Romulus der Große – Nötig sind eher Verhinderer Rezension: aufBruch – Gefängnistheater
Romulus, der Große, das ist ein Stoff, in Hauptpersonen und Geschichtsinhalt aus dem Jahre 476 n. Christi. Aus der Zeit des Untergangs des Römischen Reiches. Dürrenmatt schrieb es 1949 als Gleichnis und ironische Parabel auf das Ende des Dritten Reiches. Das Gefängnistheater aufBruch gibt es dieser Tage (Premeire am 25.8.22) im Freilufttheater Jungfernheide, als Parabel auf unsere heutige Endzeitstimmung.
Der an antike Zeiten erinnernde ansteigende Halbkreisbogen der Freiluftbühne im verwilderten Park „Jungfernheide“, lässt die Zuschauer auf eine zugewucherte Bühne blicken, auf der um echte Büsche herum gespielt wird. Das jährliche Sommerereignis des AufBruch-Theaters mit Freigängern und anderen Mitmachenden, hat sehr viele Zuschauer in den Park gelockt. Die Umsetzung führte zu Beifallsstürmen. Das Stück passt zum Spielort: Der letzte römische Kaiser scheint ein Privatmensch – abgewandelt von der Historie schon etwas älter – der mit Frau und Tochter in einem Sommerhaus, abseits aller Kämpfe, beschaulich-bäuerlich im Wald lebt. Sein Hobby ist die Hühnerzucht, seine Hühner heißen nach vormaligen römischen Berühmtheiten: Augustus, Caesar, Marc Anton…
Während Bedienstete Koffer aus dem Haus schleppen und Julia, seine Frau, hektisch die Flucht organisiert, da sie um ihr Leben fürchtet, übt die Tochter mit dem Hauslehrer Klassikertexte. Ein verzweifelt-hysterischer Bote und der durch Gefangenschaft zerstörte Schwiegersohn, berichten von der kompletten Zerstörung des Reiches. Sie erwarten von Romulus energisches Handeln, der aber schweigt. Sie berichten von der baldigen Eroberung durch den Germanenfürsten Odoaker. Das schreckt Romulus nicht. Der hühnerliebende Kaiser will Flucht und Krieg und Reichszerstörung nichts wissen, er lädt zu Wein und gutem Essen ein. Dabei wirkt er in seiner Naivität kindisch, albern und verrückt. Zum Ende hin enthüllt er, dass alles nur ein Trick von ihm war, um den Krieg nicht mehr verlängern zu müssen und das Land baldmöglichst den Germanen zu übergeben.
Köstlich ironisch-witzig ist schon der Dürrenmattsche Text, noch eine Spur an Ironie mehr gab dem Stück die aktuelle Inszenierung des AufBruch. Die Hauptperson teilt sich in drei Ichs, die sich gegenseitig aushelfen, wenn sie in Bedrängnis geraten. Jede der drei Persönlichkeiten wird von unterschiedlichen Darstellenden gegeben. Einer davon ist ein sehr junger Mann, fast dem historischen Alter des Romulus entsprechend (16Jahre). Die beiden anderen sind eher ältere Varianten. Alle drei sind hervorragend: Sentimental, selbstironisch, harmlos, naiv, versponnen, idiotisch und thyrannisch, genau wie Herrscher in Untergangszeiten zu werden pflegen: Klare Stellungnahmen nie, stattdessen Gestammel, Ausweichmanöver, Zeitgewinn herausschlagen. Ausblenden der Realität im Lande immer, mit zu Boden gerichtetem Blick auf die eigene kleine Hühnerwelt. Nicht mal, was im Haus vorgeht, interessiert den Romulus noch, ewig sieht man ihn mit einem Huhn in den Händen herumstehen, welches er selbstvergessen streichelt.
Was immer glückt im AufBruch-Theater ist die Arbeit mit den Laien, sie scheinen nicht nur wie, sondern besser als Professionelle zu spielen. Wie das Wunder glückt, versteht man nicht. Warum kann hier Tragik, Komik, Emotion, Witz und Ironie derart gut gespielt werden? Von Menschen, die keine Schauspielschule besucht haben, sondern nur in Kursen des AufBruch waren? Warum wirkt alles absolut authentisch, wahr? Die Spielenden scheinen über sich selbst zu sprechen, sich selbst zu spielen, und es scheint auch um ihr Leben zu gehen. Genial ist zum Beispiel eine kleine Szene, wo einer der Kammerdiener dem Huhn ein türkisches Kinderlied vorsingt. Die Poesie und Melancholie, die Schönheit dieses Zwischenspiels, das völlig unverbunden mit allem, einfach nur vom Schauspieler in seiner Sprache dargebracht wird, wirkt, als hätte dieser es spontan ins Stück hinein improvisiert. Solche kleinen Soli werden öfters geboten. Die Spielenden bekommen dadurch eine eigene Rolle im Spiel, sie sind nicht nur Ausführende einer Autoren- und Regieidee, sie bringen sich selbst ein. Auch Sätze des Beckmann aus „Draußen vor der Tür“ von Wolfgang Borchert werden passend zitiert. ( Ich will Ihnen was zurückgeben… die Verantwortung)
Hans – Dieter Schütt schreibt dazu im Programmheft: „Die Geschichte, wer macht sie? Die brennenden Leiber, aus denen das Fett tropft, mit dem wechselnde Kaiser…die Motoren ihrer Bomber schmieren?“, und beklagt sich über mangelnden Zorn: „Der Zorn über die Weltverhältnisse liegt als Hund des Gehorsams unter unseren gedeckten Tischen“. Die Parallelen zu heute sind frappierend und gewollt. Die momentane Atombomben-, Inflations- und Klima-Weltzerstörungsdrohungen, die uns alle wie in einem Schraubstock gefangen halten, finden ihren Niederschlag in den Schilderungen des Boten und heimkehrenden Kriegsgefangenen von „draußen“, aus dem Reich, ähnlich unserer Zeitungsmeldungen. Das bäuerlich-idyllische Häuschen des Herrschers wird zum eigenen Zuhause, wo wir glauben durch Bioanbau dem Inferno entkommen zu können. Die drei Herrschenden erinnern ein wenig unserem Regierungs-Dreigespann, der englisch sprechende Hosenfabrikant dem Neue- Weltordnung-Prediger USA.
Ein Stück, was sich lohnt anzuschauen, mit Erkenntnissen über unsere heutige Situation, eingebettet in Weltgeschichte, ironisch zugespitzt, kreativ erweitert, genial gespielt und inszeniert! Sehr zu empfehlen!
Mit den allesamt hervorragend Spielenden: Christian Krug, Frank T., Hans-Jürgen Simon, Josef, Maja Borm, Maria Stoecker-Baton, Massimiliano Baß, Matthias Blocher, Mikael, Mohamad Koulaghassi, Moses Al-Khalil, Para Kiala, Rashid, Sabine Böhm, Svitlana Balitska.
Regie: Peter Atanassow
Bühne: Holger Syrbe
Kostüme: Haemin Jung
Dramaturgie: Hans-Dieter Schütt
Musikalische Leitung: Vsevolod Silkin
Produktionsleitung: Sibylle Arndt
Grafik: Dirk Trageser
Produktionsassistenz: Franzi Kuhn
Servus, ich finde dies ist ein interessanter Eintrag. Ich würde mir davon wünschen. Herzliche Grüße