Wegen Reichtum geschlossen – Rezension
Wegen Reichtum geschlossen in der Regie von Gunter Seidler am acud-Theater in Berlin Mitte.
Das acud-Theater findet man in einem originellen Haus, wer einem Tourist mal zeigen will, wie es in einem echten besetzten Haus aussieht, der schleppe sie abends ins acud, dort gibt’s eine Bar, einen Musikschuppen, ein Kino, ein Theater mit vier eigenen und zahllosen Gastspielen im Jahr, und sicher noch vielen anderen Aktivitäten auf unübersehbar vielen Etagen. Alles selbst organisiert, selbst renoviert, ohne Förderung, mit Möbeln vom Sperrmüll, auf dem Klo kann man sich nicht einschließen, eine köstliche Spielstätte mit viel Geschichte und mit dem langen Mut zur Unkonventionalität.
Klar antikapitalistische Stücke
Heute wird ein Gastspiel gegeben, die Theatergruppe „Die Ratten“, ein Theater mit und von Obdachlosen, seit Langem aktiv, unabhängig und politisch deutlich, wagt sich diese Truppe an meist sehr klar antikapitalistische Stücke, und so, wie man früher vom „proletarischen Theater“ gesprochen hat, kann man dieses vielleicht ein „subproletarisches Theater“ nennen, in diesem Fall wissen sie, was gespielt wird, sie spielen mit Verve, eigenwilligem Ausdruck und viel Kraft.
11 Milllionen im Kiosk
Handlung: Im kleinen Kiosk an der Ecke, zwischen Zeitungsstapeln und Bierkisten, aufgemalt und –geklebt auf Umzugskisten, bricht der Reichtum aus, Freudentänze des gutmütig runden Besitzers, der Elf-Millionen-Gewinn liegt in Form von 100-Euro-Papiertaschentuchbündeln auf dem Boden verstreut und die fassungslos überglücklichen Kioskleute wollen am liebsten darin baden wie Onkel Dagobert. Stammkunden kommen herein, ein letztes Mal wird nur für sie geöffnet, denn ab morgen „sind wir hier weg“, rufen die Besitzer aus und halten ein Schild hoch: „Wegen Reichtum geschlossen“, nur ist man sich noch nicht klar drüber, wohin die Reise gehen soll, Fürth, die nahegelegene Stadt, war der ebenso überschaubare wie nun natürlich einfallslose Wunsch der Frau, ein Taxifahrer schlägt den Nordpol und die Südsee vor, Max schwärmt vom „Pferdchen“ und der Südsee. Das Stück von Tankred Dorst lebt durch seine Typen, die als Schauspieler aus der Schicht hervorgegangen sind, die hier auf der Bühne zu sehen ist, sie scheinen für dieses Stück wie gemacht zu sein. Eine kleine blasse Studentin betritt den Kiosk, ein wenig abwesend kann sie dem ganzen Geld gar nichts abgewinnen, schüchtern erzählt sie von der Einsamkeit der alten Frau aus dem 4. Stock, die sich nie von ihrem Heizkisten weg bewegt. Alle, die kommen, reagieren hilflos und wie weggetreten auf das Glück der beiden, sie lassen schon den Abstand fühlen.
Was macht man jetzt mit all dem Geld?
Eine andere schrullige Großstadtpflanze kommt zum Kiosk, den Treffpunkt der Gestrauchelten, auf dem Rücken eine Stoffpuppe, man erkennt erst nach einer Weile eine schon halb Vertrocknete, Leiche oder nicht? Sie spricht von ihrer Schwester, ein skurriles Meisterwerk der Kostümbildnerei. So werden noch weitere schräge Typen vorgestellt, die zum sozialen Umfeld dieses Kiosks gehören, dessen Mittelpunkt und Tageseinteilung dieser bisher war und die alle recht originell gemacht, nun aber irgendwie Abschied nehmen. Zum Beispiel einer im türkisen Glitzer-Bademantel mit einem überdimensionierten Penis aus Stoff, mit dem er zu Schlagerrhythmen tanzt, zwei weitere Frauen suchen den Weg nach Stromboli, was die Kiosk-Gewinner inspiriert, den Taxifahrer dorthin zu dirigieren. Ab dem Zeitpunkt aber, als die Kioskbesitzer ihren bisherigen Lebensmittelpunkt verlassen, geraten deren Persönlichkeiten gefährlich ins Straucheln. Das kommt von der Frage, die sie von nun an ständig umtreibt: Was macht man jetzt mit all dem Geld?
