FaustIn and out im Münchner Cuvilliés – Theater – Theaterrezension
Nach der Aufführung von Jellineks „FaustIn and out“ im Münchner Cuvilliés Theater ist mir übel, beinahe zwei Stunden lang Menschen aushalten, die beide verrückt sind, dazu Vater und Tochter, Mann und Frau, Täter und Opfer, Vergewaltiger und Vergewaltigte, Unterdrücker und Sklavin, alles in einem, gemischt, vermischt, gleichzeitig geteilt, zerteilt, zersplittert, der Vater zuerst verrückt, die Tochter verrückt gemacht nachdem, durch das In-den-Keller-locken, durch den Betonstöpsel, wie Jellinek sagt, der haltbarer ist als die Stäbe und keinen Blick mehr auf keine Welt frei gibt, nicht mal eine gestreift-zerteilte, das alles ist nicht einfach.
Vorher sah ich im Nobeltheater im Residenzschloss zu München ein Publikum, was ebenso nobel, also großkotzig, also stinkend vor Reichtum, so also auch brav, angepasst, schlendernd, im Arm des gnädigen Herrn sozusagen ausgegangen war, ins Theater, auf Stöckelschuhen, von Parfümwolken umnebelt und dann das: Zu Besuch bei Fritzis im Keller, verfremdet dadurch, dass hier Goethe und seine Kindergeliebte, in zwei getrennten Fenstern, in eine dunkle altertümliche Mauer gestoßen, gezeigt werden. Goethe spielt Fritzi und ist gleichzeitig auch die „GeistIn“, spielt den ganz normalen „lieben Opa“ von Amstetten, der einen langen Monolog über die Eigenart älterer Frauen hält, ewig zum Arzt zu rennen. Er findet das blödsinnig, er geht lieber in den Keller, in den Keller mit Dir, Marsch. Er sagt zu seiner Tochter sehr gewitzt, (als die in die gefährlichen Jahre des Aufruhrs kommt, wo sie nun langsam mal auspacken will, was er ihr ab 11. Lebensjahr angetan hat), sagt zu ihr also: Hilf mir mal das Schwere da schleppen, nur kurz die Kellertreppe hinunter, und nun hat er sie da, und das ist praktischer als die Frau, die immer zum Arzt rennt.
24 Jahre soll es keiner mitbekommen haben?
In lakonischen Jellinek´schen Lang-Monologen, die spiralförmig an Geschwindigkeit, Intensität und Tiefe gewinnen, entfaltet sich das grauenvolle Geschehen zu einer exemplarischen gesellschaftlichen Problematik, nach dem Motto: Das Böse ist banal und alle schauen maulhaltend zu. 24 Jahre soll niemand etwas mitbekommen haben?, fragt sich Jellinek, 24 Jahre gelang es, die im Keller bestraft Hockende, lebenslänglich isoliert-inhaftierte Tochter nach außen hin als Rabenmutter hinzustellen, die sich einer Sekte angeschlossen hatte, die immer wieder Kinder verstieß? Und er als der großmütige Opa, der die armen Kinder aufzog, sie zur Schule schickte, ihnen ein lieber Opa war?
Langsamer Weg in die geistige Klarheit der Wahnsinnigen
Johan Simons hat sich mutig an das Stück von Elfriede Jellinek, „FaustIn“ gewagt, hat es anders inszeniert, als sie es angeraten hat, nicht im Fernsehen sehen sich Fritzl und seine Tochter den Faust an, auf einem Sofa sitzend, sondern sie sind gleich beides in Personalunion und spielen einzeln hinter Goetheschen Fenstern. Die Tochter ist hier das Gretchen und Birgit Minichmayr macht das gut, sie spielt ihre Figur puppenhaft-zerrissen, zunächst wie eine 11-jährige, noch erstarrt, dann immer älter werdend, lakonischer, immer stärker resigniert-spöttisch-verrückt werdend. Es vollzieht sich an ihr der langsame Weg in die geistige Klarheit der Wahnsinnigen, sie untermalt das mit choreografischen Elementen, ihr Körper verrenkt sich während der Monologe, die sie hält, das Bild einer Verkrüppelten entsteht, ein Bein hängt wie ausgerissen herab, oft sind ihre Bewegungen konvulsivisch-verkrümmt, ihr Gesicht ist Spott, Glätte, Undurchdringlichkeit, nie gibt sie so also den Widerstand ganz auf. Doch bleibt ihr Spiel Entwurf, es kann so gewesen sein, genau weiß man es nicht, da unvorstellbar ist, was da geschah. Das wird deutlich.
Damit ihre Schreie nicht nach oben dringen
Ebenso gut und eindringlich Oliver Nägeles Interpretation der Fritzi-GeistIn, alias Faust. Ein dicker, spießiger Mann im anderen Fenster, sein Frauenhass schwitzt ihm aus jeder Pore, Keller ist ihm Strafe von Kindheit an, die Tochter lockendes Teufelswerk, das er vor sich selbst wegsperren muss, damit er sie für sich allein behalten kann. Triebabfuhr ist ihm nur in Bestrafungsritualen möglich, sie als sein Spielzeug. Gut hat er vorgesorgt, damit ihre Schreie nicht nach oben dringen. Das Böse zu spielen ist immer riskant, da es die Gefahr der Plattheit birgt, Oliver Nägele spielt den lieben, süchtig bedürftig-strafenden Opa durchaus vielschichtig. Es wird deutlich, woher all das kommt, was da geschieht. Die Sprache Jellineks ist bildhaft-assoziativ, sie zieht einen schraubenförmig und man kann keinen Punkt finden. Eine mutige Entscheidung das in diesem Privattheater zu spielen. 30 Menschen fliehen, halten nicht aus, was auf der Bühne passiert, Stühle machen Lärm beim Hochklappen, die Gattinnen verlassen an den Armen ihrer Gatten den heiligen Raum, in dem Goethe entweiht wird.
Den Verstand kann man dabei nicht behalten
Sie sind vielleicht der Meinung, dass wenn ein Stück ohne Handlung, nur erzählend-episch aufgebaut ist, auf der Bühne trotzdem auch mal etwas passieren muss und nicht nur geredet werden darf. Doch was an Eintönigkeit und Angst haben die Opfer aushalten müssen? Das wird hier fühlbar gemacht. Unvorstellbar, den Verstand kann man dabei nicht behalten, das wäre zu schwer. So hilft einem der Magen mit Übelkeit. Wie viele solche Keller gibt es noch, in die immer noch oder schon wieder Kinder eingesperrt werden?
Jellinek zum Fritzl-Drama, „Im Verlassenen“ (2008): „Es darf nichts hinaus dringen, das ist das erste Gebot hier: Du sollst nicht merken. Es soll nichts herauskommen, es soll keiner herauskommen, wofür gibt es Stahl und Beton?“
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