Hart am Wind – Hart an der Grenze – Boys don´t cry – Rezension

24.02.2010 / junge welt / Seite 12

Bei der Eröffnung des Norddeutschen Kinder- und Jugendtheatertreffens »Hart am Wind« am Wochenende in Hannover hörte man einiges an Gesellschaftskritik. Die Jugend sei in ihrer Phantasie und Kreativität zu fördern. Sie müsse Sozialkompetenz und Kritikfähigkeit erwerben und, das Wichtigste, an Veränderungen glauben in einer Zeit der Kälte und Ungerechtigkeit, in der jedes vierte Kind von Armut betroffen sei, während für Banken Geldschirme gespannt würden. Nur gesellschaftlich relevantes Theater habe Berechtigung. Nur in Modellen einer anderen Welt läge Hoffnung. Dann kam das Eröffnungsstück am Staatsschauspiel, an dem es auch inszeniert worden war, und es enttäuschte.

»Boys don’t cry« heißt das Stück nach dem gleichnamigen Film, für den Hilary Swank 2000 einen Oscar gewann. Ein Hermaphrodit schlägt sich in der düsteren Einöde Nebraskas als junger Mann durch, bis seine Männerfreunde ihn brutal vergewaltigen und ermorden. Die Bühne von Isabel Robson ist leer bis auf ein weißes Podium; Treppen, die im Hintergrund in eine Art Parkhaus führen und vorn eine Bank (mit kippelnden Jugendlichen). Die Wände sind schwarz.

Regie führte Heike M. Goetze. Zunächst brüllen die Jugendlichen Wut und Langeweile ins Publikum. Außer Stoßstangensurfen und Fledermäusejagen gebe es in ihrem Nest nur Alkohol, kaum Jobs. Man kann froh sein, wenn man in der Spinatfabrik unterkommt, aber Lena ist nicht froh darüber. Zuviel Trost- und Zukunftslosigkeit. Hier stellt sich eine verlorene Generation vor; ungeliebte Kinder mit Eltern voller Haß, die sich an zerbrechende Familien und Freundschaften klammern. Leider bedient die Inszenierung sehr viele Klischees. Die Texte werden ausnahmslos ins Publikum gebrüllt, während die Schauspieler nebeneinander stehen. Das mag als Methapher für Beziehungslosigkeit interessant sein, aber nur, bis es überstrapaziert wird. Eine Liebesszene findet quasi in echt statt, ist recht zärtlich,  es handelt sich ja auch um Liebe unter Frauen, die man sich netterweise immer recht zärtlich vorstellt, sie wird bewußt der Vergewaltigung vorangestellt, hat aber einen eindeutig pornografischen Einschlag.

Das Schlimmste ist das Blutbad am Ende. Nicht nur, daß sich die Vergewaltiger und ihr Opfer komplett nackt in 30 Litern Blut plus ausgeschütteter Blumenerde wälzen, nein, sie zelebrieren die Brutalität als Tanz, als Choreographie, als gegenseitige Verschlingung, eher ein Liebes- als ein Vergewaltigungsakt und die Szene zieht sich 15 Minuten lang hin. Gewalt wird ästhetisiert. Im Ergebnis bleibt man völlig kalt, nichts geht einem nahe. Daß da eine Vergewaltigung gezeigt wird, fühlt man nicht. Mittels des Blutes wird man daran erinnert, daß hier eigentlich ein Mord gezeigt wird. Man wird unempfindlich gemacht. Ist ja nur Farbe, sagt das Bild. Wir spielen nur. Wegen des Brüllens muß man sich die Ohren zuhalten.

Schonungslos wird der Blick auf die intimsten Stellen der Schauspielerinnen gelenkt, während von den Männern meist nur nackte Rücken und Oberkörper gezeigt werden. Hier spätestens wird es ungemütlich. Als wäre das nicht obszön genug, geht dann das Licht aus, und das Publikum ist gezwungen, der Vergewaltigung noch einmal zuzuhören– nur Gebrüll, keinerlei Perspektive, das Opfer fällt kaum noch auf, die Sprache der Täter bestimmt den Ton.

Abgesehen davon, daß Kindern dieses Stück nicht gezeigt werden sollte, hat es mit den eingangs erwähnten Ansprüchen nichts zu tun. Weder zeigt es ein neues Modell von gesellschaftlicher Relevanz noch sonst irgend etwas, aus dem zu lernen wäre. Die finale Ästhetisierung der Gewalt überlagert alles, was bis dahin von den Protagonisten gesagt, kaum gespielt wurde. Spielen ist ab und an doch notwendig, das wird einem hier klar. Und wenn man Gewalt auf die Bühne bringen will, besteht die Kunst im Mut zur Lücke, bloße Abbildungen lassen das Theater verkommen. Geholfen hätte schon eine Aufwertung der Hauptdarstellerin. Mit Gewalt (und Pornographie) scheint die Regie sich dem anzubiedern, was in den Medien als jugendlicher Mainstream firmiert. Wer wirklich Jugendliche kennt, weiß, daß sie anders sind als dieses Bild, das die Warengesellschaft von ihnen zeichnet.

Das Festival läuft noch bis Samstag am Staatsschauspiel, insgesamt gibt es 20 Inszenierungen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert