Jeder stirbt für sich allein – Rezension

220px-DBP_1993_1683_Hans_FalladaDas Gorki-Theater hat sich seit Jahren darauf spezialisiert, große Literatur aufs Theater zu bringen, im Oktober 2011 nun den neuen Fallada-Bestseller „Jeder stirbt für sich allein“ in der Langfassung

Als ich diesen Roman und den Autor und sein Werk einst in meinem Germanistikexamen bearbeitete, wurde ich von meinen Professoren ungläubig angeschaut, sie rümpften die Nasen, denn Fallada, der von den verarmten Angestellten der Weimarer Republik millionenfach gelesen wurde, wurde nicht recht ernst genommen. Seine Art, die Protagonisten im „Kleine-Leute-Milieu“ anzusiedeln, ebenso wie auch deren Sprache zu wählen, wurde in den Hochburgen der Germanistik schwer übel genommen. Im literaturwissenschaftlichen Sinne wurde er nicht als seriös betrachtet. Man unterstellte seiner Fähigkeit spannend zu erzählen und seiner starken Parteinahme für die Untersten in der Gesellschaft zwar einen gewissen „Unterhaltungswert“ aber man rückte ihn nah an die Trivialliteratur und verwechselte ihn mit seinen Protagonisten, auf die man herabblickte. Auch identifizierte man ihn vor allem mit der Geschichte von Lämmchen und Pinneberg und unterschlug die vielen ernsten Bücher von ihm, wie `Wolf unter Wölfen´, einem Problemkataster aus der Weimarer Republik,  und den `Trinker´, als privanten Niederschlag  desselben, sowie die `Bauern, Bonzen, Bomben´als Analyse des SPD-Reformismus-Debakels und seiner bedeutung im Vorfaschismus und eben auch sein letztes Werk: `Jeder stirbt für sich allein´mit dem er dem halbstummen Nazi-Alltags-Widerstand ein nüchternes Denkmal setzte.

Ich finde es wichtig, dass Kunst Partei für die Schwachen nimmt und dass sie es auch so tut, dass sie von den Betroffenen gern gelesen wird.  Nur dadurch kann sie wirken. Es ist unrichtig, dass Fallada dies auf eine naive und unkünstlerische Weise getan hätte.

Der Roman um das Ehepaar Quangel, den Fallada aus Archivmaterial  extrahiert hat, hat sich nun plötzlich, beinahe 60 Jahre später, sogar in einer ungekürzten Langfassung in und außerhalb Europas die Bestsellerlisten erobert. Wie kommt das, woran liegt das?

Bedeutungslos?

Inhalt des Romans ist eine privatime Widerstandsaktion, die ganz und gar bedeutungslos blieb, weil alle Postkarten, die zwei alte Eheleute nach dem Tod ihres Sohnes „im Felde“ gegen Hitler schrieben, abgefangen und abgegeben wurden. Fallada widerspricht und verleiht ihrer Aktion einen höheren Sinn, nämlich den, überhaupt etwas dagegen getan zu haben, egal, was es sei. Dazu noch mehr, ein Panorama typischer Verliererfiguren unter dem Druck gewalttätiger, existentiell bedrohlicher und entsolidarisierender Bedingungen. Es gelingt subproletarische Figuren, kleinbürgerliche Nazibrüller, kleinbürgerliche Weggucker,  Nazi-Intellektuelle, Nazi-Schläger und eine ganze Galerie typisierter Figuren detailgenau zu skizzieren und dazu noch eine spannende Story zu erzählen. 

Schon wieder ähnlich?

Fallada versteht es, die traurigsten Zusammenhänge, die man in Zeitungsartikeln nicht aushält, im Roman flüssig zu schreiben und so eine Art Erkenntnisgenuss zu erzeugen. Auch über heute, denn wie weit sich unsere heutigen sozialen Verhältnisse von dem prosperierenden Sicherheits-Gefühl des Aufbauspießers in den 50/60-iger Jahren, wo sogar Wohlstand, statt pure Lebenerhaltung möglich schien und Verelendung kein Massenphänomen mehr war, entfernt haben, ist enorm. Heute haben wir 6 Millionen Arbeitslose, hören täglich von Kinderarmut, Gewaltanstieg, von Zehntausenden von Stellen, die gestrichen, von Renten, die gekürzt, von notwendigen Geldern, die für unsere Kinder und Kranken nicht vorhanden sind und sehen in den Börsennews die Summen, die den Bankern rübergeschoben werden, von den Milliarden in die Billionen klettern. 

Wie ist der Roman nun auf die Bühne gebracht worden?

Die Aufführung im Gorki bringt das Stück etwas uneinheitlich, manche Passagen sind ausgesprochen gut ausgewählt, es mangelt nicht an Fähigkeit zur Detaildarstellung, besonders die Figur des Emil Barkhausen wird sehr gut von Matti Krause gegeben, aber dem Ganzen fehlt es etwas an dramaturgischer Reduktion und Struktur, irgend etwas ermüdet, obgleich der Roman niemals ermüdet. Die Szenen werden naturalistisch, manchmal satirisch gespielt, aber dies wird in den Figuren des Persicke und des Grigoleit, zu Anfang auch bei der Briefträgerin, zu dick aufgetragen und wirkt damit nicht komisch, sondern störend.  Auch werden die Sequenzen oft immer in ähnlicher Weise aneinandergereiht, hier fehlt ein wenig das entfremdende Element, die Zuspitzung in Gegensätzen, das Dialektische, was dem Roman nicht fehlt.

Ein Theaterstück muss dramaturgisch unbedingt perfekt durchgearbeitet sein, sonst verliert es an Überzeugungskraft. Trotzdem sehenswert.

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