Unübersehbarer Kaufrauschschrott
In der nächsten Szene sieht man beide, Rosa und Max, schon besser angezogen und im Auftreten verändert, in einem Hotel auf einem Bett lümmeln. Eine aufblasbare Luftmatratze und Massen von Umzugskisten, jeweils beklebt, sind die einzigen Requisiten, die also komplett aus dem Lebensumfeld von Obdachlosen kommen. Zunächst sind die Kisten nur mit den Kioskutensilien beklebt, später werden immer mehr Kisten hereingetragen und symbolisieren durch ihre Aufkleber all die Waren des Stückes, Fernseher, Autos, unübersehbarer Kaufrauschschrott. Wunderbar, dass das hier alles in diese Obdachlosenutensilien verpackt ist, köstliches Symbol für die Wertlosigkeit all des modernen Tands. Max herrscht nun schon den Chauffeur an, will sich Frauen kaufen, aber immerhin will er sein Geld noch nicht für den Krieg ausgeben, sondern für den Frieden, eine ganze Fernsehstunde wolle er sich kaufen, sagt er, und wird dabei kitschig sentimental, den Menschen etwas vom Frieden erzählen will er, während Rosa ihnen nur ihr bequemes Leben zeigen will, damit alle es sehen! Dieses Bequeme allerdings, sie sitzen auf dem Sofa, sie lehnt an seiner Schulter wie vor dem heimischen Fernseher, wird zunehmend langweilig, das Stück leider am Ende auch etwas langatmig.
Erst gewalttätig, dann verrückt
Doch köstlich gespielt, originell, mit Liebe zum Detail und die allmähliche Verwandlung des lustig subproletarischen Kioskehepaares in dekadente, sich gegenseitig anekelnde, mit allem unzufriedene, allem gegenüber misstrauische Menschen, die erst gewalttätig, dann verrückt werden, kommt als Fabel gut rüber. Das Motiv erinnert an die Geschichte „Das Gewinnlos“ von Anton Tschechov, hier wird diese Entwicklung vorweggenommen in den Vorstellungen zweier Leutchen, die durch eine Gewinnnummer, die am Ende der Zeitungsseite mit ihrer eigenen bis auf die letzte Ziffer übereinstimmt, nun bis zum Umblättern Zeit haben, sich mit der Möglichkeit des hohen Geldgewinns gedanklich zu beschäftigen und in dieser kurzen Zeitspanne, bis sich herausstellt, sie haben nicht gewonnen, all die Phasen durchlaufen, die in diesem Stück leibhaftig durchgespielt werden. Hier ist es aber kein Gedankenspiel, auch kein Traum, sondern schnöde Wirklichkeit und als am Ende Max um sein Geld in Schmerzensgeld auszugeben, weil ihm die Ideen ausgehen, Menschen brutal verprügelt und Rosa regrediert bis zum Kinderwagen, in den sie sich zwängt, und sie gefragt werden, was ihr erster Gedanke war, als sie den Preis damals erhielten, da dröhnt in Erinnerung an ihr früheres Leben ein gellend verzweifeltes Lachen auf, die Bühne verdunkelt sich, Ende.
Das Stück lebt durch seine Schauspieler
Nichts haben sie erhalten, alles ist ihnen dadurch abhanden gekommen, obgleich sich die mit Bildern beklebten Warenkisten neben ihnen und um sie herum häuften, nichts war mehr schön, nur noch Ödnis herrschte. Das Stück lebt durch seine Darsteller, sie kommen von unten und spielen das Unten, authentisch und witzig. Man glaubt ihnen, sie spielen mit Liebe zum kleinsten Detail, schade ist, dass einzig der Regisseur mit vollem Namen im Programmheft steht, was nützt es, wenn ich Manne erwähne, wie gut der tänzeln konnte, obgleich er schon ein älterer Herr war, ebenso bleibt unklar, wer sich hinter Ahmad genau verbirgt, der die Verwandlung vom gutmütigen zum blutrünstigen Menschen glanzvoll hinbekommt, und welche Christa ist die unglaublich magere Rosa? „Die Ratten“ sind ein eindrucksvolles Theater von unten.