Zugvögel mit schwerer Last
Zugvögel: Oper von Mathias Husmann am Theater Vorpommern, Premiere: 7.3.09
30.03.2009 / Feuilleton junge welt / Seite 12
Es beginnt mit dem Luftfoto einer völlig zerstörten Stadt mit einem kleinen aufgeschlagenem Buch darüber. Hiroshima, als Sinnbild für das, was Menschen einander durch Bomber antun können, die aus der Luft kommen und die ursprünglich mal den Vögeln nachgebildet wurden. Zugvögel. Eine Methapher für solche Zugvögel, die den Tod über ferne Städte ausschütten. Im Theater Vorpommern hat ein Chefdirigent und Musikdirektor seinem Hause eine Oper geschenkt. Er hat sie komponiert, librettiert und dirigiert, eine Homage an den finnischen Komponisten Jean Sibelius. Dieser hat ab 1934 musikalisch geschwiegen und sich in sein Haus im hohen Norden Finnlands mit Blick auf einen See in den engen Kreis seiner Familie zurückgezogen.
Kein Kalender, keine Uhr, nur die Zeichen der Natur
„Kein Kalender, keine Uhr, nur die Zeichen der Natur, mein Kalender sind die Schwäne..“, so sieht man den, übrigens von dem jungen Bass Benno Remling, nicht nur glänzend gesungen, sondern auch täuschend echt als 60.-80.-jährigen gespielten, alternden Künstler, inmitten seiner Familie wie einen fremden Menschen umhergehen, der seinem äußeren Leben entfremdet zu sein scheint und in sich versunkenen Blicks mit der inneren Hölle kämpft. Auf der einen Seite der Bühne umgeben ihn seine Frau und seine fünf Töchter in einem fensterreichen Halbkreis, der den Blick auf finnische Nebel preisgibt, wie ein warmes Nest, das ihn doch nicht wärmen kann. Wenn sich die Bühne dreht, so ist da sein Zimmer, dass ein schwankendes Klavier auf einer stilisierten Treppe zeigt, das von mächtigen herabhängenden Kranichflügeln umgeben ist. Dorthin stürzt der ansonsten Leblose nachts und erweckt in sich Kräfte, die das Ringen um sein Spätwerk, die Achte, wie er sie nennt, szenisch in meisterhafter Weise versinnbildlicht.
Diktatur und Krieg widern mich an
Hier donnert ihm die Verzweiflung all derjenigen in den Ohren, die ihm nicht mehr aus dem Kopf gehen, „Diktatur und Krieg widern mich an. Der bloße Gedanke an Tyrannei und Unterdrückung, Sklavenlager, Zerstörung und Massenmord machen mich seelisch krank, das ist einer der Gründe, warum ich in über 20 Jahren nichts geschaffen habe, was ich mit ruhigem herzen der Öffentlichkeit hätte übergeben können“ wird Sibelius im Programmheft zitiert. Beim Versuch, den Klangwelten in sich geordneten Ausdruck zu verleihen, bricht er immer wieder wie tot zusammen. Kann man für das Furchtbare einen Ausdruck finden? Nach Auschwitz keine Gedichte mehr, so hieß es nach 45, Sibelius hat dieses Phänomen in der Musik erlebt, Mathias Husmann hat es ihm nachempfunden. Mathias Husmann hat auf der Bühne der Oper etwas ähnliches versucht, wie kürzlich Rainer Zach mit der Biograpfie Kafkas, das Werk intensiv aus dem Leben des Künstlers heraus zu erklären, seine Entwicklung nachzuzeichnen. In diesem Falle hat er sich das Verdienst erworben, Sibelius´ achte Sinfonie aus dem Feuer der Zerstörung seines letzten Lebensabschnitts zu holen.
Ich wanke auf das Dunkel zu
Wie in einem verlängerten kafkaschen Schaffungsprozess, „ich wanke auf das Dunkel zu im Kerker meiner Phantasie..“, wird die achte Sinfonie des Sibelius immer wieder unter Qualen und Zusammenbrüchen in einem über 30 Jahre lang dauernden Zeitraum durch viele Schweigejahre hindurch auf dem Klavierthron seines beflügelten Dunkelzimmers geschaffen, das der Bühnenbildner Dirk Hofacker in besonderer Weise seinem kafkaschen Unbewussten der Gehetztheit und des Selbstzweifels nachempfunden komponiert hat. Hofacker schafft aber auch auf der anderen Seite der Bühne ein gestalterisches Pendant zu Text, Musik und Stück, seine von immer wieder verschiedenen nordischen Farbvariationen zwischen blau und orange angestrahlten Malereien entsprechen exakt den Farben, die ich kürzlich in einem norwegischen Winterurlaub höchstselbst erleben durfte und dort auch im Museum sah, ein ewiges Spiel mit der auf- und untergehenden Sonne an den kurzen Tagen im Winter und ein ewiges Tanzen der Mittsommersonne um dem Horizont herum in den kurzen Nächten des Sommers..
Wie durch einen Totenwald
Husmann lässt schließlich den Achtzigjährigen durch die ungeheuren Aufdeckungen des Faschismus am Ende des Krieges und Hiroshimas wie durch einen Totenwald gehen, und in einem donnernden Finale, in dem die Toten seine Finger und seinen Kopf gewaltsam auf die Blätter drücken, in dem er endlich die fertige Sinfonie im Ganzen aus sich heraus auf die Blätter frei gibt, wie in einem ungeheuren Geburtsvorgang, sieht man im nächsten Bild, wie er die eben fertig gestellten Notenblätter, schon mit irrem Blick, plötzlich den Weg gehen lässt, den vorher die Menschen gegangen sind. Er wirft sie ins lodernde Feuer. Danach bleibt nichts als Stumpfheit und verlöschendes Leben. Husmann hat in seinem Werk nicht nur dem Komponisten Sibelius ein ehrenvolles Denkmal gesetzt, sondern auch das Wesen der Kunst, quälender Schmerz der Zeit im Spiegel des Einzelnen zu sein, zu einem Ausdruck gebracht, wie man ihn so noch in keinem Opernwerk fand.