Krawatte gebunden? Bericht aus der ostdeutschen Provinz
In der Linken ist es hier seltsam, hier beherrscht der Typus des korrekten Schlips- und Anzugsträgers, den ich sonst mehr auf Seiten der Gegenpartei vermutet hätte, das Bild. Ein bürgerliches Äußeres, wie wir es früher gern genannt hatten, ist allgegenwärtig, wenn man auf linke Parteiveranstaltungen geht. „Keine Vorurteile“, sagte ich mir, machte mich bekannt mit diesen Menschen, meist Männern, und stieß auf Erstaunliches: Beste Kenntnisse des Marxismus vermischen sich mit Ideen zur besseren Organisation des „Wirtschaftslebens“. Und die Kritik an den Kapitalgesetzen wird in den Köpfen der brav und bieder angezogenen Leute zum Know how moderner Betriebsführung. Mit einem linken Parteibuch verbinden sich spielend die Befürwortung von Polizei, Armee und Staatsapparat sowie das Anstreben von Führungspositionen in Wirtschaft und Verwaltung. Etwas anderes wird gar nicht als ernstzunehmende Politik angesehen. Mir dagegen mit meiner linken West-Vergangenheit bei den Antiautoritären begegnet man mit Misstrauen.
Wäre da nicht der Hass
Meinen eigenen Lebensstil treffe ich dafür meist unter Künstlern, Esoterikern, Landkommunarden und Grünen wieder, die sich zwar als alternativ, aber meist auf keinen Fall „links“ stehend begreifen. Ihre Interessen sind den meinen so ähnlich, dass ich hier richtig gute Freunde finden könnte. Wäre da nicht der latente Hass auf alles Linke. Wäre da nicht das mit Abscheu vorgetragene Schimpfwort „linke Socke“, was sie manchmal benutzen um jemanden als sehr im Vergangenen haftend und also als absolut indiskutabel zu umschreiben. Wie kann ich hier jemals meinen Platz finden? Was ist das, frage ich mich, wie kann das sein, wie kann das je wieder zu einer gemeinsamen Opposition zusammengeführt werden? Hier gilt links als Synomym für konservativ und ich merke, wie ich mich unbehaglich dabei fühle. Ich möchte die Ideen einer sozialistischen Gesellschaftsveränderung verteidigen, aber mir werden das MfS-Spitzelwesen, die diktatorischen Maßnahmen gegenüber allen Andersdenkenden und die alten Seilschaften um die Ohren gehauen.
Siebzig Prozent der Versammlungszeit für Formalia
Und tatsächlich, nicht nur vom Äußeren sind die Funktionäre Schlipsträger korrekt und zwanghaft, sie sind auch autoritär bis unter die Haarwurzeln. Sie kommandieren, befehlen und ducken sich willenlos unter Höhergestellte. Sie lassen Frauen kaum zu Wort kommen und hören sich selbst gern reden. Funktionsträger – und das sind viele von ihnen, denn einfache Mitglieder scheint es kaum zu geben, dafür tausend Ämter – beharren auf ihren Funktionen und sind sehr verschnupft, wenn man ihnen zufällig eine abnimmt. Was ihnen qua Amt zugefallen ist, das verteidigen sie. Etwa rotationsmäßig irgendetwas abzuwechseln, liegt ihnen ferner als der Mond. Als ich was in dieser Richtung vorschlage, wird das als persönliche Beleidigung gewertet. Für viele von ihnen ist es wichtiger, dass die Geschäftsordnung eingehalten wird, anstatt dass aktuelle politische Ungerechtigkeiten diskutiert werden. 70 % der Zeit aller Mitgliederversammlungen werden für Formalia verschwendet: Wahlordnungen aufrufen, verabschieden, durchführen. Was derjenige tun muss, der da gewählt wird und ob und wie er das tut, oder getan hat, dafür bleiben meist nur Floskeln. Inhaltliches wie der Hafenarbeiterstreik , Hartz IV oder der neueste Krieg, steht nur peripher zur Debatte: gewählt muss werden und zwar zu vielerlei Ämtern. Zu allen Zeiten und immer wieder neu. Die sich wählen lassen wollen, preisen sich mit ihren Verwaltungskenntnissen in den neukapitalistischen Berufen an, mit Militär- oder Parteierfahrung, dazu werden Alter, Ehefrau und Kinder erwähnt. Eine politische Biographie, etwa in außerparlamentarischem Sinne, ist absolut unüblich.
