Frisch also! Räuber in Stralsund – Rezension
25.01.2010 /junge welt/ Feuilleton
Alles hat seine Vorläufer, Ideengeber, Anstifter. Jedes Stückchen Kultur, auch des größten Genies, ist aus einer Reihe anderer Werke, Ereignisse, aus sozialer Geschichte hervorgegangen, die man zurückverfolgen kann. Christian Friedrich Daniel Schubart war mit einer kleinen Geschichte der Ideengeber des jungen Schiller.
Ein Freund der Unterdrückten
Schubart war ein Nonkonformist und Freund der Unterdrückten. Historische Bedeutung erlangte er durch scharf formulierte sozialkritische Schriften und anklagende Lyrik, mit denen er die absolutistische Herrschaft anprangerte. Er wurde des Landes verwiesen, seine Zeitung Teutsche Chronik wurde 1774 verboten und er 1777 für vier Jahre in die Bergfestung Asperg gesteckt, ein bis in unsere heutige Zeit berüchtigtes Gefängnis. Schiller hat ihn ohne Zweifel als 18jähriger glühend verehrt. Er reagiert, als Antwort auf dessen Gefangensetzung unmittelbar, nämlich 1777 mit den ersten Szenen des 1781 uraufgeführten Stückes »Die Räuber«. Als Vorlage diente ihm »Zur Geschichte des menschlichen Herzens«, eine Abhandlung, die Schubart 1775 verfaßt hatte. Dessen politische Aussage: Freiheit gegen Unterdrückung wurde von Schiller ins Psychologische abgeschwächt. Trotzdem: Franz ist bieder, anpaßlerisch und gemein, sein Bruder Karl revolutionär. Während Schubart den von seinem Bruder um die Vaterliebe Betrogenen zu den preußischen Soldaten gehen und dort morden und brandschatzen läßt, siedelt ihn Schiller bei den Deklassierten an und läßt ihn für die Armen handeln.
Stralsund spielt Schiller wie Shakespeare
Schiller wird heute mit Staatsrat Goethe in einem Atemzug genannt. Seine Werke waren auch unter den Nazis nicht verboten, wie z.B. die von Lessing. Denn Schillers revolutionärer Geist wird gern als »Pathos« und »Sturm und Drang« zur Jugendsünde umgedeutelt. Das Stralsunder Theater aber schafft es, Schiller wie Shakespeare aufzuführen. Statt Pathos und Pose ist in der Inszenierung von Matthias Nagatis packender Realismus: Aus der Bühne wird mit Hilfe eines Drehmechanismus’ eine Zweiklassengesellschaft. Die Räuber-Gruppenmitglieder, Punks, Alks, Umstürzler, zwängen sich in graue Hauseingänge und wärmen sich an brennenden Tonnen, Franz hingegen hastet durch die hohen Räume einer Villa mit Klavier und Cellospiel. Beides von der Bühnenbildnerin Susanne Thomasberger aus dem gleichen schwarzgrauen Gebäudeteil in Vorder- und Rückseite geschnitten.
Nicht aufdringlich, nicht formlos
Nicht aufdringlich, aber auch nicht formlos, wie es, in Brecht mißdeutender Weise auf neuzeitlichen Bühnen ja zur Mode geworden ist, da man ganz ohne Bühnenbild auszukommen glaubt. Ebenso fehlt auch jedes Brüllen, eine weitere Unart modernen bürgerlichen Theaters in Berlin und Hamburg. Brüllen ist ein todsicheres Mittel, um keine emotionalen Unterschiede mehr zu spüren. Gebrüllt wird hier nur an einer Stelle, wo man auch brüllen muß. Franz fehlt jegliche Größe, er ist einfach nur bieder und klein. Seine Bosheit wird nicht herausgehoben, überhoben, pathologisiert und damit dämonisch, nein, er ist der ganz normale Opportunist. Dem Vater scheinen beide Söhne zuwider, erst allmählich entwickeln sich die Gefühle. Amalia ist niemals, nicht mit einer Faser, hilfesuchendes, anschmiegsames und In-Ohnmacht-fallendes Kind-Fräulein vergangener Jahrhunderte. Sie ist stolz und einzigartig, man behält sie in Erinnerung.
Die Last des Verbrechens
Karls Ringen mit dem Thema der Gewalt wird differenziert dargestellt. Ebenso die Verfolgungsangst von Franz wie auch dessen Habgier: »Frisch also! Mutig ans Werk! – Ich will alles um mich her ausrotten, was mich einschränkt, daß ich nicht Herr bin. Herr muß ich sein, daß ich das mit Gewalt ertrotze…« Die Last des Verbrechens aus Egoismus wird der Last des Verbrechens aus Gerechtigkeitssuche gegenübergestellt und bis in die kleinsten Unterschiede hinein ausdifferenziert. Auch wird Partei genommen. Als Karl aufgibt, geht er unprätentiös ab, ohne Hemd und ohne jedes Pathos. Ich mag, daß das Stralsunder Ensemble sich die Fähigkeit erhalten hat, ohne die überall in Mode gekommenen Schnörkel der Übertreibung oder Unterkühlung zu spielen, das war in Marat so, dem ersten Stück, daß ich vor Jahren in diesem Theater sah, und hat sich bis heute erhalten. Dabei sind die Inszenierungen nicht traditionell; sie sind modern, in dem Sinne, daß sie auf der Höhe der Zeit und ihren Problemen sind. Sie lassen einen anders raus- als reingehen. Ein gutes Gefühl.
Die Begegnung von Schiller und Schubart war Zentrum einer Theater-Aufführung in der JVA Untermaßfeld im Dezember 2010. Hier ist ein link zu dem revolutionären Gipfeltreffen:
http://youtu.be/VVT_q4N-ne0
Es gibt auch eine Broschüre, die wir bei Interesse gerne verschicken.