Liebesbrief einmal anders

Lieber W.

Ein Geständnis, nein, eine Beichte, falsch, ein Bericht, also etwas rein Sachliches, nur zur Info und zur Begründung des Schrittes, den ich jetzt gehen muss.

Es ist etwas passiert, was man nicht logisch erklären kann, sondern was nur eine Reihe völlig unlogischer Elemente besitzt. Wir kennen uns kaum, aber nun ist etwas passiert und das will ich dir kurz erzählen: In den ersten Sekunden unserer zweiten Begegnung, im Theater am Schlosspark, ist mir ein Splitter in den Kopf gesaust, ein Pfeil durchs Herz gedrungen, so nannte man es früher, ich kann dir nicht sagen, warum, eine Anziehung von mir Besitz. Beim ersten Mal, am Rand der B-Versammlung war das nicht gewesen, da war nur ein nettes Gespräch, nun war es anders, nun gab es schon das Bedürfnis zu reden und zuzuhören. Und dann plötzlich das Gefühl, damit nicht aufhören zu wollen. Dann das Bedürfnis, dich anzusehen, dein Gesicht, deine Augen…und dann das Gefühl, dass deine Augen…, also dass du mich verstehst, erkennst… und nun muss ich schon deinem Blick ausweichen… Also peinlich, wie im Kitschroman. Besonders da dies schon auftrat, als du erst gerade in den Raum kamst, ich noch mit einem anderen sprach, ich dich nur aus dem Augenwinkel und von halb hinten sah. Es schien mir für einen kurzen Moment, dass du wiedererkennend zu lächeln schienst, war es in freudiger und neugieriger Vorerwartung unseres halbverabredeten Treffens? Ich merkte dann, wie meine Mundwinkel sich von selbst hochzogen und wie auch bei mir im Gesicht, ohne mein Zutun, ein freudiger Ausdruck erschien, als sei dies mit deinem Gesicht verabredet. Soweit so gut, jeder kennt das, klingt abgedroschen, ich hätte dir das nie geschrieben. 

Unser Gespräch danach habe ich als freundschaftlich übereinstimmend, geradezu innig empfunden, ich wusste nicht, wie und warum das geschah. So alt ich bin (ich habe gleich am nächsten Tag, als ich nach dir googelte, festgestellt, dass ich 18 Jahre älter als du bin, Du also mein Sohn sein könntest, ich also von allen guten Geistern verlassen sein muss, wenn ich dir das hier auch noch aufschreibe), jedenfalls so alt ich also bin, so sehr erstaunt mich das Phänomen einer solchen Blitzanziehung immer wieder. Was liegt dem zugrunde? Woher kommt es? Es passiert nur äußerst selten, und jedes Mal denke ich, es ist nicht wahr. Jahre oder Jahrzehnte liegen dazwischen. 

Also freue ich mich immer, wenn es mir „passiert“ und so habe ich solche Gefühle, wenn sie über mich herfielen, bisher nie unterdrückt, habe sie immer ausgedrückt, ausgesprochen, ausgelebt, je nachdem, also denjenigen erobert oder dies vielleicht nicht geschafft. Es hat, bei Gelingen, meist zu wesentlich haltbareren und besseren Beziehungen geführt als jene, die nicht so begannen, sondern vom Partner initiiert wurden, wo ich nur „angesteckt“ wurde, oder mitging. Das spielt hier allerdings keine Rolle, denn du hast eine Freundin, was du mir gestern, mit der Einladung auf die Party, sozusagen vorsichtig und diskret, also freundlich, ohne mich direkt abweisen zu müssen, vorgeführt hast. 

Ich wollte von dem Gefühl schon runter, als ich begriff, wie groß der Altersunterschied zwischen uns ist. Deine grauen Haare haben mich da aufs Glatteis geführt, ich hatte auf einen gut erhaltenen Endvierziger getippt und das wäre nicht ganz so schlimm gewesen, aber so geht es ja gar nicht, ich will mich nicht lächerlich machen. Aber meine Neugier auf dich war zu groß, da war ein Funke geflogen, der hatte schon eine Lunte gezündet, die brannte nun leider schon. Nachdem ich auf meine etwas stürmische Kontaktaufnahme im Nachklang unserer Begegnung dann deine eher höflich-interessierte Reserviertheit bemerkte, zog ich mich erst mal zurück, konnte dies aber nicht lange durchhalten und so kam es zu erneutem von mir initiiertem brieflichem und telefonischem Kontakt. 

