Chilegedenken in der Wabe am 11.9. in Berlin

13.09.2013 / jw/ Feuilleton

Ein Abend über Angst und Widerstand: In Berlin wurde an den 11.9.1973 in Chile erinnert: Vierzig Jahre nach dem faschistischen Putsch in Chile versammelten sich am Mittwoch mehr als 300 Menschen in der überfüllten Berliner Wabe, um zu zeigen, daß sie nicht vergessen, was damals geschah und warum es geschah. Bezogen auf das heutige Chile brachte es der junge Liedermacher Nicolás Rodrigo Miquea auf den Punkt:

Überzeugungsarbeit ausgelöscht

Es ist verdammt schwer hinzukriegen, daß die sozialistische Idee so viele Anhänger gewinnt, daß sich das Volk einen linken Präsidenten wählt. Hierbei muß gegen ein Heer bürgerlicher Massenmedien gearbeitet werden und gegen die ganze Macht und gegen das Geld der internationalen Konzerne, der Waffenindustrie und der Geheimdienste. Dazu gehört ein sozialistischer Kulturkampf und jahrelange Überzeugungsarbeit. All das ist am 11. September 1973 mit einem Schlag ausgelöscht worden.

Niemals den Mut verlieren

Der von der jungen Welt mitveranstaltete Abend in der Wabe begann mit programmatischen Filmausschnitten aus »Wenn das Volk erwacht« (von Colectivo Cine, Chile 1972), »Chile, der Kampf geht weiter« (von Elfriede Illal, Chile 1972/73) und »Gespräche mit Allende« (von Saul Landau, USA/Chile 1972), die alle neu in der Reihe Bibliothek des Widerstands des Laika Verlages erschienen sind. Am Ende war Salvador Allendes Appell zu hören, niemals den Mut zu verlieren, da sich soziale Proteste weder durch Gewalt noch durch Geld jemals langfristig haben aufhalten lassen. Daran glauben aber heute in Chile, einem zersplitterten, neoliberalen Land, nur wenige. Auch Miquea hat nicht daran geglaubt, doch dann kamen die großen Studentenproteste. Die Menschen seien immer noch in Furcht vor der alten Diktatur und ihren vielen Helfershelfern, die weiter frei herumliefen, sagte er. Er ist ein virtuoser Gitarrenspieler. Seine Lieder klingen wütend und traurig.

Tausend Lügen, die in Kriege geführt haben

Er spielte ein Lied von Victor Jara über Indochina und erzählte von den Memoiren von Kissinger: Tausend Lügen, die jeweils in Kriege geführt hätten. Warum wird dem Regierenden bei ihren Kriegsrechtfertigungen, so wie jetzt aktuell zu Syrien, immer wieder geglaubt? Ein demokratisch gewählter Sozialismus sei eine große Hoffnung gewesen, den Mächtigen aber schien er gefährlicher als alles andere zu sein, sagte Miquea.

Auf den Schultern: Ein Tal der Hoffnung

Die Schauspielerin Jennipher Antoni las anschließend wunderschöne Pablo-Neruda-Gedichte, die sich im Raum ausbreiteten. Eines handelte vom Verbieten: »Es ist verboten zu weinen ohne zu lachen, die Freunde zurückzulassen, alle zu vergessen, die dich lieben«. Es wird klar, die befreite Gesellschaft kommt nicht auf Kommando. Das, was wir wollen, kann man nicht verbieten, aber auch nicht anordnen, es muß von selbst kommen, freiwillig. »Auf den Schultern ein Tal der Hoffnung. / Die Maden proben den Aufstand / Komm mit mir nach Chile, ich steh für dich ein, für unsere vergessenen Landsleute, kämpft mit mir / Es gibt keine guten Mörder in meinem Konzept.«

Marquez erlebte den Putsch in Chile

In der Wabe trat am Schluss noch José Miguel Márquez, einer der bekanntesten chilenischen Musiker, mit David Sandoval aus Peru auf. Flöte und Gitarrenspiel auf sechs verschiedenen Instrumenten. Die Hand, die die Gitarre spielt, war nicht mehr zu sehen, so schnell war sie. Márquez erlebte den Putsch in Chile. Er erzählte nebenbei von einer Zeit, als viele verhaftet wurden, gefoltert wurden und starben. Von der großen Angst, aber auch vom klugen Widerstand.

Zum Schluß wurde gemeinsam das berühmte Lied von Quilapayún gesungen, »El pueblo unido, jamás será vencido«. Als die Leute nach Hause gehen, sind sie nicht einsam oder gehetzt, nein, sie sind in Diskussionen vertieft.

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