Komödie der Irrungen im Rostocker Sommertheater

Im Rostocker Sommertheater spielt Shakespeare. Jedes Jahr erwacht im Sommer die Compagnie de Comedie´ im Klostergarten Rostocks zu komödiantischem Leben. Dies ist mit keinem anderen Sommertheater vergleichbar.

Schwerpunkte sind meist Moliere und Shakespeare. Ihr Spiel ist gauklerhaft, klug und oft mit politischem Hintersinn. Die Kulisse scheint auf einen Handwagen zu passen. Kein Glimmer, kein Glitzer, kein Slapstick. Es ist, als sei eines der fahrenden Theater der Molieré- und Shakespaere-Zeiten selbst vorbeigekommen um sich dem heutigen Publikum einmal wieder kurz zu zeigen.

Und während sich die braven Bürger Rostocks entlang der Hafencity-Meile mit Blick auf hundertjährige Schiffe aufreihen und dabei der Marine auf den Leim gehen, sammelt das Sommertheater im Klostergarten nahe der Stadtmauer die wenigen Eingeweihten, die jedes Jahr im August das Stuhlreihenpodest füllen.

Diesmal gab es das Spiel: Komödie der Irrungen. Entstanden zwischen 1592 und 1594, ist es ein recht selten gespieltes Stück, früheste Shakespaere-Komödie. 1963 wurde es vom begnadeten Otto Tausig (Kindertransportkind-Überlebender, Kommunist, Burgtheaterschaupieler und Drehbuchautor) neu übersetzt und erstmalig mit nur zwei Schauspielern für die vier Zwillingsrollen inszeniert.

Diese Fassung griffen die Rostocker auf und das Ensemble setzte es in einer wirklich glanzvollen Weise um. Nicht ein Witz ohne zahllose Mitbedeutungen und Hintersinn, alle Schauspieler super: Fabian Ranglack in der Doppelrolle der Diener (Zwillingspaar Dromeo) spielt auf einmalige Weise komisch. Er scheint ein wahrer Nachkomme damaliger Komik. Bei ist jeder Gesichtsausdruck ein Geschenk ans Publikum, und jedes Wort, jeder Blick, jede der vielfältig besonderen Gesten ist bemerkenswert virtuos. Mit Einsatz des ganzen Körpers spielt er enorm verschiedene Varianten des Staunens über die Fremdheit und Verrücktheit der Welt und seines Herrn, auf die er sich keinen Reim machen kann, es aber dann immer wieder doch einfallsreich tut.

Eckhard Ischebeck als die beiden Herrn (Zwillingspaar Antiopholus) kann herrlich grimmig gucken, auch sehr gut staunen und unterschiedliche Arten von Herrschaft (von kumpelhaft bis gemein) perfekt ausdrücken, Dörten Thielk, mal als die kleinere Schwester der Herrin, mal als Polizist spielt zwei Varianten von durch Herrschaft geprägte Naturen, sie spielt klar, einfach, großartig, und ganz groß: Sonja Hilberger als die eifersüchtige Frau, sie macht es köstlich zickig und leidenschaftlich. Zuletzt ein Hoch auf Georg Haufler, dem Urgestein der Compagnie de Comedie´, der den Aegeon spielt. Ihm geben zu Beginn die anderen Spieler alle übrig gebliebenen Rollen, in Form kleiner Tücher, Mützen, Assessoires, legen sie ihm die Rollen auf die Ärmel. Er gibt sich weise, alt, vertrottelt und fürstlich, als Goldschmied, Kapitän und Handwerker, zweimal als Frau. Shakespaere hätte seine helle Freude an dieser köstlichen Aufführung gehabt, die genau das richtige Maß zwischen Komik und Ernst hält, zwischen Gesellschaftskritik und Belehrung.

Das Stück beginnt als Flüchtlingsdrama und wird vom Ensemble auch in diesen Zusammenhang gerückt, an der großen drehbaren Doppeltür, die das Bühnenbild abgibt, kleben zu Beginn zwei Zettel mit neuzeitlich-rechten Parolen: „Das Boot ist voll“ und „Heimreise statt Einreise“, beide reißt der gestrandete Aegon aus Syrakrus ( Das Stück von Shakespaere ist eng an eine griechisch-antke Vorlage angelehnt), auf dem Weg zum Fürsten ab. Es  erwartet den Vater der auf der Schiffsflucht getrennten Zwillinge das Todesurteil, da er nicht die 1000 Dukaten Einreisekosten bezahlen kann. Daraufhin antwortet dieser dem Fürsten, dass dann nur Not und Elend endigen würde, da er eine traurige Geschichte erlebt habe und der Fürst aber nun leder nicht erfahren dürfe, wie reich er einmal gewesen sei, aber: „Wie kann ich hoffen, dass ein Fürst mir, einem Illegalen, glaubt!“  Da wird der Fürst neugierig und lässt sich vom Aegon die Geschichte seiner Flucht übers Meer erzählen. Diese ähnelt den tausenden Geschichten, die wir heute täglich hören und lesen frappierend. Seit Jahren werden Flüchtlingsgeschichten vergeblich erzählt.

Sein Flüchtlingsboot brach auseinander und er und die an ihm anklammernden Kinder wurden von der Mutter und ihren Kindern getrennt und von verschiedenen Schiffen aufgenommen. Nun suchen er und sein Sohn die Frau und den anderen Sohn. Beide sind Zwillinge und kurz vor der Flucht, er war vormals ein reicher Kaufmann, hatten sie zudem ein anderes Zwillingspaar angenommen, die später ihrer Kindern Diener sein sollten. Sein Sohn und Diener seien herangewachsen, hätten aber die anderen noch nicht gefunden, nun habe er Kunde erhalten, dass seine Restfamilie eventuell in Ephesus leben würde.

Szenenschnitt: Man sieht die beiden Zwillingshälften, Antiofolis und seinen Diener Dromeo aus Syrakrus im fremden Ephesus anlanden. Das weitere Spiel ist die schwierige Auflösung der lange vergeblichen Suche: Denn nun begegnen sich in Ephesus, wo das andere Zwillingshälftenpaar sesshaft geworden ist, fortwährend die vertauschten Herren und Diener und verstehen einander nicht mehr. Das Stück verhandelt metaphorisch die Tatsache, dass Menschen, die sich fremd sind,  einander in Wahrheit doch sehr gleichen, obwohl sie es meist nicht wahrhaben wollen. Insofern ist dies Stück ein Spiel mit humanistischem Hintersinn. Ansonsten würde es nicht über 400 Jahre und, da es einer antiken Vorlage entstammt, über Tausende von Jahren, verstanden werden und eine noch heute und wahrscheinlich für immer gültige Wahrheit enthalten: Der Mensch ist dem Menschen überall auf der Erde Zwilling, er muss dies nur erkennen und im anderen den Bruder sehen.

Otto Tausigs Übersetzung  ist eine überaus gute und moden gelungene Wahl, ein Kunstwerk der Wortspiele, der Schlagfertigkeit, der Situationskomik. Nicht nur den antiken Ursprungsdichter oder den englischen Dramatiker, auch den deutschen Übersetzer und großen, fast schon vergessenen Theatermenschen Otto Tausig haben wir in diesem Stück neben dem Ensemble zu ehren. Unbedingt reingehen, spielt zum letzten Mal Ende August, lohnt sich sehr. Ein Mutmachstück, weil es durch bildreichen Wortwitz erhellt und hochkarätiges, leidenschaftliches Theaterspiel zeigt.

Nächste Aufführungen: 13.8., 19.8., 22.8., 27.8. und 30.8.15, jeweils 20.30 Uhr

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