Die Ratten im Volkstheater Rostock – Rezension

Das naturalistische Drama aus der wilhelminischen Zeit des Pauperismus feiert nicht nur in der Wirklichkeit des heutigen Berlins, sondern auch im Rostocker Volkstheater neue Triumphe. Armut, Verzweiflung und Wut von Menschen, die ganz unten im soziale Gefüge leben und ihr Irrsinn, sowie dagegengestellt die Albernheit und Aufgeblasenheit sowie unfreiwillige Komik des absinkenden Mittelstands, das alles findet sich im Inneren einer verrotteten Berliner Mietkaserne der 1890er Jahre und ist Inhalt dieses sozialkritischen Stückes der Aufklärung über Armut und Elend. Der Naturalist Gerhard Hauptmann hat sich hiermit auf der Höhe seiner Kunst bewegt, die detaillgetreue Nachahmung der Dialekte, der Gesten, der Mimik, der Lebensumstände dieser Menschen, all das gelingt dem Dichter in einzigartiger Weise um den Zuschauer so nah wie möglich an seine Protagonisten heranzuführen und damit auch mitten in das soziale Elend zu führen und dahin mitzunehmen, wo man freiwillig als Bürgerlicher keinen Fuss hinsetzt. Seine Idee war Kunst mit dem Appell, diese Zustände zunächst einfach mal wahr- und ernstzunrhmen.

Ein heute wieder aktuelles Thema, wenn man bedenkt, wie der Mietraum schwindet, die Reichen sich wie Heuschrecken ausbreiten, die Obdachlosenzahlen sich verdoppeln und verdreifachen und dabei Millionäre und Milliardäre immer reicher und reicher werden.

100 Jahre später noch immer dasselbe Problem: Die Frauen wissen nicht, wie sie ihre Kinder satt kriegen und ihnen ein menschenwürdiges Leben ermöglichen können, die Arbeiter wissen nicht, wie sie sich eine Zukunft aufbauen können, ohne immer nur von der Hand in den Mund leben zu müssen, obwohl sie die ganze Zeit arbeiten, die bürgerlichen Intellektuellen, die gegen veraltete Lehrmeinungen aufbegehren und veraltete Familienstrukturen sprengen möchten, sind auch dabei, leben aber an den Problemen der elenden vorbei, ohne ihn zu helfen, all das, aktuell wie nie und eine Gesellschaft, die den menschlichen Bedürfnissen optimal gerecht wird, ist immer noch nicht erreicht.

Es war eine Freude zu erleben, wie die großartigen Schauspieler im Volkstheater Rostock dieses noch immer so aktuelle Stück, oder wieder so aktuelle Stück, glanzvoll gebracht haben, wie von Hauptmann intendiert, fühlte man sich wie mitten in das Mietshaus katapultiert, und mit der Nase drauf gestoßen, mitten hinein in die Familien, in das Elend, in die Verzweiflung. Was wurde Hauptmann alles vorgeworfen, dass er keine Auswege bietet, dass er zu wenig Abstand zu seinen Figuren hält, dass er kein politisches Konzept hat, all das kann man auch dieser Aufführung vorwerfen, wenn man nicht wichtig findet, dem Publikum zunächst einmal in die Nähe der Probleme der Menschen im sozialen Elend zu bringen. Diese Nähe wird hier optimal erreicht und lässt einem das Lachen im Halse gefrieren. Und die Schauspieler haben es hier genial geschafft, ihre Typen mit Wahrhaftigkeit und Leidenschaft echtes Leben einzuhauchen. Diese Echtheit des zerstörten Lebens, wo die Menschen kämpfen, um ein ganz kleines bisschen Glück, was die Figuren von vor 100 Jahren genau so wie heute erst streben, ist hier auf der Bühne des Rostocker Theaters 2025 als das Werk eines sehr guten Regisseurs mit excellenten Schauspielern erreicht. Das Publikum wirkte zum Teil irritiert, gestört in ihrer bürgerlichen Gemütlichkeit, konfrontiert mit dem Elend, was sie nicht sehen wollen, auch das heute noch genau wie vor 100 Jahren. Ein Zeichen, dass wir erneut in einer Phase stärkster Klassen-Widersprüche stecken, diese haben sich dann in der Mitte des 20. Jahrhunderts im Faschismus entladen, was wird dieser neuen Epoche weltweiter Ungerechtigkeit der Verteilung gesellschaftlichen Reichtums folgen???

Man ging jedenfalls nach Hause und war erfüllt von Trauer. Trauer darüber, dass unsere Gesellschaft nicht geschafft hat, und das in 100 Jahren nicht, das Elend in der Gesellschaft zu beseitigen oder wenigstens zu vermindern, das einzig daher rührt, dass Menschen die in armen Verhältnissen geboren werden, nicht dieselben Chancen haben wie die Menschen die in reichen Verhältnissen geboren werden, Sie können sich noch so sehr bemühen.

Auch die konkreten Probleme, das Kind eines Mannes der ein prügelt und verlässt, nicht austragen können, deshalb den Lebensmut verlieren, Hass auf diesen Menschen entwickeln, aus Familien zu stammen, die Drogen- und alkoholsüchtig sind und daher keine Geborgenheit erleben und geben können, die Trauer um ein verhungerte Kind, die Sehnsucht nach Liebe, Verständnis, Geborgenheit und menschlichen Mitgefühl, und das Scheitern dessen, war glänzend umgesetzt, ganz großes Theater ! ! ! Danke an das Volkstheater Rostock, was mit diesem Stück seinem Namen wirklich gerecht wird!

Die Spieler waren großartig: Sehr witzig war Bernd Färber als Harro Hassenreuter, der ehemalige Theaterdirektor, Frank Buchwald als John, der Maurerpolier, konnte so gut den schwer körperlich arbeitenden Mann geben, dann hat mir ungeheurer gut Katrin Heller als Frau John gefallen, wie sie die Gradwanderung zwischen Verzweiflung und Irrsinn geben konnte, war ganz großes Können! Auch Hagen Ritschel als Bruno Mechelke, hat den kriminellen Bruder glanzvoll gespielt. Absoluter Star war aber Malin Steitz als Pauline Piperkarcka, so leidenschaftlich sieht man selten das Elend einer Frau auf der Bühne! Auch die pantomimisch gespielte Rolle der süchtigen Sidonie Knobbe, gab Starschauspielerin Katharina Paul wunderbar lasziv, und auch Anouk Warter als Selma Knobbe, ihre Tochter spielte überaus eindrucksvoll und glaubwürdig.

Alles in allem ein Meisterstück! Glückwunsch an das Volkstheater-Ensemble! Inszenierung, Komposition und Video: Max Lindemann, Bühne und Kostüme: Katja Pech, Dramaturgie: Sophia Lungwitz, weitere Aufführungen hier erfragen: https://www.volkstheater-rostock.de/

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