Picasso in Stade

9.8.11 / jw / Feuilleton

Wenn man ein Bild fertig macht, tötet man es – 72 Picasso-Drucke in Stade

PicassoStade bei Hamburg verdankt den Erhalt seiner Altstadt einem Atomkraftwerk und einem Werk der Dow Chemical Company. Jedenfalls sollten die schiefen Hansehäuser nach Angaben eines Mitarbeiters des Kunsthauses in den 70ern ins Hafenbecken gekippt, dieses zugeschüttet und ein gigantischer Parkplatz gebaut werden. Glücklicherweise ist das nicht geschehen. Das Fachwerk säumt wie in den Jahrhunderten zuvor die kopfsteinbeflasterten Straßen. Die Gehwege bestehen wie damals aus roten flachen Ziegeln. Das niedersächsische Städtchen hat den Krieg ohne Bombardierungen und die Kernkraftära ohne GAU überstanden, nun ist es ein Touristenmekka.

Im Kunsthaus, einem schmalen ehemaligen Speicher am Hafen, sind auf drei Etagen Picasso-Drucke ausgestellt. Die meisten stammen aus den Nachkriegsjahren, in denen Picasso vor allem mit Radierung und Lithographie experimentiert hat. Große Werke mit starken Schwarzweiß-Kontrasten. Anfang des Jahres war in Wien eine riesige, gelungene Auswahl von Werken zu sehen, die Picasso für den Frieden schuf. Dem bürgerlichen Feuilleton erschien das natürlich viel zu parteiisch bzw. kommunistisch. In Stade haben wir es nun mit einer vordergründig unpolitischen Kunst zu tun. Keine Friedenstauben in Kreide oder Ton, kein Guernica, keine Weinenden, statt dessen Stiere und schöne Frauen, behaarte Minotauren mit zarten Geliebten im Arm, eine Welt der Gegensätze von alt und jung, weich und hart, kraftvoll und zart. Titel der Ausstellung: »Lebensthemen«.

Wenig Plan- und Vorhersehbares

17 der 72 Exponate gehören zu Picassos berühmtester Grafikserie »Suite Vollard« aus den 30ern. Die Drucktechnik, heißt es im Begleittext der Ausstellung, begeisterte den Künstler zum einen, weil ein Motiv damit sehr schnell bis ins Endlose reproduzierbar ist, zum anderen, weil Radierung und Lithographie (Steindruck) immer etwas besonderes Eigengesetzliches, wenig Plan- und Voraussehbares haben. Das gefiel ihm, er arbeitete ohne Entwurf, entwickelte seine Bilder während des Arbeitens. Einen kleinen Einblick in seine Methoden zu gewähren, ist das Verdienst dieser Ausstellung im Kunsthaus.

Auf dem ersten Blatt, das sie zeigt, beißt neben einem Krug ein Totenkopf in ein Buch. Das Bild lebt vom Kontrast und wird in mehreren Fassungen gezeigt. Schrittweise wird der Weg von der realistischen Abbildung zur Abstraktion nachvollzogen. Aber es bleibt auch hier ein Rest vom Hin- und Herschwanken zwischen Realismus und Abstraktion, scheinbar ist kein Bild wirklich fertig. Picasso dazu auf einer Schautafel: »Wenn man ein Bild fertig macht, tötet man es.«

Als nächstes sieht man in Stade eine dicke Kröte auf braunem Papier. Sie füllt das Bild vollständig aus. Wie auf dem Sprung. Ihr Blick ist feist. Das ist kein Tier, sondern ein Fabelwesen, ein stilisierter Mensch, der sich irgendwo in widerwärtiger Weise breitmacht.

Es genügt nicht, die Werke eines Künstlers zu kennen

Ähnlich die folgenden Bilder: Ein Minotaurus, alter ego Picassos, haariges Wesen mit riesigem Kopf, Gesicht zwischen Beethoven und Stier, umarmt ein nur mit dünnen Strichen skizziertes Mädchen, das wie eine Puppe dargestellt ist. Die Schöne und das Biest, der alte Mann und die junge Frau. Das Motiv wird in unterschiedlichen Abstraktionsstufen wiederholt. Rätseln braucht man nicht, das ist auch Picassos Auseinandersetzung mit sich selbst, seiner Vorliebe für immer jüngere, neue Frauen. Aber ist es nicht auch ein Symbol für die Zeit? Picasso: »Es genügt nicht, die Werke eines Künstlers zu kennen, man muß auch wissen, wann er sie gemacht hat, warum, wie, unter welchen Umständen!«

Die Arbeiten sind ausdrucksstark, haben aber auch Witz. Skizzen kleiner, listig blickender Teufelchen, vom Künstler Faune genannt, scheinen geradezu kindlich. Picassos »Lebensthemen« waren elementar. Die Drucke entstanden in der Zeit von Hiroschima und Nagasaki, als die imperialistischen Mächte nach dem Weltkrieg wieder erstarkten, Picasso war niemals unparteiisch. Zum 2. Weltfriedenskongreß 1950 in Sheffield malte der erklärte Gegner Francos seine großartigen Tauben.

Dieses Bild macht sich der Liebende von ihr

Das Titelbild der Ausstellung zeigt seine damals neue Freundin Francoise, ein figürlicher Kopf kurz vor der Abstraktion. Die zwei verschiedenen Augen sind räumlich kaum versetzt, aber doch scheint die Frau aus zwei konträren Gesichtshälften zu blicken. Die eine Hälfte blickt kalt, fast arrogant von oben herab, die andere ernst und tief, von unten hinauf. Zugeknöpft und aufgeschlossen – genau dieses Bild macht sich der Liebende von ihr, in seinem Wahn, bevor er sie erobert hat, wenn er bangt und hofft und wirbt. Was immer sie sagt und tut, erlebt er als Locken und Wegstoßen. Es erfüllt ihn mit Angst und Begehren gleichermaßen.

Wenn man das Bild lange genug anschaut, findet sich noch etwas: Hat er sie erst mal erobert, kann es passieren, daß nun sie ängstlich und tiefernst wird, während er den Part der Arroganz, der Kälte annimmt, indem er sich wieder einer neuen Frau zuwendet. Picasso hat gerade im Alter sehr häufig die Frauen gewechselt. Hatte er Angst vor dem Tod, wollt er sich mit ihrer Hilfe erneuern? Oder war es das Erobern und Konsumieren immer neuer Frauen, das Nichtertragen jeglichen Stillstandes, sei es auch der ersehnte Hafen einer innigen Beziehung?

Eine gezeichnete Flötenmelodie

Das Bild »Francoise« ist eine Selbstoffenbarung, und es scheint, als bewege es sich vor unseren Augen wie eine Musik. Auf dem Druck »Flötenspieler« erscheinen Menschen in einem Geringel als eine gezeichnete helle Flötenmelodie. Von fast jedem Werk gibt es in Stade drei, vier, fünf verschiedene Entstehungsstufen. Picasso wollte das nicht so benannt haben. Für ihn waren das eigenständige Werke. Auch seine elf verschiedenen Stiere. Jedes ein nicht gestorbenes Bild.

Bis 18. September, Di., Do., und Fr. 10–17 Uhr, Mi. 10–19 Uhr, Sa. und So. 10–18 Uhr

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