Die gute Hand

Die gute Hand

Sie sahen gut aus, kamen direkt vom Flughafen, braungebrannt, Kai hatte gute Laune, tätschelte seiner Exfrau die Wange und sagt ihr, dass er sie immer noch gern habe. Das erinnerte sie an einen orientalischen Pascha zu Besuch bei seiner Erstfrau, die ihm heimlich immer noch die Liebste ist. Davor schreckt sie zurück, denn schließlich hat er seit Monaten eine neue Beziehung, sogar mit Kind, an das sich ihre bei den Besuchen, die nie mehr ohne das neue Kind stattfinden, `gewöhnen mussten´. Was soll das also?  Sie schaut ihren Sohn an, Max, der murmelt unverständliche Worte und schwankt plötzlich. 

Max ist acht Jahre alt. Seit Wochen hatte er sich auf den Urlaub mit seinem Vater gefreut. Kai ist ihr Ex-Mann, er lebt seit einem halben Jahr mit Heike zusammen. Diese Reise hatte er aber schon vorher geplant, er wollte sie mit Marieelen antreten, weil die französisch konnte. Marieelen kannte er aus der Schule. Aber die war nun krank geworden und konnte nicht und er hätte die Reise stornieren müssen, da Heike nicht konnte. Das wäre schade gewesen. Wo auch Max sich so gefreut hatte. Da kam er auf die Idee eine „Reisebegleitung“ zu suchen, in der örtlichen Szenezeitung. Und hatte schnell gefunden. Die konnte französisch. So war die Reise angetreten worden. Eine Woche hatte sie gedauert. Eine Woche im Leben eines achtjährigen Jungen.

Nun kamen sie von dort zurück. Kai und ihr Sohn, sie standen vor der Haustür, Kai, der Ex-Mann, trat von einem Bein aufs andere und wollte nicht reinkommen. Max, der Sohn, fiel seiner Mutter stumm in den Arm. Krank, sagte Kai und: Er müsse gleich weiter. 

Am nächsten Tag erzählt ihr Sohn von M., da wäre es sehr schön gewesen, Röte schießt ihm ins Gesicht, er beschreibt, wie sie französisch geredet hätten, vielmehr die Frau, die Reisebegleiterin, die Kai auf dieser Reise mit hatte, denn sie konnten es ja nicht.

Affen habe er gesehen, und dabei macht er mit den Händen undefinierbare Gebärden. Aber dass Heike sie abgeholt hätte, das ist die neue Freundin des Ex-Mannes, das hätte ihn doch verwundert. Wieder Gebärden mit den Händen. Er hätte hinten im Auto gesessen, neben der anderen Frau, bis vor die Haustür hätte Heike sie gefahren, dann wäre er ausgestiegen und die anderen sind wohl dann noch weitergefahren. Er stiert vor sich hin. Wieder begleitet er sein Sprechen mit undefinierbaren Gebärden. 

Bald wird deutlich, eine Art Tick. Immer wenn er spricht, hat er das jetzt, es bleibt den ganzen Tag. Dazu spricht er die Worte am Ende eines Satzes doppelt und wiederholt such doppelt, was die anderen sagen, dann schnellt ihm immer die linke, seine Schreibhand, hoch und scheint etwas in die Luft zu schreiben. 

Als es alle begriffen haben, werden sie blass, schauen sich an. Was ist das? Was hat er? Max verwundert das nicht, er guckt verschwommen, hat noch immer etwas von dem Fieber. 

„Willst Du etwas schreiben?“, fragen die Schwester, der Bruder, die Mitbewohnerin. 

„Nein“ sagt er, „ich will nichts schreiben.“ 

Er will nichts schreiben und die Hand geht doch wieder hoch und der letzte Teil des Satzes wird dreimal wiederholt. Ist schon gut, sagt sie und führt am Abend seine Hand, die hoch erhoben ist, auf die Bettdecke zurück, aber er findet keinen Schlaf, auch als sie sich zu ihm legt. Die Hand zuckt. Später weint er.

*

Drei Tage bleibt das Phänomen, auch die Augen beginnen zu tanzen, ein Zucken hat sie befallen. Bei jedem Satz, das Zucken der Augen, das Doppeltsagen der letzten Worte, das Hochschnellen und „In-die-Luft-schreiben“ der Hand. 

Ein paar Tage später kommt Kai zu Besuch mit Fotos aus Marokko. Es sind Sonnenuntergänge, Felsen mit Bäumen, davor die Frau, die `Reisebegleiterin´. Mal mit Max, mal ohne, dann hübsche  Mosaiken und wieder die Frau, schüchtern lächelnd vor der Sonne. Später sagt Max:

„Er zeigt Dir die Fotos auch noch!“ 

 „Das mache doch nichts“, tröstet sie ihn, „das ist für mich kein Problem, was solle denn schon dabei sein.“ Er aber wiederholt: 

„Er zeigt sie Dir auch noch!“

Und dabei zuckt wieder seine Hand hoch, schreibt etwas Imaginäres und er beginnt zu weinen. 

„Was ist, fragt sie, was hast Du?“

„Ich muss es Heike sagen, ich werde es Heike sagen, irgendwann werde ich es Heike sagen!“ Er weint jetzt laut, schluchzend. In dieser Nacht findet er keinen Schlaf, nach einer Weile wird das Weinen wütend, er bäumt sich im Bett auf, er schreit. 

