Zerbombt – Assoziation Verletzungen – Rezension
7.5.10 / junge welt / Feuilleton
Ein unglücklich Liebender ist vergleichbar mit einem Gefangenen in Einzelhaft…«, »Menschen, die hochgradig gewalttätig sind, schaffen es, daß ihre Opfer sich schuldig fühlen« – diese zwei Zitate von Sarah Kane werden ihrem Stück »Zerbombt« im Theater Vorpommern vorangestellt. Sie sind leise aus Lautsprechern zu hören. »Zerbombt« (»Blasted«) war 1995 das erste Stück der englischen Dramatikerin, die sich 1999 umgebracht hat.
Der innere Blick ins Schlafzimmer– wann hat man den schon mal? Die Bühne in der Inszenierung von Jan Böde besteht aus einem sechseckigen weißen Podest, wahlweise Hotelbett, Hotelzimmer, Tatort.
Es beginnt harmlos: Er: »Schön, daß du gekommen bist«. Sie: »Du hast dich unglücklich angehört«. Die Einleitung zu einem x-beliebigen Gespräch unter Liebenden. Doch so harmonisch geht es nicht weiter, im Gegenteil, die Kommunikation verzerrt sich, gerät auf Abwege. Sie: »Ich werde über Nacht bleiben«. Er: »Ich stinke«. Danach folgen nur noch Beschimpfungen. Er liebt sie und haßt sich selbst, daraus entwickelt sich eine ungute Situation, in deren Verlauf er von verbalen Herabsetzungen zu Handgreiflichkeiten wechselt, mit denen er nichts gewinnt, nur ihre Abwehr steigert. Diese Abwehr reizt seinen Drang, sich selbst zu strafen, indem nun jeder Kuß mit Härte ausgeführt wird, um ihre Abwehr zu brechen. Das Ganze steigert sich und wird zur Vergewaltigung, sie sieht selbst darin immer noch nur sein Unglück. Das steigert seine Liebe, aber auch seinen Selbsthaß und so fort.
Draußen auf den Straßen tobt, scheint’s, ein Krieg, und eine dritte Person tritt auf: Ein bewaffneter Soldat. Dieser interessiert sich nur für den Mann, bedroht ihn, wie der Mann vorher die Frau, die er liebte, quält ihn, demütigt ihn. Das Spiel der Macht wird endlich deutlich, der Mächtige drängt den Ohnmächtigen in Hilflosigkeit und Schwäche, lacht noch drüber, uriniert, reißt ihm die Augen raus, alles endet in fürchterlichem Gemetzel, synonym für den Krieg, der unter Männern herrscht.
Schlußszene: Sie setzt sich neben ihn und singt. Im Programmheft wird Sarah Kane zitiert: »Wenn Menschen nach verstörenden Erfahrungen immer noch lieben können, dann ist die Liebe die größte Macht.«
Ihren insgesamt fünf Stücken haftet der Irrsinn an, schaut man sich aber um in der Welt, scheint der nicht allzu selten zu sein. Das Besondere der Kane-Aufführung in Stralsund und Greifwald ist, daß die Brutalitäten nicht naturalistisch in Szene gesetzt sind, sondern in einer witzig verfremdeten, eher symbolischen Art, so daß die Prinzipien besser deutlich werden. Alle drei Schauspieler haben weiße Ganzkörperanzüge mit großen Löchern, über denen sie arztähnliche Kittel tragen, es entsteht der Eindruck einer von oben bis unten bandagierten Person. Assoziation: Verletzungen.
Auf dem Höhepunkt der dynamisierten Konflikte wandelt sich einer der drei Hauptdarsteller in eine Erzählerin und der Gipfel der Gewalt wird nicht gespielt, nur erzählt: Die Schauspieler frieren zum Standbild ein. Der Zuschauer kippt aus dem empathischen Mitgehen in die intellektuelle Verarbeitung. Man stellt sich den Höhepunkt nur vor, weiß, daß dies exemplarisches Spiel ist. Auch der Soldat, der die Machtverhältnisse im Schlafzimmer umdreht und seinerseits den männlichen Aggressor quält, der vorher die Frau quälte, wird von einer Frau gespielt. Das schafft eine unerwartete Rollendistanz.
Blut hat hier übrigens die Farbe Rosa. Ebenso werden die Waffen im Stück symbolisch dargestellt und damit der Lächerlichkeit preisgegeben. Die Pistole wird zum schwarzen Handschuh, das Gewehr wird eine auf einem Besenstiel aufgesetzte Farbrolle mit tropfender Farbe. Diese Trivialisierung der Tötungsinstrumente kehrt den Charakter der Einschüchterung deutlicher hervor. Das ist mal eine ernstgemeinte Umsetzung des Entfremdungsprinzips: Der Zuschauer muß merken, hier wird nur etwas modellhaft skizziert, er soll nicht etwa der Illusion erliegen, daß wirklich etwas passiert, hier auf der weißen unschuldigen Bühne. Denn wo bleibt sonst die Lehre?
Und wie lautet sie in diesem Fall? Die Hölle spielt sich in den Schlafzimmern ab, im Namen der Liebe und ihrer Mißverständnisse, im Rahmen von Selbsthaß und fehlendem Selbstwert. Die private Hölle geht unmittelbar in den Krieg über, wie sie anderseits auch aus dem Krieg kommt, von ihm herrührt.
Nächste Vorstellungen 19.5. und 16.6., Greifswald, Rubenowsaal (Stadthalle)
Liebe Anja,
jetzt muß ich Dir doch schnell schreiben. Ich möchte Dir für Deine Theaterbesprechung vom Wochenende danken. Du schreibst immer vollkommen präzise und auf die Sache konzentriert, ohne Drumrumgeschwafel, so bekommt man auf wenigen Zeilen einen intensiven Eindruck vom Stück. (Und nicht nur von der Gefühlslage des Rezensenten, wie oft bei Besprechungen.)
Besonders wichtig ist mir natürlich der letzte Absatz: “Die private Hölle geht unmittelbar in den Krieg über, wie sie andererseits auch aus dem Krieg kommt, von ihm herrührt.”
Von Psychologenseite läßt sich noch viel dazu sagen, zum menschengemachten, kapitalbefeuerten Irrsinn namens Krieg und zum menschengemachten Schlachtfeld namens Sexualität, Ergänzungen, die auch notwendig und richtig sind, an der Grundtatsache und Deiner Aussage aber nichts ändern.
Es ist wichtig, die einfachen Zusammenhänge auch einfach zu formulieren. Danke Dir!