Kurz und gut, gestern konnte ich, nachdem ich den Kuss deiner Freundin angesehen hatte, keine einzige Minute mehr bleiben und beim anschließenden Versuch, ins Gespräch zu kommen, zwangen mich unbekannte Kräfte, mein Gesicht deiner Freundin zuzuwenden, da ich Angst hatte, das Feuer nicht bändigen zu können, was mir aus den Augen kam. Ebenso hatte ich schon vorher, als ich hinter dir saß, das Gefühl, dass sich um uns herum eine Art Magnetfeld aufbaute, und als du dann, in einer Art Übersprungshandlung, wie mir schien, mehrmals mit deinen Händen nach hinten griffst, um dein Haar zu ordnen, was locker zu einem Zopf gebunden war, da wurde ich heftig von dem Wunsch  befallen, deine Hand zu berühren und dein Haar zu streicheln, durch das glitzern das Licht fiel.  Wenn ich mich nach vorn beugte um dir etwas mitzuteilen, so schien mir diese Nähe überaus wunderbar. Soweit war es schon. Ich hatte mir etwas zu essen geholt, das lag in zwei Teile zerschnitten vor mir, ich musste mich bremsen, dir nicht die eine Hälfte anzubieten. Ich hatte kein Problem damit, das hatte ich schon auf dem O.- Feier bemerkt, mit dir sofort und augenblicklich alles zu teilen, was ich auf meinem Teller hatte, oder auch, von dem zu essen, was du auf deinem Teller hattest. 

Ein purer Irrsinn, denn nichts rechtfertigt dieses Nähegefühl. Es scheint sich um eine heftige Übertragungsneurose zu drehen, wie eben jede Verliebtheit es ist, psychologisch betrachtet. Es ist eine Art Krankheit, bei der man sich wie ein irrsinnig gewordener Mensch verhält und das ist mir auch schon bekannt aus anderen, früheren Zeiten, wo es mich ähnlich krankhaft befiel. 

Entschuldige, ich schreibe dir das hier nicht auf, um Mitleid zu erregen, sondern aus dem Grund der Information, ich finde, du solltest, auch wenn du gebunden und nur freundschaftliches Interesse an mir hattest, doch wissen, was du in mir ausgelöst hast. Ich glaube, jeder sollte wissen, wann er und dass er und wie er ein solches Gefühl bei jemandem auslöst. Weil wir nämlich so oft glauben, dass wir nicht liebens- oder begehrenswert seien. Begehren, oder der Anfang davon, jedenfalls das Gefühl, das ein leidenschaftlich blitzartig entstehendes Sympathiegefühl ist, für eine bis dahin völlig fremde Person, das gibt es eben. Das kommt vor. Das passiert einem. Auch umgekehrt, passiert es anderen auch manchmal und das ist doch immerhin bemerkenswert. Meist verrät man so ein Gefühl nicht und möchte es geheim halten, bis man eine reale Chance hat. Ich bin aber dafür, dass man es äußern sollte. Nur muss man dann gehen. Sofort. Sonst hat man keine Chance. Danach kann der andere entscheiden, ob er sowas auch fühlt und dem nachgehen will, oder ob er es nicht erwidert und leider abweisen muss.

So ein Gefühl ist aber etwas, was sein Recht hat, seine eigene Bedeutung. Und sei es nur die, ein einziges Mal nur kurz dagewesen zu sein und Glück gespendet zu haben. Es besitzt Größe und kann auch Großes möglich machen, und selbst, wenn es nur einen Moment lebt, selbst bei Einseitigkeit, hat so ein Gefühl seine besondere Bedeutung. Es enthält etwas Unerklärliches.  