„Soll ich mit Kai einmal reden, ist etwas zwischen Euch vorgefallen? Wir können bestimmt mit ihm darüber reden“, fragt sie unsicher.

„Nein, Kai wird es nie verstehen, nie, niemals!“, es schüttelt ihn ein Krampf, und er weint und schlägt mit seinen Fäusten gegen die Wand. Um drei Uhr nachts bricht endlich alles aus ihm heraus.

Stockend, unterbrochen von Weinkrämpfen, die ihn fast vom Bett werfen, auf dem er liegt,  die anderen schlafen schon, erzählt er und seine Hand hüpft dabei wie ein kleines Tier auf der Bettdecke herum.

Die Beichte 

Die ganze Zeit über, als sie dort im Urlaub waren, hätten sie in jedem Hotel immer mit der fremden Frau in einem Zimmer geschlafen und er hätte allen Leuten sagen müssen, dass diese Frau seine Mutter sei, weil dort Mann und Frau nicht in einem Zimmer schlafen dürften, das sollte ein Witz sein, und erst hätte er es auch als Witz nehmen können, aber dann hätte er sich dort mit einem jungen Mann angefreundet, der hat mit ihm getobt und ihn auf die Schultern genommen, den wollten sie so gern nach Berlin hin einladen, aber das ginge nun niemals, denn der hätte noch mit zwanzig Jahren bei seiner Mutter gewohnt und… 

„wie könnte der verstehen“, Weinen schüttelt ihn, „wie könnte der jemals verstehen, dass man seine eigene Mutter…“ , er bricht ab.  

„Niemals könnte der verstehen“, er schreit es jetzt gegen die Wand, schüttelt den Kopf dabei und blickt mich leer an. Das Haar klebt ihm in der Stirn, „niemals könnte der verstehen, warum ich ihn angelogen habe und warum ich es gesagt habe“ Er sinkt erschöpft nieder. Ich will sagen, dass es nicht schlimm ist, ich murmele auch etwas in der Art, er nimmt es nicht wahr, er will noch mehr sagen:

„Und dass ich es ihm gesagt habe, das wird er erstrecht nicht verstehen!“ Und er würgt heraus, dass es einmal gewesen sei, dass sie ihn wiedergetroffen hätten, denselben jungen Mann, der so nett war, da hätte er am Ende einer Straße gestanden und er weit weg davon und dann habe der Mann ihn gerufen, und er habe sich gefreut darüber und ihm natürlich antworten wollen. 

Aber der Mann, der habe ihn mit der Frage gerufen:

„Bist du nicht der Sohn von…?“ 

Und da hätte er den Namen dieser fremden Frau gesagt, und da hätte er gesagt „Ja“, aber das sei schrecklich gewesen. Immer wieder, mehrmals hatte er ihm gesagt, dass sie seine Mutter sei, er weint, krümmt sich von mir weg, mag mich nicht ansehen, schämt sich unbändig. Plötzlich würgt er und ich muss eine Schüssel holen und er erbricht sich und ich halte seine Stirne fest. 

„Es wird alles gut werden“, sagt sie, „es wird alles gut werden“ und sie nimmt ihn in den Arm.

„Es macht nichts, Du hast mich nicht verraten!“, 

Und sie streichelt die zuckende, die verräterische Hand, die Hand, die die Botschaft, die er nicht sagen durfte, in die Luft schreiben wollte und wohl eher keine Ruhe finden kann, bis er nun alles, alles los wird. Langsam beruhigt er sich. Nach einer Weile erzählt er weiter: 

Sie hätten ihn da auch immer weggeschickt, Brot holen, aber er wollte nicht Brot holen. Er habe sich da nicht zurecht gefunden und nichts verstanden und wollte gar nicht von Kai weg, doch sie haben ihn weggeschickt. Er stockt, er weint, er stottert, er erklärt unter Tränen, dass sie ihn wohl weghaben wollten, weil sie miteinander etwas bereden mussten. 

Abends habe sie, die fremde Frau, dort immer auf dem Sofa geschlafen, „aber morgens lag sie immer in der Mitte des Bettes, bei uns drin, neben Kai, angeblich war es ihr zu kalt“, er lacht kurz auf, „Ha! Zu kalt!“ Und am Ende hätten sie alle unter einer Decke gelegen. Es schüttelt ihn.

Er werde es Heike sagen, eines Tages, da werde er es Heike sagen, das müsse er. Heike hätte sie dann ja sogar noch abgeholt, und sei ganz und gar ahnungslos gewesen, vom Flughafen, nach Hause hätte Heike sie gefahren, und da habe er die ganze Zeit überlegt, dass er es ihr sagen müsse. Darüber habe er dann Fieber bekommen. 

„Kai wird es ihr sagen!“ sagt sie, „Du brauchst es nicht, es ist seine Sache!“

„Er wird es nicht tun!“ 

Erst um drei in der Nacht schläft Max ein, seine Hand zuckt noch immer leicht auf dem Kopfkissen. Sie hält ihn im Arm bis er einschläft. Tränen laufen ihr in Rinnsalen die Wangen hinab. Innen sind ihr Hals, ihr Rachen, ihre Kehle bis hinunter in den Magen verspannt, als stecke alles voller Glas. Kleine zerstoßene Glassplitter. Tausende davon. Doch sie hält seine Hand, streichelt die kleine, überaus zarte, weiche, zuckende Jungenhand. Die Hand eines Achtjährigen, die keine Ruhe geben kann, die Hand, die die Wahrheit ans Licht gebracht hat, gute Hand. 

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