Nicht auf Beteiligung am Kapitalismus
Der mittlere Managertyp dieser Leute stammt aus Militärhochschulen und ehemals höchsten Wirtschaftsposten und sucht in der Linken noch immer ein Betätigungsfeld für seine Großmannsimpulse. Ein gutes Beispiel ist ein ehemaliger NVA-Offizier, inzwischen Multimilliardär, der 23 Kliniken aufkaufte und daraus ein Großimperium schuf. Das gilt hier nicht als unfein. Ursprünglich dachte ich, solche Leute seien heute längst nicht mehr bei der Linken, ich dachte, solche wären längst zur CDU gewechselt oder beim Verfassungschutz, wahlweise Versicherungswesen oder Wachdienst gelandet, aber nein, es gibt sie noch und sie treiben ihr Unwesen innerhalb einer Linken, die gerade wieder zu einer Hoffnung geworden sind. Zu einer Hoffnung auf Gesellschaftsveränderung selbstverständlich, hin zu mehr Gerechtigkeit, weil es das ist, womit man links verbindet und was man sich von Linken verspricht, aber nicht auf bestmögliche Beteiligung ihrer Funktionäre am Kapitalismus. Manche von ihnen verfolgen das Ziel, sich am Kapitalismus noch irgendwie, koste es, was es wolle, persönlich zu bereichern. Das ist ihnen nicht mal bewusst, das wird als Mitgestalten erlebt und positiv besetzt. Sie streben nach oder kleben an Posten und stimmen dafür Privatisierungen zu, sie unterstützen Architekten, die Millionenprojekte aus Steuergeldern finanzieren lassen, sie versuchen mitzutun am Sparwahn der Stadtkassen, auch wenn sie oft genug dann doch nichts davon abbekommen.
BWL und Personalcontrolling
Und wen bekämpfen sie auf ihrem Weg am meisten? Solche elenden Westlinken wie mich, die ihnen erzählen wollen, dass Linkssein eine oppositionelle Haltung verbunden mit einer humanistischen Weltanschauung sei. Von Revolution wage ich in ihren Kreisen gar nicht zu sprechen, ich spreche nur von Antikapitalismus, das reicht meist schon um Proteste hervorzurufen. Wenn man sich hier in der Parteilinken um den kleinsten Posten bewirbt, so preist man sich am besten als Experte für BWL und Personalcontrolling an. Gerechtigkeit? Das war einmal, zu guten alten DDR-Zeiten. Neuerdings geht es um Pragmatismus und „Wirtschaftlichkeit“, und darin wird, ganz im Mainstream des Neoliberalismus, das allen Glück bringende Heil gesehen. Bei den Linken? Ja, bei den Linken in der Provinz, von denen manche nicht verschlafen haben, dass wir jetzt im Kapitalismus leben.
Die BILD-Zeitung sei eine gute Zeitung
Sollte der nicht ursprünglich bekämpft, zumindest überwunden werden? Nicht nur ökonomisch, sondern auch mit seinen weiteren Auswirkungen? Mit allem, was dazu gehört? Der Ungleichheit zwischen Mann und Frau, der Ungleichwertigkeit zwischen Menschen, ob klein, ob groß? Nein, als Linker müsse man nicht gegen den Kapitalismus sein, wurde ich belehrt. Strenge, Zucht, Ordnung, Sauberkeit und Benimm soll herrschen und nicht das westdeutsch-anarchische Chaos. Vor einigen Jahre kam ich ins Gespräch mit einem PDS-Kreistagsabgeordneten, dessen Namen ich auf der Wahlliste auch stets angekreuzt hatte. Ein fleißiger Kleber von Wahlplakakten, Bauer, kugelrund, herzleidend, versäumt keine der monatlichen Versammlungen seiner Ortsgruppe. Er lese die Bild, sagte er, das sei eine informative Zeitung. Da stünde alles drin, was man wissen müsste. Als ich nach Luft schnappe und hilflos vom Attentat auf Rudi Dutschke erzähle, hervorgerufen durch die Hetzerei der Bildzeitung, von Manipulation und Monopolisierung, da guckt er mich verwundert an. Er bleibe dabei, das sei eine gute Zeitung.
Alte Widerstandskämpfer
Und doch gibt es Hoffnung. Sie liegt in den ganz alten, den Widerstandskämpfern von einst, denen, die sich aus antifaschistischer Haltung bewußt in der DDR beheimatet hatten. Und die schon mal den Kapitalismus erlebt haben. Vor dem Krieg. Die Weißhaarigen sind milder, auch gütiger, dafür mit enorm revolutionärem Elan ausgestattet. Sie sind durchaus dafür, den Kapitalismus zu bekämpfen. Sie leiden sehr wohl unter ihm und sind nicht blind gegen das Leid von anderen. Sie wollen keinen Nutzen für sich persönlich. Sie streben nicht nach Posten, sie halten sich im Hintergrund. Eine zweite Hoffnung liegt in den ganz Jungen. Sie kommen im Punkeroutfit und schocken die Schlipsträger. Sie wollen auch dazu gehören. Zu all den Versammlungen kommen sie aber meist nicht, sie gehen lieber selber los, z.B. Naziläden demolieren und Nazidemos verhindern. Sie sind die Ausgestoßenen, die unerwünscht sind im Lande der Erfolgsgeilen. Auf ihren Jacken und Hosen tragen sie Antinaziaufnäher und Antifa-Symbole, ihre Idole heißen Rosa Luxemburg und Che Guevara. Ihr Mut ist bewundernswert, es dankt ihnen hier niemand. Kaum, dass sie zur Kenntnis genommen werden. Statt Solidarität erfahren sie Misstrauen. Sie bringen Unruhe, wird gesagt, und das stimmt, das ja gerade die Aufgabe jedes Linken.
