Odysseus – Verbrecher – Dortmund – Rezension
Gastspiel am 12.5. 2010 im Berliner Ensemble am Schiffbauerdamm/Dortmund
Acht bis auf die Unterhose ausgezogene Männer sitzen, dem Publikum halb abgewandt, links der Bühne auf Stühlen und warten, während das Publikum langsam in den Saal strömt. Später schauen sie, wie in einer Schulklasse sitzend, dem Stück zu, das sich in einem weißen, drehbaren Extraraum auf der Bühne abspielt. Manchmal kommentieren sie es mit einem heiseren, schrägen Gesang. Ein Gesang, der aus Grabeskammern hoch zu schallen scheint. Der Chor der Toten, die den Odysseus begleiten und jeden anderen auch, der getötet hat. Auf der völlig schwarzen Bühne sieht man einige der Unterhosentoten nun aufstehen und das erste Mal aus der Schwärze den hellen, weißen Raum herumdrehen, in dem das Stück spielt. „Schnee“, ruft einer, der dort verkrümmt, mit den Beinen an der Wand liegt, „Schnee“. Der Mann, es ist Odysseus, liegt wie ein Verwundeter auf einem Schlachtfeld, mit verrenkten Gliedern. Sein Gesicht ist verbunden, wie das eines Brandverletzten, eine Gipsmaske. Seine Kleidung weist Reste von Militärischem auf. Sein Gang, als er sich endlich erhebt, ist durch schwarzglobige Schuhe mit 20-cm-Sohlen behindert, grob und torkelnd. Er schreit, blickt um sich: „Schnee auf kahlen Bergen?“ „warum? …um auf irgendeinem Schlachtfeld verstümmelt zu werden?“ „…um auf immer die gleiche Weise zu enden? “ Athene tritt auf, abgerissen, zynisch lachend, zerzaust, ebenfalls maskiert, sieht ihn, spricht: „Wirklich, wir leben in finsteren Zeiten!“ „Wo?“ fragt der Soldat. „Schweinebucht“, antwortet sie. „Da kam ich einst her“ Er zählt heutige indigene Völker der Erde auf, da käme er her, er sei Odysseus. „Der Städteverwüster“, sagt sie. „Die Städte werden nur verwüstet, wenn sie der guten Sache im Wege stehn“, antwortet er. „Kollateralschäden“, sagt sie.
„Auf meinem Land lag niemals Schnee, das Wetter hat sie geändert!“ „Die Buchten meines Landes waren keine Müllhalden“ er blickt sich um. „Rosengärten als bloße Tupee´s auf Bunkern und Ruinen“ Sie: „Dir war doch eben nur wichtig, deine Beute in die Kloake zu tun!“ „Ich war in Troja“, sagt er, sie lacht: “Seid ihr nicht allesamt nur wegen einer Frau ausgezogen, die genug von euch hatte?“
Odysseus bezeichnet die Beute als Wiedergutmachung, sie: „Glaubst du, dass an den Ufern eines Stromes von Blut irgendetwas wieder gut gemacht werden kann?“ Er: „Aus dem Krieg ist noch keiner heimgekehrt, jedenfalls nicht, als der, der er war“
Der Chor der Toten singt, heiser, schräg, verhalten: „Da hab ich auch im Dunkeln die Augen zugemacht…“ „Wir haben keine Namen mehr…“
Drei Soldaten treten auf, sie hat es auch angespült, sie sprechen roh von den Schlachten, wo einer dem anderen die Finger abschnitt wegen der Ringe und die Beine absägte wegen der Stiefel. „Komm Odysseus“, sie treten in mit ihren Stiefeln, „wir wollen dich nach Hause begleiten, der Morgen graut“ Odysseus will nicht, er ruft: „Statt Berge Schutthalden, die Menschen, Schlangen von Bettlern, unter dem Schutt Ruinen..“ Zwei Tote aus dem Chor holen ihn, schleppen ihn weiter: „Vergiss nicht, vergiss nicht..“ Er schreit: „Ich will erwachen in meiner schönen Heimat, in den Armen meiner Frau!“ Auftritt Telemach, 20 Jahre nicht gesehen, „Vater, wie ist es, wenn man tötet?“ „Man tötet nicht, man kämpft jeden Tag ums Überleben!“ „Denkst du an die, die nicht überlebten?“ Der Chor mischt sich ein: „Sag ihnen doch, dass du uns jeden Tag bei dir hast!“
„Ich war tiefer drin als jeder…die Bestie begraben, manchmal ist in den Gesichtern der Toten ein Ausdruck der Unschuld, der noch Aussicht auf Hoffnung lässt“
Telemach erzählt von „Reformern“ , die Penelope umschmeichelten und alles verheerten. Odysseus: „Ich werde diese Reformer schon verblenden!“ In der nächsten Szene stehen drei Maskierte von Welt in weißen Edelanzügen auf Stelzen und reichen sich Zettel herum. „Er ist da, …zurückgekommen“ Sie lachen, Itaka ist ausgeplündert, Entwicklungsland…, sie treten Odysseus, „dieser Landstreicher…“ Wir sind der Fortschritt, wir sind Planer, Politiker, keine Altenpfleger, sie treten ihn wieder.
Penelope tritt auf, Odysseus umarmt, sie wehrt ihn ab, er fragt:“ Lässt du dich tatsächlich von Freiern umschwärmen, statt sie aus dem Haus zu jagen?“ Sie: „Immerhin haben sie doch Kanäle gebaut…ich stehe allein an der Seite meines Kindes… ich habe keinem dieser Reformer, mit denen du mich allein gelassen hast, jemals die Hand gereicht!“ Er, fassungslos: „ Deine Worte haben mich über Abgründe getragen“ Sie: Wortgewaltiger, ich bin alt geworden ohne dich, Du hast mich alt werden lassen und dich aus der Ferne nach meiner Jugend gesehnt, Du hast mein Leben verschlafen. Telemach kommt rot angemalt rein: „Wir haben sie alle umgebracht“ schildert die Gräuel beim Umbringen der Reformer. Odysseus trägt Penelope, sie zappelt, schreit: „Was hast du ihm angetan? Du hast das Schlimmste getan, was ein Vater seinem Sohn antun kann, Du hast ihn zu Deinesgleichen gemacht, Du hast ihn in Blut getaucht“ Sie schreit, er hält sie fest.
Telemach irrt herum, man sieht, er wird verrückt, weil er nun auch die Toten hört. Seine letzten, immer wiederkehrende Worte, militärisch: „Mütze ab – Mütze ab! – Mütze ab!“
Ein starkes Stück aus Tausenden von Jahren in unsere Zeit geholt, gegen unsere heutigen Kriege ebenso einsetzbar, wie gegen die damaligen. Nicht inszeniert als weinerliches Wiedersehensdrama, nein, als Alptraum, der endlich aufhören muss, im Namen des Profits einiger Weniger und dem Triumph der Zerstörung des mühsam Aufgebauten, Menschen zu Tötungsmaschinen der Angst zu machen. Mechanismen werden sichtbar, Gesetze, der Mensch verkraftet nicht, wenn er töten muss, die Erde will nicht zerstört sein, der Mensch auch nicht.
Der Autor des Stückes, Christoph Ransmayr, über seine Intention zum Schreiben: „das Bewusstsein davon zu retten, wie sehr und wie dramatisch man sich selber verändert, wenn man…die Verzagtheit überwindet…“
Gastspiel am 12.5. 2010 im Berliner Ensemble am Schiffbauerdamm: Odysseus, Verbrecher, ein Antikriegsstück aus Dortmund. Weitere Aufführungen: Theater Dortmund