Unterleuten im Potsdamer Hans-Otto-Theater – Rezension
Der Roman „Unterleuten“ von Julie Zeh wurde diese Wochen im Potsdamer Hans-Otto-Theater uraufgeführt. Ich bin zwar eher gegen die Moderichtung „Dramatisierung von Romanen“, da es oft zu Lasten der Aufführung wertvoller Theaterliteratur geht, jedoch eignet sich dieser Stoff sehr gut zur Dramatisierung und ist es hier sehr gut gelungen!
Das Mehrpersonenstück stellt, wie im Roman, zunächst alle Protagonisten vor, um dann zur Entfaltung einer aktuellen Handlung zu kommen, deren Wurzeln weit in die Geschichte zurückgehen, vor Existenz der DDR, als es noch Großgrundbesitz gab, denn der Hauptkonflikt zwischen dem Kommunisten Kron und dem gewendeten LPG-Vorsitzenden Gombrowski ist ein Klassenwiderspruch, der seinen Ursprung in der Ausbeutung der kleinen Landarbeiter durch die Großgrundbesitzer hat.
Klassenwidersprüche sind langlebig
Kron kommt aus dieser Richtung, Gombrowski aus jener, beide haben ihre Vorstellungen von richtig und falsch, die werden eindrucksvoll, manchmal sehr stark in Zuspitzung, dargestellt. Interessant in diesem Zusammenhang, über die Zusammenhänge informiert eine ausführliche Replik im Programmheft, dass der ehemalige Großgrundbesitzersohn Gombrowski, nachdem er dem Abbrennen des Hofes seines Vaters zugesehen hat, selbst schließlich zum Leiter der LPG aufsteigt und nun in der Wende wieder die neue GmBH in Unterleuten anführt. Klassenwidersprüche sind langlebig. Widerstand und Protest dagegen auch.
Krimi und psychologisch-gesellschaftliche Studie
Das Stück ist aber, wie auch der Roman, ein Mehrgenerationenstück, es soll heutige Gesellschaft abbilden, wie Julie Zeh sagt, dafür stehen die vielen jungen Leute im Dorf, deren Zusammenhänge und Verflechtungen zu den alten eine interessant-verschachtelte Geschichte geben. Dann sind Roman und Stück noch Krimi und psychologisch-gesellschaftliche Studie, beides ist in Potsdam spannungsvoll umgesetzt worden. Die Schauspieler sind allesamt absolut erstklassig, selten sah man in den letzten Jahren so schön widersprüchliche, witzige und makaber-tragische Charakterstudien glaubhaft umgesetzt.
Dramatisierung gut
Das, woran das Buch ein wenig krankt, ist, dass es wenig über die Autorin selbst sagt, dafür aber eine sehr typisierte, manchmal etwas klischeehafte, sogar fast arrogante Draufsicht auf die Charaktere bietet, ist in der Dramatisierung weniger fühlbar. So gefällt mir fast das Stück besser als das Buch. Da ich das Buch aber vor Ansehen des Stückes ausführlich studiert habe, fiel es mir natürlich nicht schwer sämtliche Zusammenhänge zu entschlüsseln, es kann aber sein, dass, wenn man den Roman nicht kennt, dieses schwerer fällt.
Das Ende etwas kurzgeschlossen
Dass am Ende der wütende Kommunist Kron durch Reichtum bestochen und wundersam gewandelt wird, und man ihn in der letzten Szene mit seiner Enkeltochter sieht, für die er wundervolle Aufstiegschancen antizipiert, das ist etwas kurzgeschlossen und auch unlogisch, da die Mutter doch sowieso schon Ärztin war. Dass der vom Großgrundbesitzersohn über den LPG-Vorsitzenden zum GmbH-Chef gekommene Gombrowski, sich als einen sieht, der sich immer nur aufgeopfert hat und am Ende im Trinkwasserschacht sein Leichengift in alle Haushalte spült, ist sehr gewagt, aber soll aus einer Zeitungsnotiz stammen und wirklich vorgekommen sein.
Wovon die Westler meist keine Ahnung haben
Es zeigt, wie schwer die DDR-Gesellschaft als Ganzes unter dem Gang der jüngsten Geschichte gelitten hat, wovon die Westler meistens keine Ahnung haben. Auch die kriegen ihr Fett weg, denn der 68er-Professor wandelt sich über den Aussteiger-Vogelschützer zum Totschläger. Das Stück lohnt sich sehr, das Hans-Otto-Theater auch.
Unkäuflich
Brecht sagte zu Hans-Otto einmal: „Ein Mann seltener Art, unkäuflich!“ Dieses Theater versucht diesem Spruch gerecht zu werden, indem es verständlich und realistisch Zeit abbildet, und den überaus elitären Hang zum Nicht –Verständlichen, der heute in den bürgerlichen Theatern Triumphe feiert, nicht mitmacht. Empfehlenswert!
Infos dazu hier