Müll im Garten Eden – Filmrezension
Es beginnt mit Vogelgezwitscher, die Kamera fährt über Teefelder in sattem Grün. Seit Hunderten von Jahren wird im Dorf Çamburnu im Nordosten der Türkei Tee angebaut. Doch »vollgeschissenen Tee« wollen die Leute nicht trinken, sagen die Leute.
Aufgebracht stehen sie am Rande einer riesigen Grube, in die Müll abgeladen wird. Früher wurde hier Zinn abgebaut. Eines Tages kamen Bagger, hoben die Grube des Tagebauwerks tiefer aus, beschwerten eine Plane mit Steinen und gruben ein paar Schächte, um das Wasser aufzufangen – fertig war die Mülldeponie. »Als die ersten Lastwagen kamen, dachten wir, es läge eine Leiche auf dem Feld«, erzählt eine Frau, »wir trauten uns nicht hinzugehen, weil wir Angst hatten, auf eine Leiche zu treten«. Sie hat gerade eine Teeplantage von ihren Eltern übernommen.
Einzelne Höfe kein Wohngebiet
2007 mußte der Bürgermeister erkennen, daß die weitläufig verteilten Höfe der Bauern nicht als Wohngebiet gelten: Deshalb hatte die Regierung den Standort für die Mülldeponie ausgewählt. Seitdem hat der Hamburger Filmemacher Fatih Akin die Geschichte der Deponie und des Widerstandes gegen sie dokumentiert. Ursprünglich wollte er das Leben seiner Großeltern erzählen, die in Çamburnu leben. Dann erfuhr er von den Plänen für die Deponie und begann eine Langzeitstudie über den Terror der Ökonomie auf lokaler Ebene.
Müll als Sinnbild
Wie er es angestellt hat, mit einem Filmteam vor Ort zu sein, wenn Lecks und Sturmschäden eine schwarze, giftige Brühe aus der Deponie die Hügel runterfließen ließen, verrät er nicht. Ebensowenig stellt er – anders als beispielsweise Michael Moore– eine wissenschaftliche Untersuchung über die Beschaffenheit des Mülls an. Der sieht einfach nur abstoßend aus und Akin filmt ihn aus subjektiver Perspektive – als Sinnbild für eine korrupte Müllwirtschaft. Angeblich soll die Deponie die Kosten für die Müllentsorgung senken, das können zumindest die Anwohner nicht feststellen. Auch muß man gar nicht auf Überschwemmungskatastrophen rekurrieren, schon im Normalbetrieb ist die Deponie für die ungefähr 2000 Dorfbewohner eine große Belastung. Denn sie stinkt.
Wir sind keine Terroristen
Als die Polizei kommt, trifft sie auf protestierende, mit Schals und Tüchern vermummte Frauen, die den Beamten lachend zurufen: »Wir sind keine Terroristen, das ist nur wegen dem Geruch!« Doch die Polizisten kennen kein Pardon. Die Frauen zum Glück auch nicht. Als einige Politiker zu einem Anhörungstermin in ihren Autos anreisen und schnell wieder verschwinden wollen, lassen die Frauen das nicht zu: »Nein, nicht wieder einsteigen, schaut euch an, was ihr angerichtet habt!« Vermummt stellen sie sich vor die Autos und berichten ganz sachlich, was bei ihnen los ist. Tag und Nacht wird die Deponie von Hunderten Hunden und Tausenden Geiern bevölkert. Die Tiere tragen Kadaver weit in die Teefelder hinein, verteilen Müll und Exkremente in der ganzen Gegend (Akin hat das gefilmt).
Zukunft verloren
Die Frauen schreien die verdatterten Politiker an, dass sie doch bestimmt auch keinen vollgeschissenen Tee trinken wollten! Das Dorf hat seine Zukunft verloren, die jungen Leute ziehen weg. Und dann zeigen die Frauen den Politikern ein neues Leck, die schwarze Brühe fließt ihnen entgegen. Was soll man dazu sagen?
Wir beobachten und fotografieren
Einzig der Bürgermeister wirkt als Politiker integer. Seit fast zehn Jahren kämpft er gegen die Deponie und ihre bürokratisch-ignoranten Verantwortlichen. Er wurde verklagt, freigesprochen, klagte selbst, verlor. »Aber wir geben nicht auf«, sagt er. »Wir beobachten, fotografieren, dokumentieren die Vergiftungsfälle. Wir lassen uns unseren Ort nicht zerstören. Das, was hier passiert, hat uns die Augen über die ganz normale Politik geöffnet.«
Akins Ansinnen ist hier nicht ein wissenschaftlich-analytisches, hat seinen Dokfilm aber nahezu perfekt dramatisiert und durchkomponiert. Er zeigt, wie sich gesellschaftliche Opposition gegen eine rücksichtslose Wirtschaftsordnung entwickelt.