Fidelio – Große Feinde – Rezension
23.06.2009 / Feuilleton junge welt / Seite 13.
Sozialkritische Komödie, `Fidelio´ die einzige Oper von Ludwig van Beethoven
Alle sind in bester Garderobe erschienen, auch der Bürgermeister, sein Gefolge und alle Bürgermeisterkandidaten der nächsten Legislaturperiode. Galapremiere zur Wiedereröffnung des Theaters Stralsund am 1. März: »Fidelio«, die einzige Oper von Ludwig van Beethoven, die eigentlich »Leonore« heißen sollte. Die Aufführung beginnt mit Reden. Ich betrachte die neue Ausschmückung: hell und dezent, ein wenig fade, gold, aber nicht überladen. Große Spiegel. Was der Bürgermeister sagt, bleibt zunächst auch fade. Man kann es sich nicht recht merken. Bis er davon spricht, daß man leider das Krankenhaus habe verkaufen müssen für dieses Theater. Das hätte Gegner gehabt und Sorge bereitet. Gott sei Dank sei inzwischen alles »ordentlich« geregelt. Das Publikum stockt hörbar. Streikten nicht eben noch die Krankenhausbeschäftigten?
Der Bürgermeister ist in Goldkette erschienen – Drohen Kürzungen?
Der Bürgermeister trägt eine schwere goldene Doppelkette um den Hals. Er spricht langsam, mit schwerer Zunge. Irgend etwas Bedrohliches schwingt mit. Meine Gedanken schweifen ab. Konnte die Privatisierung der Sparkasse nicht gerade noch verhindert werden und sollen nicht demnächst Wohlfahrtseinrichtungen unter den Hammer? Davon ist das Theater bezahlt worden? Man soll sich ordentlich mitschuldig fühlen. Ein zweiter Anzugsmensch spricht, rund und steif. Dann kommt Anton Nekovar. Der Intendant. Aus Wien. Nekovar weckt alle auf, ordnet Ausschmückungen des Raumes direkt den anwesenden Handwerkern, Technikern, Restaurateuren zu, hält dann eine flammende Rede zur Kunst, welche Aufgabe sie hat, für die Jugend, gegen Gewalt, für Humanität – man dürfe diesem Theater nicht die Landesmittel streichen, sagt er beschwörend. Aha, denkt man, hier scheint es sich auch um Politik zu handeln. Drohen etwa Kürzungen? Dem eben fertig sanierten Theater?
Was uns heute angeht
Nun leitet Nekovar über zur Botschaft des Abends. »Fidelio ist eine Oper, die uns heute angeht. Es gibt Verurteilungen ohne Gesetz, Willkür. Die Pflanze der Demokratie ist zart. Wir wollen Stellung beziehen!« Als sich der Vorhang öffnet, träumt eine Magd von der Liebe: »Hoffnung füllt die Brust …«. Leonore/Fidelio tritt auf. Die Magd lacht sie an, flirtet. Leonore lacht verlegen – geschmeichelt, guckt betreten zur Seite. Nach diesem Auftakt sinken Jacken auf Kleiderbügeln herab, die Protagonisten wechseln blitzschnell die Sachen und werden zu Security-Personal in einem neuzeitlichem Toten-Trakt-Gefängnis. Mit dem Bühnenbild und der Kostümierung wechselt der Eindruck, den die Musik auf einen macht. Jetzt klingt die Musik, die mit ungeheurer Kraft daherkommt, wie aus dem 21.Jahrhundert.
Langsam aus dem schwarzen Viereck heraus
»Was, schon zwei Jahre sitzt er?« fragt Leonore, als sei das viel, und lauernd, um etwas über den Gefangenen zu erfahren: »Er muß ein großer Verbrecher sein!« Darauf der Gefängniswärter: »Er muß große Feinde haben!«
Einen Tag sollen die Gefangenen mit weniger schweren Strafen etwas mehr Freiheit haben. Eine Stahlwand hebt sich lautlos, dahinter werden Gefangene wie aus Guantánamo sichtbar. Sie bewegen sich. Eine der gelungensten Szenen des Abends. Langsam treten sie aus dem schwarzen Viereck heraus, schauen sich unsicher um, formieren sich zu einem Käthe-Kollwitzschen Block, fordern die Freiheit ein, statt sie einzuklagen.
Unerschrockene Leonore
Dann sitzt der Gefangene von oben allein im Keller. Ohne Nahrung. Er soll sterben. Leonore ist sich nicht sicher, ob er der Gesuchte ist. Sie überredet trotzdem den Wärter, daß er sie mitnimmt zum Dienst. Als der Gefangene im Auftrag eines hohen Militärs erstochen werden soll, muß Leonore handeln und tut es. Unerschrocken zieht sie die Knarre, schreit: »Töt erst sein Weib!« Die Szenerie wird zu einem Scherenschnitt-Standbild vor orangefarbenem Hintergrund. Die Männer zusammengesunken, die Frau stark, kämpferisch, am langen Arm die Pistole. Man denkt an Jeanne d’Arc, Antigone oder an Meinhof, die Baader befreite. Auch der sollte zwei Jahre sitzen, für einen Sachschaden in einem Kaufhaus, weil es für Vietnam war, nicht für ihn selbst.
Nur ein lärmendes Verharren, ein Henken, ein Im-Sand-Verscharren
Schon weil die Oper 1805 durch die Zensur kommen mußte, geht alles sehr gut aus. Unrealistisch. Im Programmheft wird aus einem »Moabiter Sonett« Albrecht Haushofers zitiert, der am 23. April 1944, kurz vor seiner Hinrichtung im Gefängnis Berlin-Moabit unter dem Namen »Fidelio« schrieb: »Im Leben gibt es diese Töne nicht. Da gibt es nur ein lähmendes Verharren. Danach ein Henken, ein Im-Sand-Verscharren.« Die letzten RAF-Gefangenen sitzen seit 30 Jahren im Gefängnis.
nächste Vorstellungen: 8. März, 19.30 Uhr, und 16. März, 16 Uhr, im Theater Stralsund, ab 5. April im Theater Greifswald