Die Kriegerin – Grips Theater – Rezension

Ein großer Wurf des Gripsteams bestehend aus dem Regisseur, der Dramaturgin, der Autorin und den Schauspielern, gemeinsam erarbeiteten sie sich über ein Jahr eine aktualisierte Form des Filmstoffs “Die Kriegerin”, nicht ahnend, dass dieser Stoff gerade in diesem Jahr solch eine Aktualität bekommen würde.

Von Beginn an nimmt das Stück der Filmadaptation „Die Kriegerin“, von Tina Müller (Stadt der Hunde, Neuköllner Oper), eine rasante Fahrt auf, die Szenen wechseln in Minutentakten, Männer malen sich weiße Hosenträger auf ihre nackten Oberkörper, bekleben sich streifenweise mit Paketband, schmieren sich mit weißem Lehm Streifen auf die Haare, das ganze eine Art abstrakter Uniformität. Dann rasen sie herum, dann folgt der Blick auf eine Falafelbude mit einigen Joggern, die ebenfalls viel in Bewegung sind, dann der Nazi-Überfall auf diese Bude, dann Auftritt der Hauptperson Marisa (Alessa Kordeck). Dazu Musik, Lärm, Gebrüll, springen, rennen, spurten, schnelle Bewegungen.

Hebt schon immer den Arm

Der Freund Marisas Sandro (Paul Jumin Hoffmann) später im Gefängnis, hebt schon immer den rechten gestreckten Arm, da deklamiert sie noch beschönigend: „Wir sind keine Nazis, wir sind rechts, aber nennt uns nicht Nazis!“, dem Freund geht aber der rechte Arm doch immer hoch, sie dazu: „Nicht hier!“, dann weiter: „Wir sind überall, im nächsten Zugabteil…“ Dem folgt eine blitzartige Verwandlung einiger der Spieler in Flüchtlinge; die in einem Tisch mit riesigem Deckel eingepfercht sind, englisch sprechen, raus wollen, die Enge nicht mehr aushalten, Boot? Flüchtlingsheim? Weiß man nicht genau, aber Enge, aber sich verständlich machen wollen, um Hilfe rufen. Einer davon ist 14, der wird später Marisa treffen und überfahren werden. Bewegung und Wildheit beherrschen das Stück von Anfang bis Ende. Das kommt gut. Das passt gut. Das zeigt etwas über Jugendliche, ihre Sorgen, ihre Wut, das gefährliche Brodeln im Kessel ihrer Seelen. das kann revolutionär werden, aber kann auch anders.

Allmählich werden Risse sichtbar

Dann wird auch Familie gezeigt, ein Vater versteht nicht, warum sein Sohn rechts ist, aber enthüllt es doch, will sich reinwaschen, macht es sich bequem. Eine andere Familie wird gezeigt, Handwerker, Tochter ist fasziniert, will mittun bei den Rechten. Erst ganz allmählich werden Risse sichtbar, die rechten Mädchen sammeln sich, die  Mädchenschimpfworte tönen ihnen in den Ohren: Fotze, Fotze, Hure, Schlampe, fette Sau, Luder, Zicke, Flittchen, Putzlappen, Mutti, Nutte, Weib, Alte, schäm dich, verzieh dich, Klappe halten, raus halten, Schnauze halten, Beine breit, Titten her, runter mit dir, komm schon, weg da, mach mal, los jetzt, putz mal, hol mal, frag nicht, nix für dich, Weiber raus, lass mich ran, fick dich doch selbst, Fotze!“ Das wirkt. Das bleibt unkommentiert. Keine Antworten werden gegeben, keine Deutungen, nur nebeneinander gestellt. Es wird auch nichts verteufelt, nur gespielt, die Faszination, der Lärm, das Stärkegetue.

