Yasou Aida in der Neuköllner Oper – Rezension

Yasou Aidajw /feuilleton/ 31.1.2012

Die Neuköllner Oper hat sich etwas vorgenommen: Das griechische Drama auf die Bühne zu bringen. Oder vielmehr, das zeitgenössische Drama um Griechenland. Um Stücke von Aristophanes oder Sophokles geht es der Neuköllner Oper dabei weniger.

Ziel sei zum einen nämlich gewesen, den momentan gängigen Ressentiments gegen das hellenische Volk entgegenzuwirken, und zum anderen, einen Überblick über die finanzpolitischen Zusammenhänge zu bieten. Die Idee: Eine moderne Version der »Aida« zu bringen (ursprünglich ja etwas Ägyptisch-Französisches mit spanischem Namen und italienischem Autor, nämlich Verdi), auf dem Hintergrund des Finanzkriegs der EU gegen das griechische Volk. Aber nicht nur das: Es wurde eine Ko-Produktion griechischer und deutscher Musiker und Regisseure, die die Oper direkt aus ihren konkreten Bedingungen schufen, wie auch im Programmheft im Inszenierungstagebuch, das zwischen Athen, Thessaloniki und Berlin-Neukölln geführt wurde, erzählt wird.

Angela Merkel wie die Göttin Isis

»Yasou Aida!« statt nur Aida. Verdis Oper handelt von der Unterwerfung der Äthiopier durch die nördlich angrenzende, siegreiche Großmacht Ägypten, in der drei junge Leute ihre privaten Wünsche gegen dieses System der Unterwerfung entwickelten. »Ein Volk wird unterworfen und vorgeführt, und so fühlen wir uns auch«, so Alexandros Efklidis (Idee und Regie). »Eine Figur wie Angela Merkel scheint in unserer Presse wie die Göttin Isis, die letztlich über Gedeih und Verderb entscheidet.«

Mutig die Handlung in einen Börsentempel verlegt

Aida ist nun von der Königstochter zu einer EU-Praktikantin geschrumpft, ein Trainee mit Aufstiegswünschen. Radames, der sich dem Krieg verweigert und sich in die Tochter des Feindeskönigs, nämlich Aida, verliebt, wird zu Rainer Mess, einem Mitarbeiter im grauen Anzug. Die Musik ist klassisch Verdi mit neu unterlegten Texten. Das gewagte Unternehmen, das mutig die Handlung in einen der neuzeitlichen Politbörsenpaläste verlegt, wo leeres Stroh in englischer Sprache gedroschen wird, leidet aber ein wenig darunter, daß die Neuzeit zu fade für die Gewalt von Verdis Musik ist. Denn wo Leidenschaften musikalisch ausgedrückt werden, sind keine Leidenschaften im Ambiente des Börsentempels spürbar.

Nur ein kühler Flirt

Die Liebelei zwischen dem Trainee und ihrem Kollegen Rainer Mess entbehrt jeder Leidenschaft, sie ist nichts, ein Flirt, ein kühler Hotelzimmerabend, eine Handybekanntschaft, die Eifersucht der anderen Frau nichts als Zickenterror, kein Vergleich zur Vorlage, die ein klassischer, shakespeare-esker Plot ist. Es mag am zugegeben gekonnt karikierten EU-Ambiente mitsamt ihren Barbiepuppen liegen, aber die Täuschung ist zu echt, es kommt kein Gefühl einer echten Liebe auf, daher auch keine Betroffenheit über das Unrecht. Natürlich ist es streckenweise witzig, und politisch werden viele Wahrheiten über die postkolonialistische Neuzeit herausgedonnert, gesungen wird auch professionell und schön (besonders der Bass: Arkadios Rakopoulos, aber auch die Frauenstimmen bestechen durch kraftvolle und selbstironische Interpretation: Lydia Zervanos, Sopran, Anna Riche, alt), doch leider, leider – inhaltlich ermüdet die Geschichte.

Findet irgendwie nicht zu sich selbst

Die kleine Affäre der Aida, in der sich die ganze große Politik spiegeln soll, schafft es hier eben nicht zu nachvollziehbarer, fühlbarer Größe. Womit leider auch die politischer Kraft verloren geht. Mit anderen Worten: Das Stück findet irgendwie nicht zu sich selbst. Vielleicht ist die politische Intention zu sichtbar, zu eindeutig, zu stark dem alten Stück angeklebt. Es gibt zu wenig Dialektik, die Handlungen sind zu wenig widersprüchlich, eine wirkliche Spannung baut sich nicht auf. Die Einheit des Ortes wird übertrieben, alles spielt sich im Konferenzgebäude ab, wo man sich fühlt wie im Raumschiff Orion, es fehlt jeder Bezug zur Realität, die aber doch die wichtigste Rolle hätte spielen müssen.

Debtocracy – ein sehr guter Aufklärungsfilm

Drei Tage nach der Premiere legt die Neuköllner Oper noch mal nach: Eine Filmvorführung des glänzenden griechischen Films »Debtocracy«, ein Film, der dem Phänomen Staatsschulden nachgeht, die als illegitim bezeichnet, belegt und bewiesen werden. Der Film zeigt unter anderem, dass die Entschuldung von Staatsschulden immer dann möglich ist, wenn es unseren internationalen Finanzoligarchen gefällt, nach kriegerischer Niederwerfung des Iraks und Sadaam Husseins Sturz plus Ermordung, war es den Nachfolgern mit einem Federstrich möglich, in anderen ähnlichen Fällen auch. Ein toller Film, höchstseltsam nur, daß er ausgerechnet von der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung präsentiert wurde, die ihn allerdings im beiliegenden Prospekt als »einseitig« denunziert hat und mit langweilig salbadernden Finanzexperten als Rednern garnierte, die das freie Unternehmertum gegen die Finanzhaie verteidigen wollen und damit dem Modell raffendes und schaffendes Kapital das Wort redeten. Schade also, dass die Neuköllner Oper sich zum Steigbügelhalter der absteigenden FDP machen muss. Das hat sie dann doch nicht nötig.

Yasou Aida!, 2.–5., 9.–12., 16.–19. und 23.–26. Februar, 20 Uhr, Neuköllner Oper, Berlin (Das Stück wird in Doppelbesetzung gegeben, so dass die angegebenen Künstler nicht der jeweils gesehenen Aufführung entsprechen können)

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