Odem – Lipstick Berlinale Rezension

Dieser Film zeigt wie unterschiedliche Erinnerung und deren anschließende Deutung ein ganzes Leben bestimmen, ja zerstören kann, die Geschichte entwickelt sich aus der Gegenwart langsam nach rückwärts und wird erst in der letzten Szene aufgeklärt.

In der ersten Szene wird eine etwas traurige Frau in mittleren Jahren gezeigt, die gutbürgerlich mit Mann und Kind lebt, aber daran denkt, dass ihre Liebe zu ihrem Mann in ihrer Hochzeitsnacht bereits für immer aufgehört hat. Schnitt, eine Freundin kommt zu Besuch. Die wirkt merkwürdig verstört, auch eifersüchtig, scheints, auf Mann und Kind und Haus, die andere ist misstrauisch, scheint sie früher mal gemocht zu haben, dann enttäuscht worden zu sein, sie schleichen in den Dialogen umeinander herum, etwas Beklemmendes liegt zwischen ihnen. Sukkzessive erfährt man, dass die Gutsituierte ihr einst den Freund ausspannte und die andere offenbar ein recht lockeres Liebesleben lebte. Doch diese Konfliktschicht ist nur die schon auf einem anderen, viel länger zurückreichenden Missverständnis aufsitzende, dies erfährt man stückweise, da die Situation während des Besuchs der früheren Freundin, statt zu entspannen, sich immer mehr zuspitzt. Die Rahmenhandlung passiert innerhalb weniger Stunden eines Tages, der Film hält und steigert den Spannungsbogen gekonnt auf den Höhepunkt zu.  Am Ende steht ein gemeinsames Erlebnis, das in Rückblende erzählt wird, leider mit anderen Schauspielerinnen gespielt, was etwas irritiert, aber natürlich glaubwürdig ist, da dieses ja 30 Jahre zurückliegt. Zwei junge Mädchen, vielleicht knapp 15 Jahre alt, Schülerinnen, eine noch schüchtern, unerfahren, aus einer Kleinfamiliengeborgenheit, die andere frühreif, Heimkind, aber mutig und abenteuerlustig, hatten sich angefreundet, man ahnt in der Frühreifen die jetzt merkwürdig fragil wirkende Freundin wieder, die bei der anderen 30 Jahre später plötzlich auftauchte. Damals hatten sie sich gerade dick angefreundet, bis zum Liebesgefühl, das beiden noch seltsam unklar blieb, dann waren sie zusammen ins Kino gegangen und von zwei israelischen Soldaten angesprochen worden. Und da sie Palästinenserinnen und nach der Ausgangssperre unterwegs gewesen waren, hatten sie nun ein Dilemma, denn die Soldaten, als sie das herausfanden, hatten sie nun in der Gewalt. Die Schüchterne will weglaufen, so schnell wie möglich, die Mutige zögert, spricht nett mit den Soldaten, flirtet, will sich ihnen beliebt machen, um sie versöhnlich zu stimmen, sie denkt vielleicht, diese ließen sich dadurch abwimmeln, doch im Gegenteil, ihr Interesse an den Mädchen wird stärker. Irgendwann geht die Frühreife mit einem der Soldaten in eine Ruine. Was dann kommt, wird erst der Erinnerung der einen nachgespielt, die das Ganze von Ferne beobachtet hat, dann aus Sicht der Betroffenen, die mit dem Soldaten in der Ruine war. Diese Szene ist der Höhepunkt des Films und mit einem erstaunlichen Erkenntnisgewinn verbunden, denn schlagartig wird klar, wie manche Dinge dadurch falsch wahrgenommen werden, nur weil die kleinste Distanz dazwischen liegt. Die Auswirkungen diesen Erlebnisses, bei dem sich die eine quasi für die andere „geopfert“ hat, ohne dass diese davon auch nur das Mindeste ahnte, im Gegenteil, sie verachtete sie dafür noch, sind riesig und wachsen an, je mehr Zeit verstreicht. Misstrauen, Fragilität und untergründige Verzweiflung beherrscht den ganzen Film, zum Schluss landet die Betroffene in einer Nervenklinik. Und auf dem Untergrund all dessen war ursprünglich eine wunderbare Mädchenliebe. Erschütternd nahegehend und sehr echt gespielt.

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