Der weiße Heiland – Rezension

15.10.12 / jw feuilleton Das Theater Vorpommern hat mit »Der weiße Heiland« ein vergessenes Hauptmann-Stück auf die Bühne gebracht. Hernán Cortés erobert Mexiko und wird vom Aztekenkaiser Monezuma für einen seit Jahrhunderten angepriesenen Gott gehalten, der auf die Erde herabgestiegen sei, nur um ihm zu huldigen. Die Anfälligkeit der allerobersten Herrscher für Götteraberglauben ist größer…

Das Mädchen mit den Schwefelhölzern – Oper – Rezension

Auf der Programmankündigung der diesjährigen Spielzeiteröffnung der deutschen Oper in Berlin Charlottenburg finden sich zweimal zwei Augen, dazu die Worte: Waisenkind – Terrorist, die Ankündigung des monumental-orchestralen Opernwerks von Helmut Lachenmann, einem Schüler Luigi Nonos: Das Mädchen mit den Schwefelhölzern. Weder das Mädchen mit den Schwefelhölzern, noch Gudrun Ensslin oder Leonardo da Vinci, deren Textvorlagen…

Die schmutzigen Hände im DT – Rezension

Das Stück von Jean Paul Sartre wird selten gespielt. Schade, denn wie kein anderer gehört es in die heutige Zeit und wie kein anderer gehört es zur ganz großen Kunst des 21. Jahrhunderts. Der Inhalt wird vom Ende her aufgerollt, ein poltischer Gefangener kommt aus dem Knast und steht seiner früheren Genossin vor einer Mauer gegenüber. Er…

Muttersprache Mameloshn

jw/feuilleton/17.9.12       Ein feines psychologisches Stück ist Marianna Salzmann mit ihrer Generationenbeobachtung dreier Frauen gelungen: Großmutter, Mutter und gerade erwachsene Tochter wohnen auf einem Haufen zusammen und gehen sich auf die Nerven. »Muttersprache Mameloschn« (ein Synonym) in der Regie von Brit Bartkowiak sieht am Berliner DT aus wie kurz vor oder kurz nach…

Simplicissimus im Acudtheater – Rezension

jw Feuilleton/10.9.12 Mit geringem Budget greift das Zygmunt-Wolski-Theater im Berliner Acud am Ende des Sommers einen ungewöhnlichen Stoff auf, den Dreißigjährigen Krieg im Abbild der Geschichte: Der »Simplicissimus« von Grimmelshausen. Die Geschichte dreht sich um einen kleinen Viehjungen, der durch das Miterleben des Abbrennens seines Vaterhauses brutal in die Welt der Erwachsenen geschleudert wird, später…

Das Schwein von Gaza – Filmrezension

Ein armer Fischer (einmalig gegeben von Sasson Gabai) scheint vom Pech verfolgt, sein Fang bringt nichts als Plastikschuhe, Flipflops, Müll hoch. Fische findet er nur Winzlinge, ganz im Gegensatz zu seinen Marktnachbarn, von denen je einer einen Riesenfisch, ein anderer einen Oktopus neben seinem Stück Zeitung ausbreitet, logisch kauft keiner die Makrelen des Fischers. Oben…

Neue deutsche Erziehung

8.8.12 / junge welt / Feuilleton Morgens im Zugabteil. Zwei Kinder, zirka sechs und vier Jahre alt, Mutter und Vater reden auf die Kinder ein. Mutter: Toni, wenn das jetzt schon anfängt, dann setz ich dich beim nächsten Bahnhof raus, dann kannst du den Rest des Weges zu Fuß gehen! Vater: Guck mich an, wenn du mit…

Inklusion nicht als Sparmodell

Inklusion ist eine gesamteuropäische Bewegung, die unmittelbar auf die Integration folgte. Die Integration war etwas, das die Sonder- und Heilpädagogik seit 1945 in dieser und jener Weise anstrebte. Seitdem innerhalb von nur wenigen Jahren unter den Nazis allein in Deutschland 70.000 behinderte und verhaltensgestörte Menschen sofort und weitere 200.000 als „erbkrank“ und damit als „lebensunwert“…

Gestützte Kommunikation

In: unterwegs 2/2012 Als der kleine Schustersohn Braille einst die Blindenpunktschrift erfand, die sich fortan unter den Betroffenen wie ein Lauffeuer verbreitete, da tobte die Gelehrsamkeit der alterwürdigen Beamten und alle Lehrer kamen überein, diese Schrift solle verboten werden. Man sagte, das isoliere den Blinden, überfordere ihn, bzw. täusche dem geistig „niedrig Stehenden“  hochtrabende Möglichkeiten…

Aufstand der Glückskekse – Rezension

jw/ Feuilleton/ 18.7.12 Als Jacques Offenbach seine Opera buffa »Ba-ta-clan« schuf, sollte das kleine Phantasie-China mit 27 Untertanen nur eine Art weit abgelegenes »Lummerland« sein, an dem Offenbach die Absurdität des Militarismus und eine, seinem eigenen Land entfremdete Herrschaftssucht deutlich machen wollte. Dieses Phantasie-China stand für das Kaiserreich Napoleons III. und seine Dekadenz. Nichts aber…