Da kann man nichts machen! Das ist der Automatismus!
Vor drei Wochen erstickten und verdursteten beinahe einige Hundert Menschen in unseren neusteinzeitlichen Fernzügen, ich sitze nun schlotternd in einem und beobachte missmutig die Zugtür, die, bedingt durch Schwerkraft, in jeder kleinen Kurve ihren Öffnungsmechanismus betätigt und noch mehr kalte Luft einströmen lässt. Bei einem Gang auf das WC darf ich, soviel Kraft ich auch hätte, oder Lust sie loszuwerden, die jeweilige Tür nur antippen, egal wie kräftig ich es tue, sie öffnet und schließt sich nicht nach meinen Bewegungsimpulsen, sondern mit einem fortgesetzten Surren, nach ihrem eigenen Gesetz der Eintönigkeit. Auf dem WC finde ich drei zu drückende Möglichkeiten: Tür öffnen, Tür verschließen, Tür verriegeln, jeweils auf rot aufblinkenden Vierecken visualisiert, ein Alptraum für Klaustrophobiker, auch da ein sanftes Surren, egal wie dringend mein Bedürfnis ist, ich muss bei offener Tür warten, bis die elektrisch-eintönige Türbewegung abgeschlossen ist und ebenso nachher, wenn ich darin eingeschlossen bin durch Elektronik. Das Wasser muss ich durch Wedeln mit meiner Hand vor einem Sensor mühevoll in Gang setzen, leicht klappt es nicht, den Geruch kann ich nicht durch Öffnen der Fenster erträglicher machen. Das Einzige, was mir eklig ist, muss ich selbst bewegen, den hellblauen, braun-angeschmuddelten Klodeckel, an dessen gelbschwimmenden Papierinhalt ich anschaulich erkennen kann, wie oft die Elektronik versagt, was mir Mut macht, dass sich die Tür auch wieder öffnen wird. Falls mir im Zug zu warm ist, kann ich nicht die kleinste Klappe öffnen, falls mir kalt wird, kann ich nirgends selbst irgendwo wärmer stellen. Ist mir zu hell oder zu dunkel kann ich Licht weder an- noch abstellen, will ich mich endlich gar ausstrecken, lässt sich kein Sitz verstellen, verschieben, ausziehen oder umklappen, blick ich mich um, ist alles Material aus Plastik, miteinander verschweißte und verklebte Erdölprodukte, die bei Brandgefahr und Rauchentwicklung dioxinhaltig-tödliche Dämpfe abgeben. Während ich nun, da mir kalt ist, die Gänge durcheile, stelle ich mir vor, es gäbe ein Unglück, und sehe die schmelzenden und dampfenden Plastikmassen, wie sie sich um uns herum legen und sich uns einbrennen würden und ich sehe keine Schraube, kein Hebel, keine Möglichkeit zu irgendeiner Handhabung. Ja, nicht mal aus irgendeiner Tür würden wir noch kommen, denn so sicher ich bei keiner Tür mit meiner eigenen Kraft etwas ausrichte, so sicher wird jeder Mechanismus versagen, wenn auch nur die kleinste Zuleitung schmilzt. `Das ist der Automatismus´ sagt der Schaffner achselzuckend, als ich auf die Kälte aufmerksam mache, meine Frage nach Decken, schließlich habe ich 90 Euro bezahlt, lässt er unbeantwortet.
Einst träumten Designer und Techniker vom seeligen Zeitalter des faulen Menschen, der nur noch im Bett liegen müsste und mit einer Fernbedienung, einem bloßen Knopfdruck, seinen Toaster, seine Kaffeemaschine, sein Spiegelei, seine Badewanne und sein Auto betätigen könne. Das erschien uns damals witzig, man machte Satire darüber, heute, wo es fast ganz dazu gekommen ist, dürfen wir uns schon freuen, wenn wir noch irgendwo Tastaturen unter unseren Fingern spüren können, die wir noch durch Eigendruck beeinflussen können.
