Kleiner Mann, was tun? Rezension
Die Bühne ist schwarz, mit nach hinten abgeschrägtem Dach voller quadratisch angeordneter Glühlampen. Der Hauptdarsteller (Grian Duesberg) läuft, lange bevor das Stück beginnt, in braunem Anzug auf der Bühne herum. Hockt an der Seite, kommt wieder hoch, schaut auf die Uhr, schlägt die Hände vors Gesicht, wartet auf „Lämmchen“, da sie zum Frauenarzt verabredet sind. Die aktuellen Bezüge dieses Stückes aus der Weltwirtschaftskrise 1923 beginnen schon in der ersten Szene, beim Arzt wird als erstes über Geld gesprochen, Kasse oder Privat. Pinneberg leistet sich „privat“. Sie erfahren, dass ein Kind unterwegs ist.
Die Familie von „Lämmchen“ begegnet dem „Angestellten“ mit Misstrauen, Vater und Bruder sind in zwei sich gegenseitig beschimpfenden linken Arbeiterparteien: „Sozialfaschist! – Panzerkreuzerheld!“, sind sich aber, bezüglich des Angestellten und seiner sozialverräterischen Klassenlage einig, versuchen ihm sie auszureden: Lämmchen sei hässlich, was er denn von ihr wolle. Pinneberg daraufhin: „Sie sollten mir das nicht sagen. Ich hab immer gedacht, sie sei hübsch, jetzt ist sie vielleicht gar nicht hübsch?“ Anspielung auf die leichte Beeinflussbarkeit des Angestellten. Lämmchen will sich von unten abgrenzen: „Ich gehör hier nicht rein, wir wollen ganz glücklich sein!“ Unter anderem sind es diese Abgrenzungen, die immer wieder Solidarität der Unterdrückten verhindern.
Beim Ausrechnen ihrer Kosten merken sie, dass ihr Geld nicht ausreicht, sie rechnen immer wieder, Lämmchen als Prototyp Falladaschen Frauenbildes ist wunderbar getroffen. Nur vordergründig Hausfrau, an den Herd gefesselt, ist sie von Anfang an die Stärkere von beiden, im Charakter kurz, knapp, frei, direkt, lebendig und mutig. Sie wird glänzend gespielt von Eva-Maria Blumentrath, die hier mal wieder beweist, dass sie eine tolle Charakterdarstellerin ist, ob Jugendliche, ob Erwachsene, ob proletarisches Mädchen, ob Großbürgerliche, ihre Frauenpersonen wachsen mit ihr.
Die Handlung wird jeweils unterbrochen von Chören frei nach Brecht, die jeweils Handlung kommentieren: „Irgendwo auf der Welt gibt’s ein bisschen Seeligkeit… Ein Pfund Butter kostet 3000 Mark“, die Chöre arbeiten mittels Witz, Rollentausch (Frauen werden von Männern gespielt) und Kostümierung.
Die drei Angestellten im Provinzangestelltenbüro, die vom tyrannischen Besitzer der Firma(„Abbauen tu ich einen von den Brüdern, die anderen sind dadurch auch nicht sicher!“) für die Tochterheirat ins Sauge gefasst sind, sind nach Zeit ausgewählt: SA-Mann und Schürzenjäger. Zwischen denen irrt Pinneberg wie eine Unfigur hin und her.
Die Begegnungen mit einem Proletarier: („ Auch Sie werden noch merken, wohin das führt mit der Kriecherei..“) bleiben folgenlos, wirken aber nicht demonstrativ. Sehr eindrucksvoll die Szene, in der der SA-Mann auf den Zornausbruch des Meisters gegen ihn und seine Kollegen mit einer Wutphantasie gegen den Arbeiter reagiert. Hier wird die sorgfältige Recherche des Autors und der Regie (Analyse von Krakauers Angestellten) sehr gut transportiert und damit Faschismus erklärt.
Chor singt: Wochenend und Sonnenschein…
Chef: Da ich einen bis mittags um 12 abbauen will, kündige ich einem von euch schon mal vorsorglich.
In Berlin tritt Pinneberg, vermittelt durch den halbkriminellen Bekannten der dem Alkohol zusprechenden Mutter, in eine Herrenkonfektion ein: „Rein äußerlich gehört er noch nicht zu den Arbeitslosen, er ist einer von diesen: Jeden Tag kann es kommen…hinter der Freude die Angst: Wird es dauern?“ Dort wird alsbald eine Quote eingeführt, (alles wie heute) und Pinneberg wird in dem Moment entlassen, als ein Schauspieler, der im Kino einen armen Menschen gespielt hat und den Pinneberg bewundert, im echten Leben nicht hält, was er verspricht, da er tausend Jacketts probiert, aber nicht kaufen will.
Der Chor der Kunden ist in Anlehnung an den „Chor der Wilmersdorfer Witwen“ aus der Linie 1 äußerst witzig und erhellend. Währenddessen hat Lämmchen eine Wohnung „organisiert“ auf einem alten Dachboden, illegal, wo nun statt Idylle, trotz Liebe und bester Vorsätze, der Zerfall beginnt und sich Pinneberg am Ende durch einen Polizisten vom Gehsteig gejagt wieder findet.
Fallada wurde in westlicher Literaturrezeption immer seine Nähe zum Volk vorgeworfen, weshalb man ihm nur ein Hundertstel der Aufmerksamkeit etwa eines Günter Grass schenkte, obgleich seine Auflagen in schwindelnde Höhen gingen. Von links wurde ihm 1929, als das Buch erschien, vorgeworfen, er ließe Pinneberg im Regen stehen und beantworte nicht die Frage, was nun denn zu tun sei. Die Wirklichkeit hat den Text inzwischen eingeholt: War das Buch damals vor allem von historischem Wert, so kann es heute unsere Jetztzeit erklären. Zu Unrecht wirft man erklärenden und beschreibenden Texten vor, nicht zu sagen, was zu tun sei. Der Reiz besteht daraus, das selbst zu entwickeln. Die Greifswalder Aufführung schafft den Gegenwartsbezug sehr gut herzustellen.
Letzte Szene Pinneberg: „Plötzlich begreift er alles, dass er draußen ist, versunken… er denkt an Bomben, totschießen, anzünden… Geld hilft nichts, Arbeit würde helfen.
„Das Dach ist durchlöchert“, dieser Satz des Siegfried Krakauer aus seinem Werk „Die Angestellten“, hat in diesem Fall das Bühnenbild inspiriert: Das Dach mit den Lämpchen wirkt wie die durchlöchert illegale Dachwohnung, ja, wie das ganze Leben der kleinen Angestellten, immer von „Löchern“ bedroht, immer „die Angst der nie genau definierten Arbeit doch nicht gewachsen zu sein, eines Tages als Hochstapler aufzufliegen und endgültig abzustürzen…“ wie es im Programmheft heißt (Wir Angestellten, W.Winkler, 2003).
Die Veränderung der Szenen, mal lastendes Dunkel, mal schafft Illusion, mal Kaufhauslicht, mal Straße.. entsteht in der Phantasie des Zuschauenden. Keine Möbel bis auf eine einzige Frisierkommode. Was zu tun ist? Das fragt man sich, wenn man das Theater verlässt: Erster Schritt: Abschaffung von Hartz IV. Zweiter Schritt: Abschaffung des Kapitalismus. Dritter Schritt: Aufbau einer gerechteren Welt.