Und dafür will ich dir hier danken, denn das fühlt sich lebendig an, das fühlt sich gut an, das ist ein Genuss gewesen. Kennst du das aus auch, vielleicht aus anderen Gelegenheiten? Da fühlt man sich wieder stark und gut und innerlich ist man voller sprudelnder kleiner Springbrunnen.  Du kannst übrigens froh sein, das sage ich dir, dass du nicht solo bist und Du dich dann womöglich in einer schwachen Stunde auf mich eingelassen hättest, denn ich bringe nur Unglück und könnte hier mit einer Liste von perfekt begründeten Selbstabwertungen aufwarten, aber das lass ich lieber. 

Was machen wir damit nun? 

Ich mache es so, es geht nicht anders: Ich darf dich nicht wiedersehen. 

Das ist nicht böse gemeint, aber das ist die einzig richtige Konsequenz, die auch Dostojewski in den weißen Nächten zieht, als sich die, die er zu lieben begonnen hatte, doch wieder mit ihrem Liebhaber geeinigt hat, er teilt ihr mit, dass er sie nie wiedersehen darf. Sie versteht das nicht und wünscht sich Freundschaft, sie lädt ihn sogar zu ihrer Hochzeit ein. Er aber liegt mit Fieber in seiner Bude und ihm würde es das Herz aufreißen, würde er sie mit ihrem Liebhaber Hand in Hand zum Altar schreiten sehen. Nicht ganz so kitschig geht es mir, aber noch einen Kuss zwischen deiner Freundin und dir kann ich leider nicht aushalten. Und es wäre Heuchelei, würde ich mit euch eine Freundschaft zu pflegen versuchen. Mein Gefühl würde mich durch Unerfülltheit quälen, gleichzeitig würde mein heimliches Werben mich in eine Konkurrenz zu deiner Freundin bringen, in der diese dann als eifersüchtig gilt, wenn sie es spürt und ich die nette Fremde bleiben kann, die das scheinbar nicht gewollt hat. Das ist das Gift, mit dem man Beziehungen kaputt machen kann. Das geht nicht, das will ich nicht. 

Heute früh träumte ich von Dir und wie wir, ganz selbstverständlich umschlungen in einem Bett miteinander lagen, entschuldige die indiskrete Phantasie, und ich sah dann, wie wir miteinander vertraut sprachen. Wie ich dich berührte, dein Haar, deine Hände, deinen Körper und wie warm das war und schön und wie wir dazu lachten und wie geborgen, ungeheuer geborgen sich das anfühlte. So, als würden wir uns schon lange kennen. So weit ist es also schon mit mir, du siehst, da hilft nur Abstinenz. 

Entschuldige bitte, dass dies hier jetzt so unvermittelt sexuell und körperlich wird, was sicher irritierend für dich ist, besonders, was peinlich wäre, aber sicher vorstellbar und nur zu wahrscheinlich, dass du dies alles nicht gefühlt hast. Grundlage meines Gefühls ist aber durchaus etwas anderes, eine Ahnung, natürlich nur eine Ahnung. Eine Ahnung eines Einverständnisses, das sich bisher auf unsere Lust zu schreiben und unsere ähnlichen Themengebiete bezieht und die zwei, drei Gespräche, die wir bisher geführt haben. 

Vielleicht ist es auch die Logik deines spezifischen Charmes, mit dem du mich eingefangen hast, denn man muss natürlich, wenn man nachdenkt, sagen: Wir kennen uns nicht! Und doch ist es entstanden. Dafür danke ich Dir und das sollst du wissen, weil das dem Selbstbewusstsein nützt, und das ja nicht schaden kann. Mehr nicht. Ich verabschiede mich jetzt mal langsam. 

Es gibt zwei Möglichkeiten: Du hast das auch gefühlt, dann hast du jetzt was nachzudenken, du hast das nicht gefühlt, dann hoffe ich, dass du meine Gefühle nicht verlachst. In beiden Fällen wünsche ich mir, dass du meine Entscheidung, mich aus deinem Leben wieder zurückzuziehen, akzeptierst, ohne mir böse zu sein.

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