Draußen vor der Tür in Hamburg – Rezension

jw / 2.5.11/Feuilleton

Draußen vor der Tür HHWolfgang Borcherts berühmtes Stück »Draußen vor der Tür« meint nun nicht mehr nur noch 1947, nein, es ist jetzt, hier und heute gemeint, erstaunlich, wie gut das gelingt.

Am Hamburger Thalia Theater wird es von Luc Perceval sehr besonders inszeniert. Ein riesiger, schräg über die Bühne gespannter Spiegel gibt das Bühnengeschehen abermals in einem riesigen Bild wieder: aus der Vogelperspektive.  Von oben gesehen erscheinen die Schauspieler als Punkte, die lange Schatten werfen, als wenn sie nachts von Laternen beschienen würden. Aus dieser Perspektive kommt Bewegung in die Toten aus der Erinnerung des Kriegsheimkehrers Beckmann. Sie liegen nicht nur da mit verrenkten Gliedern, sondern werden zu flirrenden Gestalten. Mit einfachsten Mitteln kann sich das Publikum so in die Wahnvorstellungen des überlebenden Soldaten des Zweiten Weltkriegs einfühlen, der hier auch nicht, wie in früheren Aufführungen, gebetsmühlenartig die expressionistischen Wiederholungen des Borchert aufsagt, sondern der Sänger einer Punk-Band ist.

Nie hysterisch, nie manieriert

Beckmann (Felix Knopp) klammert sich an sein Mikrofon, mal flüsternd, mal heiser, mal kichernd, haucht und brüllt er, wie ein eben verrückt Werdender in stereotypen Bewegungen gefangen ist. Knopp spielt mit Überzeugungskraft posttraumatische Kriegsbelastungszustände, bis zur Erschöpfung, aber nie hysterisch, nie maniriert. Das gilt auch für Barbara Nüsse, die den General, den Tod, den Gott und das Freudenmädchen auf so derart verschiedene und skurril-karrikierende Weise spielt, daß man an Piscator und die Pfeffermühle von Erika Mann denkt. Köstlich das rhythmische Schlucken und Klacken, wenn sie sich als General langweilt. Diese Geräusche lassen einen gleichzeitig Rülpsen, Stechschritt und Humpeln mit einem Holzbein assoziieren. Dazu kommt die »Eisenhans-Gruppe«, acht Schauspieler mit Morbus-Down-Syndrom, die mit großer Einfühlung und einzigartiger Körperbeherrschung die weiteren Rollen geben: Leichen, tanzende Tote an Land und im Wasser, Lemuren und die Soldaten, die Beckmann einst befehligte. Großartig!

Modernes Anti-Kriegsstück

Diese Version von »Draußen vor der Tür« ist ein modernes Antikriegsstück. Sehr gelungen ist die ohrenbetäubende Musik, mit der sich die Wut und die Verzweiflung des Beckmann eruptiv entlädt. Sie wird von nur drei Musikern gemacht: Marcus Schmedtje (Gitarre), Dirk Ritz (Bass) und Martin Dog Kessler (Drums). Vielleicht ist es auch durch diesen Kniff gelungen, das Stück in die Gegenwart zu katapultieren, es erinnert jedenfalls kaum noch an die Schullektüre der »Trümmerliteratur« der deutschen Nachkriegsjahre, dafür aber an die Afganistan-Kriegsheimkehrer von heute.

Flüstern wird zu brachialischem Singen

Das Moderne dieser kunstvoll durchdachten Inszenierung rührt auch von der ausgesprochenen Variationsbreite in Stimmlage und Körpersprache des noch jugendlich wirkenden Protagonisten her. Wenn er sein Sprechen und Flüstern in brachialisches Singen verändert, peitscht er seine Wut, sich die Dinge nicht mehr gefallen lassen zu wollen, ins Publikum. Das ist der Grund, warum an der Garderobe, wie in einer Disco, Ohrenstöpsel verteilt werden.

Wo die Bundeswehr für ihren Nachwuchs wirbt

Zu schade, daß man dieses Stück nicht da aufführt, wo die Bundeswehr für ihren Nachschub wirbt, in den Schulen der sozialen Randgruppenbezirke, dort laufen in den Kinos leider immer nur die Kriegsfilme des Imperialismus. Statt dessen muß das Theater dort hinkommen. Ich glaube, diese Borchert-Inszenierung hätte da durchaus Chancen.

 * Nächste Vorstellungen: 10.5., 24.5., 8.6.