Frauen als Marionetten

Dagmar DarkHöhepunkt dieses Jahres in Stralsund war der von der Frauenbeauftragten der Stadt, Elke Rohnefeld organisierte Auftritt der Pantomimen-Künstlerin Dagmar Dark. Von dem Moment an, wo sie auftrat, stockte einem der Atem und man kam erst wieder zur Ruhe, als sie die letzte Szene gespielt hatte. Mit ausdrucksstarken Bildern, die sie mit ihrem Körper, ihrem Gesicht, ihren Augen, Fingern, Händen, Armen und Beinen „malte“, zeigte sie an den Begriffen: „Marionette“, „Trennung“, „Isolation“ und „Brücke über dem Abgrund“, mit welchen Problemen Frauen mit Gewalterfahrungen kämpfen und wozu Pantomime fähig ist. Nie sah ich je eine so naturgetreue Nachahmung einer Frau als Marionette. Sie wirkt nicht mehr wie ein Mensch, sie ist nur noch Holz, steif, Puppe. Lebendes Beispiel für ein an Fäden von anderen hängendes Werkzeug. Es steigern sich die Marionettenbewegungen, bis sie endlich begreift, was mit ihr los ist, sie fährt wie in Trance die Fäden entlang und langsam, in einem schmerzhaften Befreiungsprozess, zerschneidet sie einen nach dem anderen, bis sie zu eigener Beweglichkeit kommt, von der Bühne herab springt und bei einigen im Publikum „überprüft“, ob sie auch an Fäden hängen.

Isolation und Flucht über eine Brücke

Sie spricht vorher von Isolation,  in einer Familie, im Gefängnis, im eigenen Innern. Zum Auftakt sieht man eine zusammengerollte Figur in Lumpen in einer Ecke liegen. Das Aufrichten geschieht mühsam. Die Hände fahren an imaginären Wänden entlang, man sieht diese vor sich, sie scheinen aus Glas, dass panzerdick ist. Der Raum ist klein, der die Figur umschließt. Sie schlägt mit der Faust gegen die Wände aus Glas. Sie zerspringen nicht. Die Figur träumt hinauszugehen, zu laufen, sich zu befreien, Blumen, die Sonne und Berge zu sehen. Doch es ist nur ein Traum, sie sinkt zurück, rollt sich ein, bleibt zusammengesunken in der Ecke ihre Zelle zurück. Im nächsten Bild flieht eine Frau vor ihren Verfolgern wie die Grusche im Kaukasischen Kreidekreis von Brecht über eine Hängebrücke, die über einen gefährlichen  Abgrund führt, die Verfolger jagen hinter ihr her, sie hangelt sich am Seil entlang, der Abgrund lauert, zieht sie  hinab, tost unter ihr ohne einen Laut, man sieht ihr Tasten und Halten und das Seil, was sich biegt und die Angst. Sie schwankt wie ein Halm im Wind, den Naturgewalten ausgeliefert, die sie endlich bezwingt. Im letzten Moment schafft sie den rettenden Sprung ans andere Ufer.

Trennung

Im Bild Trennung gelingt ihr das bisher Größte, mit durch schwarzes Tuch verdecktem Gesicht über einem langen roten Kleid, halten sich ihre bloßen Arme in einer unlösbaren Umklammerung.  Man sieht Hände, die ringen, sich festhalten, Trost geben. Sie wiegen, als hielten sie ein Baby, sie ziehen aneinander und hakelen, als versöhnten sie sich und flössen ineinander, ein ganzes Leben zeigen sie mit ihren Bewegungen und ihrem Ringen der Hilflosigkeit wie ein Flehen, man scheint mitzuziehen wie durch viele Jahre, immer wieder gibt es Hoffnung, Aufbäumen, Streit, Versöhnung, bis endlich das Erlösende, aber auch Entsetzliche vollzogen wird und die Hände sich für immer voneinander losreißen, die Arme reißen auch auseinander und hängen nun plötzlich rechts und links vom Körper in zwei völlig verschiedene Richtungen auf schwarzem Grund herab, als schwebten sie,  einsam und verlassen sind sie, aber doch auch befreit. 58 % aller Frauen sind im Laufe ihres Lebens sexueller Gewalt ausgeliefert, jedes 3. bis 4. Mädchen ist von sexuellem Missbrauch betroffen, Frauen tragen in der Mehrzahl der Fälle die Hauptlast der Kindererziehung und nehmen damit Bildungsabbrüche, Arbeitsplatznachteile, Renteneinbußen, soziale Entwertung sowie gesellschaftliche Benachteiligung in Kauf…. vielerlei Dinge, über die in dieser Woche oft die Rede war, aber nirgendwo wurde es  so eindrücklich wie von Dagmar Dark auf die Bühne gebracht. !

Lebenslauf Dagmar Dahn:

Dagmar Dark ist in der Kunststadt Dresden geboren und aufgewachsen. Diese Stadt mit ihren vielfältigen Angeboten hatte Einfluss auf ihre künstlerische Entwicklung. Von Kindesbeinen an besuchte sie die Tanzschule. Nach der Grundschule und der Lehrausbildung zur technischen Zeichnerin galt ihr besonderes Interesse der Schauspielerei und dem Chanson. Eine Sternstunde war das Gastspiel des weltbekannten Pantomimen Marcel Marceau. Zutiefst beeindruckt von den Möglichkeiten der Körpersprache beschloss Dagmar Dark PANTOMIMIN zu werden. 1968 erfolgte ein Engagement am Volkstheater Rostock als Pantomimin. Das erste professionelle Theater ohne Worte der DDR wurde gegründet. Nach dreijähriger Mitgliedschaft folgte sie einem Engagement an die Städtischen Bühnen Leipzig. Für die Ausbildung junger Talente hat sie sich kontinuierlich eingesetzt. Zwei Jahre später lehrte sie 16 Jahre lang das Fach Pantomime an der Hochschule für Schauspielkunst in Rostock. Seit 1976 produzierte sie zahlreiche Aufführungen, die sie solistisch und mit Partnern spielte. Nach 1990 erarbeitete sie neue Repertoires und wendete sich der klassischen Pantomime zu. Heute erarbeitet sie problemorientierte Bilder und Szenen, die sie in Schulen, zu politischen Performances und auch auf großen Bühnen aufführt. Sie arbeitet im TIK in Rostock.

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