Der Kick – Rezension

jw / feuilleton / 22.10.12

Am Vorabend eines Naziaufmarsches, der am Samstag durch Wismar führte, lief im 50 Kilometer entfernten Rostock An­dres Veiels Dokumentartheaterstück »Der Kick« (Premiere: 17.10.).

Es erzählt die Geschichte eines Mordes, den Neonazis vor zehn Jahren im brandenburgischen Potzlow verübten. Drei Schauspieler sprechen Texte von Dorfbewohnern, Tätern sowie Freunden und Familienangehörigen des 16jährigen Opfers Marinus Schöberl. Kostümiert sind sie mit schwarzer Sportkleidung, wie sie heute von Faschos, Polizisten und Antifas getragen wird, die nicht identifizierbar sein wollen. Anzeichen einer Militarisierung, die Angst machen kann.

Auch das Dorf ist ein ganz normales

Die Täter kommen nicht aus besonders schwierigen sozialen Verhältnissen, auch das Dorf ist ein normales. Es gibt Kaninchen- und Taubenzüchter, Blumen in den Fenstern. Kaum einer hat Arbeit. Konsum, Friseur, Fleischer, Autoschlosser haben zugemacht. »Firmen kamen, übernahmen Betriebe, zeigten uns, daß es auch mit weniger Leuten zu machen ist.« Unter einem Flachdach schmieden Neonazis mit älteren Dorfbewohnern Rachepläne. Der Haß richtet sich gegen Polen, Juden, Türken, »Fidschis« – alles, was nicht deutsch ist. Deutsch sind Arbeit, Familie, Ordnung, Heil Hitler.

Ich bin Jude, ja, ich bin Jude

Ausländer gibt es im Dorf nicht, und so richtet sich der Haß gegen Marinus Schöberl, den sie aus der Schulzeit kennen. Er kommt aus einer kinderreichen Familie, hat einen Sprachfehler, kann keiner Fliege etwas zu Leide tun. In der Mordnacht wird er verhöhnt, dann gefesselt und verprügelt. »Ich bin Jude, ja, ich bin Jude«, muß er sinn- und hilflos wiederholen. An einem Schweinestall wird er schließlich mit einem »Bordstein-Kick« ermordet. Die Leiche wird in einer Jauchegrube entsorgt. Die Mörder schlafen gut, verraten sich vier Wochen später durch Angeberei.

Man macht det eben so

Rechtfertigungen haben sie nicht nötig. Sie reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist: »Wenn ich gegen den wat gehabt hätte, dann hätt’ ich schon früher wat mit ihm gemacht. Jude, det hab’ ich schon zu vielen gesagt und die hab’ ich auch nicht umgebracht. Man macht det eben so, weil’s Spaß macht und weil’s nichts anderes gibt, was man machen kann.« Und dann die Botschaft: »Es ist in Potzlow passiert, aber Potzlow ist fast überall.« Die Rostocker Dramaturgin Swantje Nölke hat Veiels Vorlage geschickt bearbeitet. Die Choreographie ist so minimalistisch wie treffend.

Ins Krankenhaus geprügelt

Am Samstag protestierten in Wismar etwa 800 Menschen gegen 250 Neonazis. Einige Jugendliche, die sich an Sitzblockaden beteiligten, wurden nach Angaben der Veranstalter von Polizisten »ins Krankenhaus geprügelt«.

Nächste Aufführungen: 30.10., 22. u. 27. 11., 18 Uhr, 7. u. 27.11., 10 Uhr, Theater im Stadthafen Rostock

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