Mir geht es allerdings so, dass ich den Verdacht habe, der Mensch ist gar nicht gerne faul, im Gegenteil, er möchte gern aktiv sein, ebenso wie sinnvoll beschäftigt, das wird uns ja auch ausgeredet, er möchte sogar gern einen Widerstand und seine eigene Kraft spüren, bemerken auch, dass er eine Wirkung habe, auch außerhalb von Fittnissstudios. Man argumentierte damals, dass der Mensch dann frei wäre für andere, schönere Aktivitäten, sich nicht herumplagen müsse mit Lästigem. Mir scheint das Warten auf Automatentüren, -hähne, -apparate, die Abhängigkeiten von gutwilllig eingestellten Computern, die mein Leben statt meiner selbst bestimmen, aber äußerst lästig, denn ich werde damit zwangspassivisiert, ohne gefragt worden zu sein. Ich fühle mich dadurch auch zum Ding gemacht, denn auf mich als lebenden menschen scheint es nicht anzukommen, meine Knopfdruck- oder Sensorenantipperei könnte jeder Computer besser bewältigen. Überall herrscht das Prinzip perfektester Präzision, der ich nicht trauen kann, was der Blick in die Kloschüssel beweist, ich bin aber umgeben von mathematisch ausgerechneten, computertechnisch abgestimmten, immer gleich verlaufenden Bewegungen und Funktionsweisen, deren Funktionieren ich nicht kontrollieren, noch beeinflussen kann, für die ich keine Rolle mehr spiele und von denen ich mich nicht verstanden fühle in meiner menschlichen Unverwechselbarkeit und Unprogrammierbarkeit. Schon lese ich, dass Forscher uns weiß machen wollen, der menschliche Wille sei nun endlich als Illusion entdeckt worden, wir seien selbst nichts anderes als die Maschinen um uns herum, nämlich vorprogrammierbare Neuronenansammlungen, unsere Moral, unser Freiheits-, Aufstandswille – nichts als Neuronenkurzschlüsse, die mit Chemikalien zu behandeln sind.
Ach, was waren es doch bezüglich der Zugfahrerei für paradiesischen Zustände, als wir noch mit unseren Kindern in ein eigenes Abteil gehen konnten, die Heizung an- oder ausstellen nach Belieben, das Licht herunter- oder heraufdrehen, die Gardinen zuziehen, das Fenster öffnen und den Fahrtwind auf der Haust spüren, die Sitze ausziehen und eine Bettlandschaft bauen, in die wir uns dann aneinander gekuschelt, schlafen legten.
Welch ein Glück waren doch die damaligen Züge, wie seelig schliefen wir darin. Türen hatten noch echte Griffe, die man betätigen konnte, die sich herunterdrücken ließen, in den Gängen konnte man auf Klappstühlchen sitzen und aus dem heruntergeschobenen Fenster konnten wir unseren Liebsten zum Abschied zuwinken.
Dem heutigen Menschen, sagt man, fehle es an Bewegung, Kunststück, die „Volks“-Wirtschaft führt Kriege nur um einen Batzen Öl dazu zu verschwenden, uns ein Leben ohne Bewegungen zu ermöglichen, während es in den Ländern, aus denen wir den Rohstoff für all den Wahnsinn pumpen und unseren Plastikschrott hinkarren, an Licht zum Lesen, Feuer zum Kochen und Maschinen für die Ernten fehlt.
Auch sagt man, bekäme der moderne Mensch zuwenig Melanin, ein Hormon, dass in der Dunkelheit entsteht, da unsere Städte auch nachts taghell illuminiert sind. Dort, wo wir den Rohstoff für das Licht herholen, dass unsere Städte auch nachts taghell beleuchtet, teilen sich zehn Dörfer eine Glühbirne.
Man merkt, wenn man nachdenkt, dass die Errungenschaften des neuzeitlichen Imperialismus auch für hiesige Menschen nicht immer günstig sind, ebenso wie die Idee, immer mehr Automatismus fördere Arbeitsplätze. Das ist der Weg in die Verdinglichung des Menschen, vor der Marx uns schon immer gewarnt hat. Die Computer kennen am Ende nur Zahlen und da ist unser Ableben schon einkalkuliert.
Wir können also nichts machen?
Der Zug fährt nun 180 Stundenkilometer und wenn er, was sicher bald geschieht, entgleist, so haben wir, wie ich eben entdeckte, noch die Chance, einen kleinen Feuerlöscher von der Wand zu reißen und damit in der Gegend herumzuspritzen.
Sehr schöner Artikel. Wie gerne würde ich vieles von diesem Automatismus abschaffen. Zurück zur Basis gehen. Einfach selber machen anstatt auf die Technik zu vertrauen. Das hilft, seinen Verstand zu trainieren. Aber offensichtlich ist das genau das, was wir nicht mehr sollen. Denken. Schöne neue Welt.
Na dann, gute Nacht!