, Macht- und Rachsucht miteinander verflochten und gegeneinander verschworen, sich belauernd, da die Idylle, wie so oft, auf Mord gebaut ist, der vertuscht werden muss. In diesem Falle ist der Vater des Prinzen noch nicht im Grab, da wird schon die Hochzeit seiner Mutter mit ihrem Schwager, Claudius, gefeiert, der nun König wird und damit die Thronfolge Hamlets verhindert.
Wahnsinn kindchenhaft, nie bedrohlich
Nachts erscheint Hamlet der Geist seines Vaters, der den Onkel als Mörder enthüllt. Hamlet schwört Rache und stellt sich wahnsinnig. In Rostock (Textfassung: Peter Kaempfe, Regie: Manfred Gorr) erscheint der Wahnsinn kindchenhaft, wie auch der Hamlet nie etwas bedrohlich Wahnsinniges hat, sondern nur etwas Naiv-Gewitztes. Der Wahnsinn soll ihm helfen, die Wahrheit herauszufinden, ein bestechender Gedanke.
Der Wahnsinn, der Methode hat
Was das kleine Ensemble wunderbar treffend zeigt, ist: Herrscher sind eitel, macht- und geldgierig, haben vom einfachen Volk keine Ahnung und verspielen Länder, Menschen, Millionen mit einem Federstrich. Ihre Kriege werden ausschließlich aus Habgier geführt, die sich ins Gewand der Eifersüchtelei, der mimosenhaften Empfindsamkeit, der albernsten Drohgebärde kleidet. Die Sucht nach Geld geht dabei über Familien- und Freundschaftsbande hinweg und ist doch nichts als hohl und dumm und albern, und darin allein liegt der wahre Wahnsinn, der Methode hat.
Es ist wie immer, das einfache Volk muss am Ende alles saubermachen, alles ausbaden
Sehr gut, dass die Morde nie theaterblutig gezeigt, sondern nur einmal, im Falle des Polonius, hinter einem Vorhang angedeutet werden. Und das Finale, in dem sich alle gegenseitig umbringen, wird gar nicht mehr gespielt, sondern nur erzählt von Ohlsen, dem Hausmeister, mit einem Besen in der Hand: »Soviel Dreck hier, soviel Blut …«, schimpft er, es ist, wie immer, das einfache Volk, das am Ende alles saubermachen und ausbaden muss, sagt er, und als dann der norwegische Herrscher im neuen Gewand auftritt und voller Selbstbewusstsein das Land übernimmt, wird dem Publikum klar: Wenn nichts Grundsätzliches geschieht, wird es so weitergehen, »in immer neuen Kriegen, mit immer neuen Herrschern«.
Fabelhaftes Theater
Vier Schauspieler teilen sich die Rollen, das Publikum liebt sie! Am Ende ist Ohlsen der einzige Überlebende, glänzend gespielt von Theaterurgestein Georg Haufler, mit Schnauzbart und Latzhose, den 80ern entstiegen, und seiner so wunderbaren nordisch breiten Stimmelodie. Die Königin wird von Christoph Gottschalch (auch Polonius) nicht manieriert gespielt, sondern natürlich, passend. Die satirische Kritik der Kleinen an den Großen sorgt für Lacher. Der jungenhafte Hamlet (Krößner) gibt sich dem kindlich-freien Spiel hin. Sein Wahnsinn wird leicht gegeben, originell, mit viel Situationskomik und List. Shakespeare-Bonmots werden geistreich eingestreut. Das Ganze wirkt kein bisschen altmodisch-verstaubt. Im Gegenteil, heutige Probleme werden sichtbar und nachvollziehbar gemacht. Fabelhaftes Theater, an dem bestimmt auch Shakespeare Spaß gehabt hätte.