Das Haus des Theater 89 – Rezension
20.8.11 / Feuilleton / junge welt
Ein Lebenswerk zum Wohl der Menschheit hinterlassen zu können, davon träumen viele. Hans-Joachim Frank gründete ein halbes Jahr vor dem Mauerfall in Berlin das Theater 89, das er nach wie vor leitet. Untergebracht ist es in einem Plattenbau, der von einer Polytechnischen Oberschule zu einer Privatschule umgestalt wurde. Was das Lebenswerk des früheren BE-Schauspielers und Regisseurs Frank angeht, ist die zweite Produktions- und Spielstätte seines Theaters noch imposanter: »Das Haus« liegt in der brandenburgischen Einöde südlich von Berlin, Gemeinde Niedergörsdorf. Vor Jahren als Ruine erworben, wurde es mit Helfern und Spenden, Schweiß und Tränen zum Kulturzentrum ausgebaut. Am 12. August gab es hier ein Sommerfest zum 15jährigen Bestehen.
Kein buntes Fachwerkhaus
Ich stelle mir ein buntes Fachwerkhaus mit Lebensgemeinschaftsflair vor, als ich, aus Jüterbog kommend, auf den Ort mit dem seltsamen Namen »Altes Lager« zuradle. Die Gegend wirkt merkwürdig verlassen. Eine beendete Epoche prägt die Landschaft. Rechts und links der fünf Kilometer langen Strecke zähle ich an die 50 zusammengebrochene Riesengebäude, versteckt im Schilf, hinter Bäumen, am Horizont verteilt, Fabrikhallen, überwachsene Mauern, Gewerberuinen – interessant, aber es gruselt einen doch beim Anblick dieser schwarzen Fensterhöhlen und elend langen Betonpisten, die hinter zugesperrten Eisenzäunen einen Eindruck vergangener Aktivitäten vermitteln. Es gibt keine landwirtschaftliche Nutzung, reine Wildpflanzenidylle, die wegen der Ruinen trügerisch scheint.
Neben leeren Pisten überwuchernde Hangars
So an die 45 Minuten begegnet mir keine Menschenseele. Ich habe auf dem Weg noch kein intaktes Haus gesehen und glaube mich in einem Film aus der Tschernobyl-Sperrzone, als ein verlassener Flugplatz auftaucht. Neben den Pisten die überwucherten Hangars. Wo bin ich hier? Am Ende an einer Kart-Bahn. Da sitzen einige Lederjackenmenschen. Sie kennen »Das Haus«, schicken mich auf eine ebenso verlassene, nur breitere Straße. Und weiter geht es an leeren Gebäudekomplexen vorbei, einer großen Halle und einigen kleineren, in der sich Autowerkstätten angesiedelt haben, sehr anheimelnd. Da plötzlich ein oranges Gebäude, das etwas völlig unpassend Hochherrschaftliches hat, Autos davor, Menschen, eine Auffahrt, ich bin da.
Geschichte enthüllt die Militärvergangenheit
Bei einer Hausführung stoße ich endlich auf eine eine kleine Rückschau auf die Geschichte der Gegend. Zur Zeit des Soldatenkönigs, dann des ersten Kaisers mußten französische Kriegsgefangene hier ein riesiges Barackenlager errichten, daher der Name »Altes Lager«. In Vorbereitung des Ersten Weltkriegs entstand an seiner Stelle ein militärisches Sperrgebiet. Danach wurde hier munter weiter aufgerüstet. Vom ausgebauten Monsterflughafen starteten im Faschismus Maschinen nach Spanien. Nach Kriegsende enstand hinter Mauern ein riesiges Areal der Roten Armee mit Läden, Schulen, Werkstätten, Wohnblocks. Nach dem Abzug der allermeisten der 15000 Bewohner wurden Wolgadeutsche angesiedelt, freiwillig kamen mennonitische Pfarrer und Berliner Kulturschaffende. Einen russischen Lebensmittelladen gibt es noch. Im Theaterstück »Kalina Krasnaja« wird am frühen Abend auch ein russischer Frauenchor mit bunten Tüchern auftreten.
Ein Traum für den Gründer des Theater 89
»Das Haus« wurde als Offizierskasino der Wehrmacht errichtet, und die getragene Sachlichkeit der Naziarchitektur ist mir ein Greuel. Aber für welche Veranstaltungen auch immer der hohe Saal gebaut wurde, heute ist er ein Traum für den Gründer des kleinen Berliner Dachtheaters, Hans-Joachim Frank. »Das Haus« seines Theaters 89 ist offen für Projekte aller Art, viele in Kooperation mit den Schulen in der Umgebung. Ein Raum, der Menschen in der Einöde Mut gemacht hat. »Weißt du noch, wie wir hier Silvester bei Kerzenlicht und Frost aufgetreten sind?« fragt jemand beim Sommerfest, das von zwei jungen Frauen moderiert wird, die schon mit acht bzw. zehn Jahren an Workshops im »Haus« teilnahmen. Mit Franks Unterstützung hat sich eine Laienspielgruppe als kleines Volkstheater etabliert. Dafür, was er in 15 Jahren auf diesem verlassenen Flecken Erde auf die Beine gestellt hat, wurde er mit Glückwünschen aus ganz Brandenburg überhäuft.