Mein Haus hatte Tausend Räume

Rasul, ein 14-jähriger Flüchtling wird gezeigt, er schmollt, er wollte nicht gehen, er wäre gern zuhause geblieben. Deutschland ist ihm zu unfreundlich, zu kalt, zu ungemütlich. Er begegnet Marisa, die Begegnung bleibt schwächlich, kurz, unklar in ihrer Qualität. Ist sie von ihm genervt, berührt? Das Zweite wirkt unlogisch, doch etwas ist geschehen, seine bitte nach Essen schafft sie nicht kaltschnäuzig abzulehnen. Mag sein, weil er noch jung ist. Er singt bevor er überfahren wird, das Lied berührt: „Das war mein Haus, mein Haus hatte tausend Räume…“

Choreografie sehr echt, detailgetreu

Nazi-Embleme werden nicht benutzt. Die Requisiten bestehen aus grobem Holz, Plastikbändern, weißer Farbe, braunem Lehm und anderen hellen Baumarktutensilien. Der Regisseur Robert Neumann hat hier erfindungsreich Embleme und Uniformierung symbolisch offen gewählt, das gibt einen eindrucksvollen Effekt, weil sich die Typisierung dadurch eher öffnet. Die Tanzszenen der sich gegeneinander werfenden Männer im Pogo, die nicht selten in Prügeleinen ausarten, werden ungeheuer detailgetreu wiedergegeben, ebenso die Faszination, die diese Situationen für Mädchen darstellen. Und auch deren Widersprüche, Risse und Kanten. Die Sprache ist in ihrer Milieu-Genauigkeit, in ihrer Geschwindigkeit, mit der sie auftritt, genauso wie die Choreografie einzigartig treffend gewählt. Auch dramaturgisch sehr spannend, keine Längen, kein Stück zuviel oder zuwenig.

Hass wird sichtbar gemacht

Dafür wurde sich lange mit dem Thema beschäftigt, lange recherchiert, lange geprobt, Aktuelles immer wieder mit eingewebt, herausgekommen ist ein Stück, was vielleicht sogar in der Lage ist, Sympathisanten dieser rechten Jugendbewegung zum Nachdenken zu bringen. Das nicht, indem appelliert wird, nein, nur indem der Hass sichtbar gemacht wird. Ein Hass, der ubiquitär auftritt und in zahllosen Einzelszenen sichtbar wird. Der Hass der Jugendlichen. Tina Müller sagt, sie habe den Hass der Rechten, obgleich sie jetzt über ein Jahr dieses Stück schrieb, doch nie verstanden und genau das sagt das Stück: Es zeigt Hass und lässt das stehen, kommentiert nicht, erklärt nicht, lässt nur stehen und zeigt und der Zuschauer hat das Nachdenken.

Alessa Kordeck mit Leidenschaft bemerkenswert

Alessa Kordeck in ihrer Interpretation der Marisa ist übrigens dabei bemerkenswert, sie spielt sich, sie tobt sich völlig aus, sie gibt sich in Bewegung, Mimik, Gestik, jedem Wort, jedem Moment, ihrer Figur mit Leidenschaft und Empathie hin,  sie spielt den Hass und in ihm steckt Verzweiflung, Kraft, Mut und Angst. Und besser als im Film gibt es kein plumpes Umschlagen in den Zweifel an all dem, nein, ein ganz vorsichtiges Tasten, weg von dem, was war, aber noch ohne jedes Wissen in welche Richtung.

Verhältnisse ein Minenfeld

Was dabei klar wird, die Verhältnisse, in denen wir leben, sind ein Minenfeld, auf dem wächst eine seit Jahrzehnten hochgezüchtete Saat. Wohin wird das führen, wie ist dem Einhalt zu gebieten, wie ist das aufzuhalten? Ein hochaktuelles Stück! Wieder mal ein Glanzstück des Regisseurs Robert Neumann. Für alle Alterstufen ab 14.

Ein Gedanke zu “Die Kriegerin – Grips Theater – Rezension

  1. Liebe Anja,
    habe Deine Botschaft auf dem AB gehört. Freut mich, daß Du in meinem Buch liest. Deines habe ich gerade durch, und bin “etwas” fassungslos wegen Deines Vaters…
    Am Wochenende fahr ich nach Berlin und sehe meine älteste Tochter… wir freuen uns!.
    Ich ruf Dich demnächst mal an.
    Gruß von
    Rainer

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