Bezahlt wird nicht – in Rostock – Rezension
07.04.2010 / junge welt / Feuilleton / Seite 12
Was ist die Perspektive aus all dem Elend, das dem kleinen Mann in der Regel so passiert? Wenn man Dario Fo fragt: „Bezahlt wird nicht!“ Natürlich nicht einfach so, sondern als Reaktion auf ständige Preiserhöhungen bei gleichzeitigem Reallohnabbbau und drohendem oder schon eingetretenem Arbeitsplatzverlust. Und dann entwickelt sich das Ganze mehr zufällig, aus einem Streit mit einem rigiden Supermarkt-Abteilungsleiter wird ein Wortgefecht über die politischen Verhältnisse, die die Frauen himmelschreiend ungerecht finden. So kommt eins zum anderen und schließlich ziehen die Frauen mit Tüten voller geplünderter Lebensmittel ab. Allerdings haben sie dabei nicht immer hingesehen. So kommt es, dass Antonia (frech und ideenreich gespielt von Caroline Erdmann) ihrem gewerkschafts- und parteibravem Giovanni Hundefutter vorsetzt, als er nach Essen fragt. Sie habe anderes nicht bezahlen können, lügt sie, dieses sei aber auch sehr schmackhaft.
Plötzlich schwanger
Während er missmutig das Hundefutter anstarrt, erzählt er, dass er doch tatsächlich Plünderer gesehen habe, allesamt Chaoten und Extremisten, die der Sache des organisierten Arbeiters sehr schaden. Er jedenfalls, schwört er, würde seine Frau umbringen, wenn sie dabei mitgemacht hätte. Derweil marschiert die Polizei ins Haus und Margherita ist plötzlich schwanger. Sehr zum Schrecken Luigis. Diese so profane wie kurzweilige Handlung, hat es geschafft auf der ganzen Welt gespielt zu werden und aus Dario Fo einen der größten Gegenwartsdramatiker zu machen, samt Nobelpreis. Gleichzeitig wird der zivile Ungehorsam geradezu geadelt. Der Inhalt scheint klamaukhaft, der Erkenntnisgewinn, den man daraus schöpft, kommt einem Lehrgang in revolutionärer Politökonomie nah. Das Rostocker Theater hat mit Axel Holst einen Giovanni geschaffen, der seinesgleichen sucht. Die Lachsalven, die er hervorruft über das Scheitern spießiger Elemente braver gewerkschaftlich-opportunistischer Rechtschaffenheit, führen zur völligen Verausgabung des Publikums. Die politische Gegenposition mit Caroline Erdmann als Antonia, zeigt, wie die Spontanität der Massen, die der Partei immer in Riesenschritten voraus ist, vor allem Bewusstseinsveränderung schafft. Ihr gelingt es, überzeugend Stolz, Ideenreichtum, Gewitztheit und Feminismus zu verkörpern, lustig und geistreich gespielt.
Perspektiven schaffen ?
Zwei Sorten von Polizisten werden typisiert, der eine, der den kleinen Mann gibt, der sich insgeheim mit den Protestlern solidarisiert und den Staatsbüttel und Machtmenschen, der unerbittlich ist. Letzterer kriegt von den Frauen einen gehörigen Denkzettel verpasst. Beide werden von Jakob Kraze in köstlicher Weise karikiert. Dazu gibt er noch passend den Leichenbestatter und debilen Großvater.
„Die Stärke Fos liegt darin, dass er Texte schafft, die gleichzeitig amüsieren, engagieren und Perspektiven vermitteln“, (Zitat aus Programmheft, Presseerklärung zur Verleihung des Nobelpreises 1997), das hat sich offenbar auch die Rostocker Inszenierung vorgenommen. Wahr und gut getroffen! Die Regie sowie die Schauspieler agieren offenbar aus einer profunden Kenntnis der herrschenden Verhältnisse und ihrer Klassen, genau wie es über Fo gesagt wurde, „geißeln sie die Macht und richten die Würde der Schwachen und Gedemütigten wieder auf“. So gut machen sie es, dass auf der letzten Seite des Programmhefts für die, die das Stück allzu ernst nehmen könnten, ein kleingedruckter Hinweis der Abgrenzung nicht fehlen darf: „Herausgeber und Redaktion weisen darauf hin, dass Zecheprellen, Schwarzfahren, Ladendiebstahl oder Plünderung nach geltendem Recht die Tatbestände des Betrugs, der Leistungserschleichung, des Diebstahls, des Hausfriedensbruchs sowie des Landfriedensbruchs erfüllen … und mit Freiheitsstrafen bis zu 10 Jahren oder mit Geldstrafe verfolgt werden“. Man könnte die Kunst „zum Modell der Wirklichkeit“ nehmen, wie es in hochwohlgelobten Ansprachen (zuletzt zur Eröffnung des Jugendtheatertreffens in Hannover) immer wieder theoretisch gefordert wird.
Ein Stück für die Vorstädte
Ein ermutigender Abend, der die Kraft geben könnte, das auch praktisch umzusetzen. Ein Stück, das in den Vorstädten gespielt werden sollte, auf Straßen und Plätzen überall in Mecklenburg-Vorpommern. In Rostock Lichtenhagen und Lütten-Klein. Vor den Warnow-Werftarbeitern und den Hartz IV-Agenturen. Wann geht das Theater zu den Menschen hin? Das muss es tun, weil es sonst leider nicht seine Zielgruppe erreicht. Zur Jahrtausendwende hat Dario Fo das Stück von 1971 nochmal aktualisiert umgeschrieben, nun ist aus dem Stück, das einst gegen die Ölkrise geschrieben wurde, ein modernes Anti-Globalisierungsstück geworden. Wie sangen einst “The Smiths”: „Ladendiebe aller Länder, vereinigt Euch!“ ( The Smiths, 1987)
Nächste Aufführungen: 15. u. 23.4., 14.5., jeweils 20 Uhr, Theater im Stadthafen Rostock