Bericht für eine Akademie und Rattenjagd in Stralsund – Rezension

In Indien hatte man seinerzeit eine gute Idee, wie man zwei Fliegen mit einer Klappe schlüge, die Arbeitslosigkeit und die Rattenplage. Man suche, ließ man öffentlich verkünden, Rattenfänger, die pro erlegter Ratte eine Rupie bekämen, es meldeten sich 50 promovierte Akademiker. Am 15.12.08 war im Spiegel Online zu lesen, dass solches nun auch hierzulande angedacht wird, FDP-Chef Mitte, Henner Schmidt, schlug vor, dass   “Leute, die sonst Flaschen sammeln, …für jede tote Ratte einen Euro bekommen” (könnten). Auf solch einem Rattensammelplatz spielt das neueste Doppelpackstück in Stralsund. Zunächst gab Jörg Krüger (Graf von Moor (Die Räuber), Ernesti/Einstein (Die Physiker)) den ehemaligen Affen in einer grandiosen Körpersprache als alten Berber mit Resten äffischer Bewegungen, ohne jede Verbollhornung und doch mit dem spröden kafkaschen Witz. So gelang, dass einem die Schilderungen der Gefangenschaft des Affen flugs zur Assoziation der allgemeinen gesellschaftlichen Gefangenheit in Konsum, Warenerstickung und Müll wurde, die man nur durch die vom Rotpeter geschilderten Anpassungsleistungen verkraftet, die als nichts anderes als unser aller allgegenwärtige Verdrängungsleistungen deutlich wurden. Doch indem er Berber wurde, verweigert er auch in gewisser Weise das Mitmachen, ähnlich dem Hungerkünstler. Die Müllidee war gut gewählt, es konnte sowohl Müllhalde, als auch Messiehaushalt sein, wurde nicht übertrieben und erreichte das Kafkasche Ziel, einen mit einem Schlag auf den Kopf zu wecken.  Die schillernde Konsumwelt war im Dreck versunken, in dem die Menschen und das Menschliche erstickt werden. Dasselbe Motiv wurde auch im zweiten Teil aufgegriffen, einer radikalen Anti-Warenwelt-Komödie des Peter Turrini aus dem Jahre 1971. Auf derselben Müllhalde streunen zwei Menschen, die von einem Abendball zu kommen scheinen. In teurer Garderobe, die Frau mit angeklebten Wimpern und künstlichem Haarteil, auch das aber nicht übertrieben und ins Satirische gezogen, sondern in Kostümierung und Bühne stimmig und echt. Die beiden sind ein Paar in der Flirtphase, der Mann verrät, dass er hierher immer gehe und Ratten schieße, da er auf Menschen ja nicht schießen dürfe, da man ihn dann ins Gefängnis stecke. Sie wollen sich  kennenlernen, und das geht nur dadurch, dass sie sich Stück für Stück ihrer Künstlichkeiten entledigen. Leider ist das Turrini-Stück pessimistisch angelegt, denn sie begegnen sich danach nicht echter, sondern zerstören sich. Es bleibt eben nichts mehr übrig von ihnen, nachdem das Künstliche wegfällt, nichts als Aggression und Regression. Dieser schöne Wille des Autors, etwas Wichtiges auszusagen, verfehlt leider seine Wirkung, denn die Zuschauer bleiben der Gewalt und dem gegenseitigen Einschmieren der Protagonisten hilflos ausgeliefert, sie können nicht mitgehen, es nicht auf ihre Welt übertragen, sind nur abgeschreckt.  Gottlob, die Stralsunder Dramaturgie arbeitet hier weder mit Blut noch mit Exkrementen, Seife und blauer Pudding tuns auch, aber nichts desto trotz, es bleibt die 70-iger-Jahre Happeningmasche dem Stralsunder Publikum verschlossen und hätte vielleicht noch anders gelöst werden können. Die Müllberge jedoch passen durchaus, Müll ist Regression plus Geborgenheitssehnsucht, behalten, halten, sich umgeben mit Altem und Bewährtem, aber auch nichts abgeben, nichts weggeben können, da man eben sonst nichts und niemandem hat, Symbol entgrenzter Einsamkeit. Das ist bekannt hierzulande, das ist das Gefühl, was hierzulande an vielen Stellen herrscht. Im Programmheft heißt es dazu:  “Die Dispositive der Macht haben sich verwandelt – aus einem ängstlichen, dümmlichen, manchmal gefährlichen Provinzregime, dessen Utopie eines Arbeiterstaates zu einer klebrigen Kleinbürgertapete mit echtem Stacheldraht mutierte, ist eine totale Diktatur des Konsums geworden, die alle Ressourcen, alle, alle Welten und Kulturen aussaugt, zerstört, verschluckt. Was bleibt sind Produkte/Müll und Wüste…, der Kapitalismus als erste Religion ohne Heil.” (Armin Petras, 2009).

Das Bühnenbild mit herumliegenden Möbeln, leeren, alten Klobecken, Massen von zerknüllten Zeitungen, zerbrochenem Geschirr, einem umgekippten Kühlschrank, sowie die Kostümierung ist derart gut getroffen, dass man dem Jörg Krüger als Rotpeterberber, als er einmal bis in die zweite Reihe den Zuschauern Hände schütteln will, kaum die Hand geben mag.   Das ist der Schlag auf den Kopf, den man brauchte, da wirds einem körperlich klar. Hier werden neue Klassen geschaffen. Jeden Tag schreitet dieser Prozess voran, aus der relativ flachen und verwischten Struktur sich auflösender Klassen in der DDR wird nun täglich mehr knallharte Klassengesellschaft, aus der es kein Entrinnen  gibt. Ein Heer von Menschen wird stündlich ins Meer der Prekarisierten gedrückt, ähnlich wie die Warenansammlungen, die täglich zu immer neuem Müll werden. Und wie der Käfig, den der Rotpeter so trefflich schildert, legen sich diese Klassenschranken wie die drei Seiten des Affenkäfigs an der Kiste um die Menschen herum und bestimmen ihre Wege, ihre Gedanken, ihre Verzweiflung.  Modern und ausdrucksvoll gespielt, mit nachvollziehbaren Bezügen zur Gegenwart, die unter die Haut gehen und zum Nachdenken anregen. Empfehlenswert.

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