Der Gast ist Gott im Grips – Rezension
Im Grips läuft ein neues Stück von Lutz Hübner, dem momentan meistgespieltem Autor Deutschlands, das in Indien spielt und Austausch-Schülerprobleme verhandelt.
Hintergrund ist eine langjährige Zusammenarbeit zwischen dem Grips-Theater und der indischen Stadt Pune, wo, durch einen begeisterten Psychoanalytiker und Theaterfreund angeregt, die „Gripsmethode“ im Kindertheatergenre Indiens Einzug genommen hat. Man sah es als vorteilhaft an, nicht märchenhafte Verklärungsthemen zur Verkleisterung von Widersprüchen, sondern emanzipative Alltagsthematik zur Bewusstwerdung derselben zu bringen. Fußend auf dieser Grundlage finden seit über zwei Jahrzehnten Ko-Op-Projekte (Grips-Movement in India) zwischen Berlin und Pune statt und jedes Jahr gibt es gemeinsame Verabredungen.
Begegnung zwischen Kulturen zeigen
Idee dieses Stücks ist, die Problematik der persönlichen Begegnung zwischen den Kulturen zu zeigen, dazu wurde dasselbe Stück inhaltlich hier und dort in verschiedenen Teams und auf anderem Erfahrungshintergrund entwickelt. Es gibt also dasselbe Stück in Pune und in Berlin. Während es dort mit dem Titel: „Du and Me“ herauskam, heißt es hier: Der Gast ist Gott. Während es hier den Schwerpunkt auf die Probleme eines Westlers mit der indischen Gastfreundschaft legt, die ihm fremd und seltsam ist, liegt der Fokus bei dem in Pune entwickelten Stück auf den Veränderungen, die der Westbesuch in der von Traditionen beherrschten Familie hervorruft.
Wie es nun wohl weitergehen mag?
Zu Beginn stehen die Spieler auf der Bühne als übten sie noch. Das ist bestens und durchaus beabsichtigt, denn das Besondere an diesem Stück ist, dass die Schauspieler sich nicht nur wortlos vor den Zuschauern in ihre Rollenfiguren verwandeln, zB durch offenes Umziehen, wie man es öfter sieht, sondern, dass die Schauspieler während des Spielens ständig aus ihren Rollen kippen und kommentierend und diskutierend überlegen, wie es nun wohl weitergehen könnte. Figuren werden konzipiert, kurz angespielt, wieder verworfen, zB eine Freundin der Gastfamilientochter, die sehr fromm sein sollte und verängstigt, etwas hysterisch. Das wird als zu klischeehaft verurteilt: Weg! Die Figur gibt es nicht mehr. Weiter streiten sich die Spieler darüber, wie sie im Einzelfall spielen sollen. Ein amüsantes „Spiel im Spiel“ mit V-Effekt, was Lacher hervorruft.
In die Gastfamilientochter verliebt
Der Plot passiert einem 17-jährigen mit ehrgeiziger Professoren-Mutter (Lutz Hübner hat es mit den ehrgeizigen Müttern, die ihren Kindern ihre eigenen Wünsche aufdrängen), die für ihn einen Indien-Aufenthalt organisiert, den sie wohl lieber selbst gemacht hätte. Er jedenfalls ist nicht gerade begeistert und diese Skepsis verstärkt sich, als er dort ankommt und ihm alles fremd ist. Es kommt, wie es kommen muss, er verliebt sich in die Gastfamilientochter.
Entromantisiert bis zum nächsten Jahr in Deutschland
Weil er die Kondome nicht gekauft gekriegt hat, als sie romantisch an einem Fluss saßen, in dem Schadstoffe schwimmen, phantasiert er sich in die Situation hinein, dass sie ein Kind bekommt und er sie dann heiraten muss und mit ihr in Indien bleiben. Das entromantisiert die Sache, denn auch die Vorstellung, sie von ihrer Familie wegzureißen und mit ihr und dem Kind in Deutschland zu leben, stellt er sich nicht konfliktfrei vor. Und so bleibt es bei einem Kuss und bald verabschieden die beiden sich mit dem Satz: Bis zum nächsten Jahr in Deutschland. Der Plot ist so einfach wie vorhersehbar, doch fürchte ich, er unterfordert etwas die 17-Jährigen.
Kurz davor, das Publikum miteinzubeziehen
Gut ist das Stück durch seine Machart, die ständigen Brüche, wenn die Schauspieler einen in die Realebene wie mit in die Proben nehmen, witzig, wie sie die Rollenvarianten proben, verwerfen, neu diskutieren, das ist sehenswert. Da ist Möglichkeit drin. Da steht man schon kurz davor, das Publikum miteinzubeziehen (schade, dass das nicht geschieht, wäre eine echte Boal´sche Variante gewesen), hiermit erreicht das Stück auf jeden Fall Jugendliche, die gern etwas Neues auprobieren.
Straßenszene: Wie mühsam durch Wasser
Die Schauspieler spielen es gekonnt, gewitzt und spannungsreich. Das Stück macht Witze über indische und deutsche Angewohnheiten, die Erstunterhaltung bei der Begrüßung ist in der Hinsicht am gelungensten. Das Chaos auf den „vierspurigen Straßen, die sechsspurig befahren werden“, wird sehr dialektisch gegeben. Man sieht nichts von einer vollen Straße, der Junge, der die Straße zu überqueren versucht, liegt auf dem leeren grauen Bühnenlinoleum und versucht sich, wie mühsam durch Wasser schwimmend, seitlich am Boden kriechend, fortzubewegen. Allein aus dem abgedämpften Lärm aus dem Off, wird die Straße vor dem geistigen Auge sichtbar. Das macht sich gut.
Inhalt: Etwas zu dünn
Das Stück ist ein reines Mittelklassestück für austauschjahrfähige Gymnasiasten in der 11. Klasse, es ist frei von sozialer Klassenproblematik, frei von Politik, frei von Gesellschaftskritik. Emanzipativ? Vielleicht insofern sie nun eben doch nicht mit Kind im Hafen der Ehe hier oder dort einlaufen? Aber das ist fürs Grips doch etwas zu dünn, finde ich.