In Moskau studiert
Bei den linken Karrieristen handelt es sich um eine ganz bestimmte Generation der Nachwuchskader. Sie waren Anfang 20 und hatten schon in den Startlöchern zum Run auf die höchsten Ämter gesessen, als die Wende ihnen irgendwie dazwischen kam. Sie haben in Moskau studiert und sind aus den besten Familien. Wahlweise sind sie später in der FDP, CDU oder in Aufsichtsräten gelandet – manche eben in der PDS geblieben. Man hat das dumme Gefühl, je nach dem, wo ein Platz frei war. Willkürlich scheint, wohin es sie verschlagen hat, sie verstehen sich gut mit all ihren alten Kumpeln, das garantiert ihnen weiterhin beste Verbindungen. Logisch, dass sie in den Kreisparlamenten mit den CDUlern stimmen, logisch, dass es da kaum Interessensunterschiede gibt. Doch bliebe ich nicht bei den Linken, wenn ich nicht doch noch Hoffnung hätte. Es bröckelt allerorten das Bild, es bröckelt. Die linke Weltanschauung hat ja auch für ihre Anhänger viel Gutes zu bieten, z.B., dass der Mensch sich wandeln kann, dass er nicht durch Vererbung und Status, auch nicht durch die Geschichte und Erziehung für immer festgelegt ist, dass einmal gefasst Urteile und Handlungen, dass Situationen und Zustände veränderbar sind.
Die Welt ist veränderbar
Wir müssen den Menschen, genauso wie den geschichtlich gewachsenen Situationen eine Chance zur Wandlung geben und wir sollten durch inhaltliche Diskussionen diese Wandlungen an allen Punkten zu beschleunigen versuchen. Was ist, bleibt nicht, was noch nicht ist, kann werden. Menschen können sich ändern und dafür sehe ich auch und gerade hier täglich viele gute Beispiele, die mir Mut machen. Es mag sein, eine autoritäre Linke hat, spätestens nach Rudi Dutschke, den Namen links nicht mehr verdient, doch eine antiautoritäre Bürgerschicht löst den Kapitalismus noch lange nicht auf. Und entgegen der üblichen Meinung bin ich der Auffassung, dass antiautoritäre Strukturen sich ausbreiten und ausweiten werden und darin ein großes Potenzial zur Veränderung liegt. Nicht umsonst schreit die bürgerliche Presse nach Wegsperren und Knast für 13Jährige und macht die antiautoritäre Pädagogik neuerdings für Verhaltensstörungen bei Jugendlichen mitverantwortlich. Dabei weiß man, dass es frühere Misshandlungs- und Verwahrlosungserlebnisse sind. Aber antiautoritäre Strukturen sollen denunziert werden, darum geht es.
Endlich Duckmäusertum bekämpfen
Ein Ergebnis der 68er, 70er und 80er Jahre ist: in den damals gewachsenen Oppositionsstrukturen liegt Befreiungspotenzial. Eine Leitlinie, in deren Richtung wir uns als linke Menschen entwickeln müssen, wollen wir glaubwürdig das repräsentieren, was wir uns auf unsere Fahnen geschrieben haben: den Sozialismus als Grundlage der Befreiung des Menschen aus der Verdinglichung und Versklavung im Kapitalismus. Geschichtlich geprägte Strukturen scheinen oft noch über Generationen weit in die Zukunft hineinzuragen und diese mitzuprägen. In der kurze Zeitspanne der Existenz der DDR bemühte sich eine im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung geringe Zahl von Überlebenden des Faschismus einen Sozialismus aufzubauen. Das war mit Millionen nazistisch verseuchter Menschen und angesichts des äußeren Drucks eine beinahe unlösbare Aufgabe. Hinzu kam eine Jahrhunderte lange unheilvolle Tradition von Duckmäusern in Deutschland, trefflich von Heinrich Heine verspottet. Das sollten wir unbedingt und konsequent überall bekämpfen, zuvorderst aber in uns selbst.