Nachrichten aus der ideologischen Antike – Rezension
Der sperrige Titel hatte mich nicht abgehalten, die Idee Marx auf die Bühne zu bringen auch nicht, dass Sergej Eisenstein zum Vorbild genommen wurde, fand ich interessant, von Alexander Kluge hatte ich früher gute Filme gesehen. Auf der kleinen Bühne des Schauspielhauses, dem Malersaal, steht ein riesiger Vogelkäfig, ein alter Spiegel in der Ecke, eine echt aussehende Guillotine, dunkelbraun, eine Truhe, eine Feuertreppe, alles alt, angeschmuddelt, etwas unordentlich. Prolog auf der Leinwand: Kurze Abhandlung des revolutionären Kampfes aus den siebziger Jahren aus Sicht des Ermittlers, der als Puppe daher kommt und der sich in die Gedankenwelt der Täter einfühlte, wie er sagt.
Vogelwesen, Doppelköpfe
Dann treten nacheinander auf: Vogelwesen, Riese mit unechtem Kopf, Frau mit zwei Köpfen, Frau mit zusammengewachsenen Beinen, Doktor und Souffleuse. Jahrmarktathmosphäre, ein Raritätenkabinett älterer Bauart, nachempfunden dem ausgestorbenen Theater Grand Guignol in Paris. Die Figuren sind eine Meisterschaft der Maskenbildnerin, beginnen nun ihr Spiel zu spielen, dazu fallen Sätze, die man nur schwer zuordnen kann. Eine Leiche liegt auf der Bahre, angeblich ein Mario G. aus Portugal, der noch vor der Revolution in Portugal in den siebziger Jahren standrechtlich erschossen wurde und vorher in der Berliner 68-iger Szene 26 Frauen geschwängert habe. „26 Frauen? Wie kann man denn 26 Frauen schwängern? 10 Minuten Text nur ums Frauenschwängern. Die Leiche bewegt sich, spielt mit einer Kasperle-Puppe, die Frau mit den zusammengewachsenen Beinen, besteigt die Leiche, umarmt sie. Nächste Szene: Der Frau werden die Beine auseinandergesägt, daraufhin kann sie nicht mehr laufen, fällt um, kriegt später Prothesen und erst aus dem Programmheft erfährt man, dass dies die russische Revolution sein soll, der die muntere Gangart genommen wurde. Auf einem Film im Hintergrund Arbeiter, die automatenhaft im Gleichschritt hämmern.
Produktion im Spiegel
Die Wesen zitieren das Kapital: „Unsere Produktionen wären ebenso viele Spiegel, aus denen unser Wesen sich entgegenleuchtet“ Sie gehen umher, schauen sich im Spiegel an, das Vogelwesen, was meine größte Sympathie hat, krächzt. In der nächsten Szene freunden sich der Mann mit dem unechten Kopf, der später immer wieder auf die Guillotine gelegt wird, und die Frau mit den zwei Köpfen an. Der zweite Kopf ist die Meister-Examensarbeit der Maskenbildnerin, sie ist der Schauspielerin täuschend ähnlich, die Frau kommt in Streit mit sich selbst beim Zusammenschrauben eines Tisches, wütet, der Kopflose beruhigt sie, sie zieht ihn aus, man sieht das Gestell, er hat nun auch zwei Köpfe, sie küssen sich, jeder Kopf einen Kopf. Zusammenhang? Wieder Worte frei nach Marx: „Der Mensch kommt als Produzent in die Entfremdung, davon kommt die Kälte“, der kopflose Riese teilt sich in Kapitalismusteile ein: Der lange Marsch der Kapitalismen ins Innere der Menschheit.
Kälte im Käfig
Es folgt eine Szene aus dem Faschismus: Ein Kälteexperiment, dem der Vogelmensch zum Opfer fällt und das der Dr. Mengele genüsslich auskostet. Dann kommt eine Spottgeschichte gegen Kopernikus nach Voltaire, über Planetenmenschen: Der blaue Planet, die blaue Gefahr, die Menschen sind nichts als kleine Schaumstoffkugeln, dann wird eine Frau lebendig begraben, die Guillotine als humane Form des Tötens gewürdigt, die Geschichte aller Toten liege auf den Lebenden, daher sei es unsere Aufgabe die Toten zu erwecken, der Mann mit dem unechten Kopf nimmt die Attrappe, setzt sie sich wieder auf. Am Ende wandern alle über eine Treppe ab: Die unsterbliche Menschheit wird den Kosmuss bereisen.
Marx im Programmheft
Also abgesehen von den interessanten Kostümen, dem skurril-schönen Spiel, dem tollen zweiten Kopf und dem lustigen Vogelmenschen, erschließt sich dem Publikum der Marxismus leider erst im Programmheft, es sei jetzt vielleicht wieder Zeit für einen offenen Marxismus, der zum Gebrauch freigegeben sei und nicht dogmatisch Missbrauch ahndet… Schade, dass man den freigegebenen Marxismus doch etwas wenig aus dem Käfig gelassen hat. Vom Warenfetischismus, der ungeheuren Warenansammlung, gar der Analyse von Ware, erfährt mensch erst aus dem Programmheft.
Gute Kostüme, gutes Spiel, gute Masken, Inhalt zerfahren, Zusammenhang zu Marx oder zum Kapital ist nicht transportiert worden.