Dazu die Plakate des Volker Pfüller
Einem anderen geht es beim Sommerfest ebenso: Volker Pfüller, Plakatkünstler und Bühnenbildner. Seit der ersten Vorstellung des Theaters 89 prägt er dessen Bild mit seinen Linolschnittplakaten. Einige zeigt »Das Haus« bis 30. September in einer Sonderausstellung, die beim Sommerfest mit Moll-Posaunentönen des Hauskomponisten Jörg Huke eröffnet wurde.Pfüllers Plakate erinnern – ein wenig wie die des Grips-Gestalters – an das frühe BE. Sie bestechen durch äußerste Verknappung der Form, ohne unsinnig zu werden oder an Tiefe zu verlieren. Vor kurzem wurden 50 im Essener Volkwangmuseum gezeigt. wie entwickelt er die Motive? Stück lesen, enge Bindung an den Regisseur, Sinn und Zweck der Aufführung erfahren, Leitidee entwickeln, ist seine ruhige, bedächtige Antwort. Manchmal dauere das Wochen, manchmal nur einen Tag. Sein erstes Plakat war für »Woyzeck«: auf signalrotem Hintergrund sieht man ihn, abgehetzt, schmal, im Lauf, umrahmt von den grob geschnittenen Buchstaben seines Namens. Es folgten das Logo des Theaters 89 und Bilder zu »Medea«, »Mein Taubentraum«, »Jugend ohne Gott«, sehr viele antifaschistische Stücke. Alle Plakate sind völlig verschieden, und doch ist Pfüllers Stil unverwechselbar.
Häuserblöcke mit vielen leeren Fenstern
In einer Pause fahre ich ins »russische Viertel«, ich sehe viele Häuserblöcke mit vielen leeren Fenstern und nur wenige Menschen, die sehr arm. Unter dem Vorsprung des russischen Ladens hocken, da es regnet, einige einsame Alkis. Sie kommunizieren heftig, zwei ihrer Kinder flitzen um die leeren Häuserecken, Hunde drängen sich zwischen Sperrmüllhaufen an ihre Besitzer.
Danach wird das Stück »Kalina Krasnaja« gegeben. Man kennt nur den Film: Ein kleiner Ganove reist aus dem Knast zu seiner Brieffreundin. Das russische Dorfleben soll ihm helfen, die Vergangenheit in der Stadt hinter sich zu lassen. Die gutgläubige Brieffreundin ist mit Sonja Hilberger ausnehmend gut besetzt. Sie scheint naiv, hinterwäldlerisch, aber ist stark, schlau und gutgläubig – das im Spiel herauszuarbeiten, ist nicht leicht, aber hier großartig gelungen, Jegor war mir manchmal zu sehr Ganove, die anderen spielen naturalistisches Theater.
Echte alte Autos und ein schön singender Frauenchor
Das Stück selbst ist mir etwas zu eindeutig. Viel Vorhersehbares. Wunderschön singt der Chor der russischen Frauen, lustig ist der Einfall, echte alte Autos in den Garten zu fahren. Als es regnet, harren alle Zuschauer tapfer aus. Später am Abend wirde auf dem Rollfeld eines weiter entfernten Flugplatzes, der noch in Betrieb ist, »Der kleine Prinz« in ganz neuer Fassung gegeben. Das kann ich leider nicht mehr anschauen, sonst schaffe ich nicht mehr den Zug zurück nach Berlin. Auf dem Rückweg nach Jüterborg nehme ich einen anderen Weg, nahe der Hauptstraße. Leider geht es wieder fünf Kilometer vorbei an Mauern und Ruinen, diesmal direkt an der Straße, dazu Regen und anbrechende Dunkelheit und ein platter Reifen. Meine Hochachtung gilt all denen, die sich bemühen, aus diesen elenden Kriegshinterlassenschaften wieder bewohnbare Gebiete zu machen.
Am 20./21. 8. zeigt »Das Haus«, Altes Lager, Gemeinde Niedergörsdorf, das Stück »Die Gerichtsnacht«. »Der Kleine Prinz« ist am 20./21.8. und von 26.–28.8. jeweils 21 Uhr, auf dem Flugplatz in Zellendorf zu sehen