Schreberzone im Keller (Neuköllner Oper) – Rezension

In die „Zone“ wollten sie uns früher immer rüberschicken, die „Zone“ war das Unwort für den weißen Fleck in unserem Atlas, der wie ein siamesischer Zwilling an Westdeutschland klebte und weder Straßen noch Städte zu haben schien. Eine weiße Insel mit Punkt, die Parallelgesellschaft, in der das Fremde lauerte, das wahre Böse.  `Zone´ in dem kleinen Stück von SchindelKilliusDutschke bezeichnet eine kleinere, auf den ersten Blick vergleichsweise harmlosere Gruppe von Sektierern, die Schrebergärtner. 

Zusammen mit ihrem Namensgeber, geben sie eine Gruppe von Zwangsneurotikern, die sich durch Gradheit der Linien, wie der Erziehungsmethoden auszeichnet. In diesem Falle muss man statt in die Sonne in den Keller gehen. Dazu wurde extra ein kleines Efeu- und Blümchen-umrangtes Tor gestaltet. Nach dem Durchschreiten des Tores, muss man sich ducken und im Gänsemarsch graue Steintreppen hinabgehen und so bei Tagessonnenlicht tief ins Innere eines Hauses hinein, oben an der Decke ein durchgewachsener Wurzelstock, am Ende ein neonilluminierter blendendweißer Raum, in dem in Klassenzimmergröße ein Seminar abgehalten wird.  Marke: Existenzgründung: Was ist dein persönliches „Blitzlicht“, was dein “Profil”, wie fühlst du dich heute, bist du schon bei dir angekommen?  Auf einer Flipchart mal einer Geheimschriftzeichen, ein hochbeiniges Spinett wird links daneben von einem Mann mit einer Zange traktiert, der immer positiv denkende Seminarleiter jeden direkt an: „Ich werde Ihnen jetzt mal die 7 Stufen dieses Seminars erläutern!“ Alles brüllt vor Lachen.

Zunächst wird sich also dem Phänomen „Schrebergarten“ theoretisch genähert, dazu gleich das karikiert, was jeder Spieler und mancher Zuschauer aus eigener Erfahrung kennt, die endlos sich wiederholenden „Übungen“ sich im krisengeschüttelten Kapitalismus als “ganzer Mensch” zu “präsentieren”. Lateinische Worthülsenerklärungen und Gesetzestexte werden nun nach Bachmelodien „gesungen“ und am Spinett begleitet, bis hierher wirkt alles etwas ungewohnt skurril,  eher assoziativ strukturiert. Der dritte Spieler, wenn er nicht den Pfarrer gibt und damit das historische Spiegelbild des Seminarleiters darstellt, klemmt sich an eine Wand und macht seltsam rhythmische Schlagzeug- und Tiergeräusche mit dem Mund, um damit das Spinett zu begleiten. Eine Phantasie-Reisenkarikatur gelingt treffend, alle dürfen endlich mal über das „innerliche Ankommen“ lachen. Dann plötzlich ein fürchterlich lärmender Laubsauger, ein Aufschrei: „wir sind schon knapp in der Zeit!“

Feierabend, Deutsche Scholle

Namen werden aufgezählt: „Feierabend, Deutsche Scholle, Waldesruh…“ Dazu ein auf die Wand projiziertes Bild ein kleines Holzhaus, Typ Waldesruh, rechts donnert eine S-Bahn vorbei, rechts flitzen Autos, 7 Minuten Auto und Bahnrattergeräusche an den Wänden. Die ganze Truppe wird in einen Nebenraum geführt, in dem es wieder sehr nach Keller aussieht, diesmal nach Vorratskeller, Hunderte von Marmeladengläsern stehen eingeweckt auf Regalen, durch die kunstvoll das einzige Licht scheint, an den Seiten Bänke, alles alt, dunkel, spinnwebüberzogen.

Wie der Acker so die Rübchen

Die drei Spieler sehen nun nach 18. Jahrhundert aus, tragen Gartenforken, klappen den Boden auf, ziehen in Kellerbeeten erst Pflanzen an Angelschnüren, dann sich gegenseitig am Kleiderhaken hoch. Ein Mensch, der solchermaßen gefesselt, gebückt und an einer Angel geführt im Kreis geht. Dazu wird nun Schreber zitiert, der Vater und der Sohn. Beide in dieser entlarvend pathologischen Entsprechung. Der Vater mit seinen metallisch-erfinderischen Erziehungsfoltermethoden, der Sohn mit seinem daraus abgeleiteten Wahn, von Gott oder von Strahlen gelenkt zu sein. Motto: „Alles entartet, was aus den Händen des Menschen kommt, den Menschen muss man stutzen!“ und: „Bleibe unermüdlich im Streben nach der wahren Freiheit zur Selbstvereledelung!“ Dazu gesang: „Wie der Acker, so die Rübchen, wie der Vater, so die Bübchen, wie die Mutter, so die Töchter, aber immer etwas schlechter!“ Gymnastik: Kopfkreisen, Knie heben, Rumpfbeuge, gehen mit durchgestecktem Stabe, einer der Gartenbauern macht es vor, dabei wirft er die Arme abwechselnd , das erinnert entfernt an den Hitlergruß.  Zwischendurch wird auch Musik gemacht, mit Hämmern wird auf Gartenforken eingehauen, mit Harken wird auf Holzböden gekratzt, klingt sehr eigenwillig unterirdisch.

Dornige Wege gehen

Schließlich wird das Publikum in einen helleren Raum geführt, dort rotweißkariert bezogene Bierbänke in Art kleingärtnerischer  Gemeinsamzwangsidylle. Man prostet, man singt zur Quetschkommode, man ist in den 20-iger Jahren angekommen, wo sich, wie man mit einem Blick bemerkt, die Kleingartenzunft noch heute befindet. Friede, Freude, Harmonie, zwei Kriege sind glatt verschlafen worden.   Die Zusammenhänge zwischen „Blühenden Landschaften“, „Zucht und Ordnung“, „Kraut und Rüben“ „Jemanden zurechtstutzen“, „Streit und Hass sähen“ , sich auf „Wurzeln besinnen“, einen „dornigen Weg gehen“ und „Bedürfnisse beschneiden“ mit dem gewaltsam postulierten Rückzug in die enge augenverschließende Idylle, wo man friedlich seine Kinder genauso behandeln kann wie die Vorgartenhecke, nie zu hoch wachsen lassen, seitlich schießende Triebe rechtzeitig abschneiden, sind originell und witzig erklärt worden, trotzdem leidet dieses Erklärungsstück nicht an Stumpfsinn und Langeweile, da Tobias Dutschke mit seinem stechenden Blick den idealen Zwangsneurotiker, Rainer Killius den freundlich lächelnden Thyrannen, der noch dazu musikalisch ist und Volker Schindel den Existenzgründerseminarleiter von heute spielt, wahlweise Chirurg oder Heiler, Entspannungstherapeut oder ADHS-Pädagoge, er hat etwas köstlich Suggestives in seinem Auftreten, ein gelungenes Pottpouri zu einer staatserhaltenden Methode, die Menschen klein zu halten und ihnen dabei auch noch die Illusion von Nahrung und Beschäftigung zu geben.

Weitere Aufführungen: www.neukoellneroper.de