Richtfest – Theater Schöneiche – Rezension

Utopie und Krabbencurry: In Schöneiche bei Berlin gibt es eine frische Inszenierung von Lutz Hübners »Richtfest«

http://www.jungewelt.de/2016/11-02/049.php

Von Anja Röhl
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Wovon im Stück »Richtfest« nur die Rede ist, das ist in Schöneiche nach schweren Kämpfen verwirklicht worden: Die »Kulturgießerei« als Bürgerhaus für alle, in dem nun auch »Richtfest« aufgeführt wird
Foto: kulturgiesserei.de

Nächste Vorstellungen: 18.11., 19.11., 20.11. Theater in der Kulturgießerei Schöneiche bei Berlin, An der Reihe 5

Schöneiche ist eine Gemeinde am Ostrand von Berlin, 12.000 Einwohner, gerade noch mit der Straßenbahn erreichbar. Engagierte Menschen gründeten hier einst zu den sogenannten Wendezeiten, zur Zeit der runden Tische und großen Hoffnungen eine Künstlergemeinschaft, zu der inzwischen weit über 50 Ateliers und viele Haus- und Hofgemeinschaften gehören. Das Zentrum bildet die »Kulturgießerei«, erbaut im Inneren einer stillgelegten Gießerei.

Es war nicht einfach, diese Kulturstätte aufzubauen und zu erhalten. Schwere Kämpfe waren dazu nötig: Man musste gleichzeitig überall sein, ein Bürgerhaus aufbauen, Unterschriften sammeln, tausend Dinge haben es möglich gemacht. Ein ganzes Dorf hat mitgeholfen.

Hier wird nun seit Jahren Kultur gemacht und in allen nur denkbaren Sparten präsentiert: Musik, Theater, Tanz, Bildende Kunst, Bildhauerei, Literatur. Einmal wollte sich die NPD im Ort in einer der zahlreichen Gaststätten treffen, einige Leute hatten das spitzgekriegt und organisierten tagelang einen Gaststätten-Flashmob. Die NPD hat nie wieder versucht, sich in Schöneiche zu versammeln.

Es gibt auch Theater. Das ThaSch (Theater Schöneiche) spielt zur Zeit »Richtfest« von Lutz Hübner. Eine Gruppe von Menschen, die sich kaum kennen, entwickelt bei einem gemeinsamen Krabbencurryessen den Plan, ein Haus zu bauen. Darin sollen die Träume endlich Wirklichkeit werden, man verspricht sich davon Solidarität, Mitgefühl, Rücksicht und Spaß. Der Architekt träumt auch, nämlich von einem Preis für seine originelle Gestaltung der Glasfassade. Sukzessive wird klar, dass die Menschen unterschiedlich ticken und zu verschiedenen Schichten gehören. Die einen haben mehr Träume als die anderen.

junge Welt stärken

Wie immer nimmt Hübner, von dem auch das Elternabenddrama »Frau Müller muss weg« stammt, nicht nur die klassischen Spießbürger aufs Korn, sondern auch diejenigen, die denken, sie wären keine. Sie werden von ihm psychologisch durchleuchtet, das macht er so ähnlich wie Ibsen, nur etwas leichter und witziger. Was unter der Oberfläche lauert, extrapoliert er in Dialogen, die zum Totlachen sind. Man findet sich wieder, man fühlt sich erkannt.

Beim ThaSch besteht nun der besondere Witz darin, dass dieses Ensemble von Laien gebildet wird, die ein Jahr mit einem Profi proben. Regisseur Jens Finke ist übrigens auch Clown. Die Schauspieler leben überwiegend in den Haus- und Hofgemeinschaften in Schöneiche. »Im Unterschied zu den Leuten im Stück sind wir aber glücklich«, erzählt hinterher eine Schauspielerin, räumt aber ein, sich in dem Stück wiedergefunden zu haben.

Vielleicht rührt daher das erstaunlich hohe schauspielerische Niveau. Nur eine spricht anfänglich etwas leise, alle anderen halten ihre Sprechstimme, ihre Rollendistanz und -ausgestaltung sehr gut. So schaffen sie es, passgenau die Pointen zu setzen und ungeheuer komisch zu sein. Die schauspielerischen Grundlagen haben sie allesamt gut drauf, Pantomime wird eingesetzt, auch die kurze, zeitlupenartige Dehnung, das Publikum wird einbezogen, heftige Szenen wirken nicht hysterisch, das Lachen nicht aufgesetzt und Umarmungen nicht kitschig. Die Szenen- und Umbaupausen werden von drei Mitspielern, die wohl auch Musiker sind, mit Jazzstandards gefüllt (Instrumente: Saxophon, Kistentrommel, Gitarre).

Die Kostüme sind einfach und funktional. Sie symbolisieren die sozialen Schichten. Das Großbürgerpaar erscheint in grauen Anzügen mit violettem Halsschmuck (köstlich arrogant und widersprüchlich gegeben von Evelyn Erler und Henry Kugelmann), das Schwulenpaar in Schwarz, die ältere Dame in buntem Hippieoutfit, trotzdem dezent, die linken Mittelstandsökos in Rot, das bürgerliche Arzt-Lehrer-Paar mit Kleinkind in Grün. Der Architekt trägt ein blaues Businesshemd, weißen Schlips und eine graue elegante Hose. Er ist Teil der Kapitalistenwelt, und er weiß, die anderen haben keine Ahnung. Gleich in der ersten Szene wird klargestellt: »Dort liegen die Anzahlungsformulare, wenn ihr die bitte gleich mal unterschreiben wollt«. Und alles, was dann folgt, hängt immer wieder mit Geld zusammen, da helfen die Appelle der Roten, die sich gegenseitig nicht grün sind, auch nicht weiter.

Sieger sollen die sein, die das Geld für alle haben, weil sie es heimlich aus anderen Immobilien ziehen? Das geht doch nicht, und Charlotte (wunderbar originell gespielt von Annette Metzner) sitzt am Ende da und erinnert alle an das Krabbencurry, mit dem alles begann. Sie hat Sehnsucht danach, wieder einmal gemeinsam mit allen zu essen. Vielleicht muss man nicht gleich ein Haus zusammen bauen, vielleicht noch mal zurück zum Krabbencurry.

Verglichen mit der verschlafenen Inszenierung, die 2013 am Berliner Renaissance-Theater lief, ist das »Richtfest« in Schöneiche frisch, überzeugend und überhaupt erste Sahne.

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