Aufstand der Glückskekse – Rezension

jw/ Feuilleton/ 18.7.12

Als Jacques Offenbach seine Opera buffa »Ba-ta-clan« schuf, sollte das kleine Phantasie-China mit 27 Untertanen nur eine Art weit abgelegenes »Lummerland« sein, an dem Offenbach die Absurdität des Militarismus und eine, seinem eigenen Land entfremdete Herrschaftssucht deutlich machen wollte. Dieses Phantasie-China stand für das Kaiserreich Napoleons III. und seine Dekadenz. Nichts aber hatte es mit dem realen China zu tun.

Anders dieser Tage in der Neuköllner Oper. Im »Aufstand der Glückskekse« befindet man sich im echten China des Jahres 2030, nach dem endgültigen Zusammenbruch Europas, ausgezehrt durch zu viele Rettungsschirme. Zwei heimliche deutsche Gastarbeiter, Ma und Li, schuften am Fließband unter Aufsicht zweier Bösewichter, Hung und Ai, die im Schatten eines silbrig-höllenschlundartigen chinesischen Drachens mit Fließbandzunge stehen. Alle reden in Phantasie-Chinesisch (»Tsching-tschang-tschung, ling-ling«) und bewegen sich dazu, wie sich der kleine Fritz vorstellt, daß sich Asiaten bewegen, nämlich steif, zackig, hart, kalt. Sie schwingen Waffen und grinsen dazu falsch unter pechschwarzem Haar, bei einem noch mit Zopf.Die beiden Arbeiter proben den Aufstand, werden niedergeschlagen, sind bedrückt, klagen und entdecken das Unversteckbare: Sie sind gar keine Chinesen, sie sind deutsche Gastarbeiter in chinesischer Verkleidung, die alsbald beginnen, von Deutschland zu schwärmen. Dabei geht es ums Schuhplattlern, um die Alpen, um Bier und grüne Wiesen. Doch leider ist Deutschland verarmt, weil seinerzeit zu viel Geld an arme Länder verteilt worden sei. Nun sitzt man da, verarmte Landstriche, leere Häuser, Autobahnen, auf denen Ziegen gehütet werden

Opfer einer Identifikation mit dem Aggressor

Die Aufseher nennen sie »Butterstinker«. Alle Versuche des Widerstands werden immer wieder niedergerungen, bis schließlich die Chefin, Ai, sich kompromißbereit zeigt, und der sadistische Vorarbeiter Hung sich jetzt gegen alle drei wendet. Aber dann kommt heraus, daß auch er aus Deutschland kommt; die beiden Bösen waren also nur Opfer einer gigantischen Identifikation mit dem unsichtbar bleibenden chinesischen Aggressor. Es gelingt also, den kurzzeitig sentimental gewordenen Hung mit dem lange ersehnten Chefposten zu bestechen; die drei Deutschen fliehen in ihr gelobtes Land, und die Maschine der Glückskekse begräbt am Ende den Hung unter Kisten.

Das Nachahmen der chinesischen Sprache: Ressentiment und überheblichkeit

Beifall gibt’s genug. Das Nachahmen der chinesischen Sprache, der Gestik und Mimik hat hier nicht den Effekt wie in Offenbachs Satire aus dem Jahre 1855, wo es jeder auf den Kaiserhof beziehen konnte. In diesem Stück geht es um ein reales China, das als menschen- und staatenfressender frühkapitalistischer Drache gezeigt wird, in dem die armen geschundenen Deutschen unterdrückt werden. Und so verwandelt sich die ironische Kopie in Ressentiment und Überheblichkeit. Mehrmals kommt im Phantasie-Chinesisch »Aiweiwei« vor, und unter größtem Gelächter wird der Kalauer strapaziert, das »R« in den Wörtern durch ein »L« zu ersetzen.

Die Deutschen einfach zu menschenfreundlich

Auch der Weg in diese Utopie bleibt fragwürdig. Deutschland hat sich die europäische Vormachtstellung aus den Händen nehmen lassen. China hat mit dem starken Yuan alle Schulden übernommen, seither ist Deutschland chinesische Kolonie. Und warum? Die Deutschen waren einfach zu menschenfreundlich.  Leider bleibt unter diesen Bedingungen von der Militarismuskritik Jacques Offenbachs nicht viel übrig, ebensowenig von der Kapitalismuskritik der Glückskeksfabrikidee. Alles verschwindet unter der Lehre, die man mühelos zu ziehen genötigt wird, daß nämlich die armen Deutschen sich aus der drohenden Fremdherrschaft Chinas rechtzeitig befreien sollten. Am besten präventiv

»Aufstand der Glückskekse«. Neuköllner Oper Berlin. 19.–22., 26.–29. Juli und 2.–5., 8., 12. August, jeweils 20 Uhr

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