Die fetten Jahre sind vorbei – auch in Lübeck – Rezension
26.05.2010 / junge welt
Travemünde, Timmendorfer Strand, Bad Schwartau, Lübeck, dort wohnen mehr Millionäre als im übrigen Deutschland, hierhin weitet sich die Hamburger Reichenszene aus. Riesige Gehöfte liegen einsam und leer hinter Bäumen, die die Besitzer nur zweimal im Jahr besuchen. Jedoch: »Die fetten Jahre sind vorbei«, das angehäufte Kapital rotiert nur noch im Kreis. Dazu wird dieser Tage im Lübecker Theater ein Stück gegeben, das den gleichnamigen Film von Hans Weingartner nur als lockere Vorlage nahm. Gleich zu Beginn: So was gab’s noch nie, die Zuschauer müssen zunächst im Foyer warten, bis sie abgeholt werden. Dann bewegt sich die Menge in breitem Strom die Treppe hoch bis unters Dach, in einen kleinen, völlig mit Möbeln zugestellten Raum. Erst auf den zweiten Blick wird klar, daß es sich um umgekippte, übereinander geschichtete Bänke handelt. Unsicherheit, lautes Rufen, alle fangen an zu räumen, Tische und Bänke werden aus ihrer Unordnung befreit und irgendwie aufgestellt, das Publikum arbeitet. Als alle endlich sitzen, fragen welche von hinten, die sich vom Publikum nicht unterscheiden, warum wir es denn so aufgebaut haben, wer das gesagt hat, wieso wir tun, was von uns erwartet wird. Verunsicherung, alle stehen wieder auf, räumen die Bänke um, dann reichen drei Leute Tüten herum, und sammeln Handys in eine Kiste, die nehmen sie mit, rennen raus, lachen, als hätten sie uns an der Nase herumgeführt. Als sie wieder reinkommen, beginnt das Stück. Die fetten Jahre sind vorbei. Ein Kinoerfolg.
Es geht damit los, daß ein Gefangener angeschleppt wird, über seinem Kopf eine Kapuze mit Klebeband verklebt. Die beiden Männer und die Frau in einer aggressiv getönten Panik. Der Mann wird ausgewickelt, die Geschichte, die aus dem Film bekannt ist, kurz erzählt und der Mann, Hardenberg, ein reicher Mann »mit Villa und teurem Auto« an einen Küchentisch gedrängt, wo er »soziale Arbeit« verrichten soll, die im Vorbereiten eines Essens besteht. Der Witz und das Besondere, es ist ein echtes Essen, was da gekocht wird, der Mann ist ein schmaler Grauhaariger, Typ etablierter 68er. Seine immer wieder gestellte Frage, »Wo ist meine Brille?«, macht ihn verletzlich und fragil. Er steht am Tisch, schnippelt Gemüse, die drei Protagonisten bewachen ihn, irgendwo ist eine Pistole, die »halt mal kurz« auch mal dem Publikum übergeben wird, es handelt sich um junge Menschen mit dem Wunsch, die Gesellschaft in Richtung mehr Gerechtigkeit zu verändern, die diese »ganze Warenscheiße« nicht mitmachen wollen, deren mißtrauisch-aggressive Haltung dazu in eigenartigem Kontrast steht. Zu Anfang blicken sie sich oft ängstlich um, später legt sich das. Sie kommen ins Gespräch, während Gemüsedüfte durch den Saal wabern. Es geht um die Gesetze des Profits, die die vielen benachteiligen und nur den wenigen nutzen, es geht um den Kapitalismus und darum, was man gegen ihn tun könnte, es geht um Griechenland und die Akkumulation des Kapitals, die Armut schafft. Der ältere Mann versucht ihnen dagegen seine Sicht des etablierten Bürgers klar zu machen, Startbahn West, sagt er, Wackersdorf, da war ich auch noch mit dabei, aber später kamen Kinder… Sie sagen, Geld macht nicht glücklich. Nach einer Weile wird klar, ihm imponiert ihre Unabhängigkeit, ihre Freiheit, sie beginnt auch ihm Spaß zu machen.
Dem Publikum wird anhand der Größe der Töpfe und der Realität des Brodelgeräuschs sowie des schmackhaften Geruchs langsam klar, daß sie wohl auch in das Essen miteinbezogen werden sollen. Die Protagonisten wenden sich oft ans Publikum, sie spielen in den Zwischenräumen der willkürlich aufgestellten Bänke. Es ist nicht abgedunkelt. Oft fallen Sätze wie: »Geh mal kurz weg hier«, »Kannst du mal halten?« »Hilf mir mal kurz« in Richtung der Zuschauer, auch in die Diskussion um die politischen Zusammenhänge werden sie einbezogen. Währenddessen filettiert der entführte Millionär mit einem riesigen Messer einen überdimensionalen Fisch in viele winzig kleine Stückchen. Das Wasser läuft einem im Munde zusammen, das entbehrt nicht einer gewissen Komik. Als am Ende gemeinsam mit Leuten aus dem Publikum Bänke hergeräumt werden und sich das Publikum in eine lange Schlange bei Hardenberg anstellt, um einen Plastikbecher Suppe zu fassen und man den Hardenberg nun wirklich so richtig sympathisch findet, wird eine Befragung durchgeführt. In zwei Kisten darf man seinen leeren Becher werfen, in die eine für freilassen – in die andere für nicht freilassen. Ich bin natürlich sofort für freilassen, mein Kumpel, der pensionierte Lehrer neben mir schüttelt den Kopf und wirft seinen Becher in nicht freilassen. Erschreckt schau ich ihn an. Nein, murmelt er, so ändert man die Verhältnisse ja nie, die ändern sich nicht freiwillig. 24 gegen 51 fällt die »Abstimmung« aus, er bekommt seine Designerschuhe und ist frei. Das System ist der Fehler, nicht der einzelne Kapitalist, das ist hier die Lehre, und daß Veränderung schwierig ist. Aber wird ein Hardenberg sein Versprechen auch noch halten, wenn er in seine Villa zurückkehrt? In seine Unfreiheit, in seine Zwänge? 24 Leute haben daran nicht geglaubt. Dieses Stück wird in Lübeck jetzt schon die zweite Spielzeit immer wieder aktualisiert aufgeführt, es kann auch als Gastspiel »gemietet« werden, wenn eine Schule Lust auf Fischsuppe mit ein bißchen politischer Weltkunde hat.