Die Kulturfabrik Fürstenwalde und das Theater Größenwahn – Rezension

Fürstenwalder Impressionen

Nachts ist es hier dunkel. Dunkel, leer und tot. Neuerdings begegnen einem allerdings ab und an Flüchtlinge auf Fahrrädern, die sausen, ebenfalls von Berlin her aus dem Spätzug kommend, die Einkaufsstraße hoch und verschwinden dann jenseits der Spreebrücke in die Richtung, wo die Flüchtlingsheime liegen. Der zu Jahresbeginn neu aufgemachte griechische Imbiss sieht schon wieder so aus, als schließe er bald, in einer einzigen Pizzeria sitzen noch wenige und plaudern.  Trostlos nachts, tagsüber bis 18 Uhr Einkaufsgewimmel, dann Ende.  Jeden zweiten Jugendlichen beäugt man misstrauisch, ob er nicht etwa ein Rechter ist.

Es gibt ein Downtown und ein Uptown in dieser Stadt, eine Mitte und ein Nord, ein Süd und eine Autobahn, eine Spree und ein Schwapp.

Downtown ist da, wo der Regionalzug aus Berlin ankommt, und auf dem Bahnhofsgebäude eine kleine Tafel davon spricht, dass dieser Bahnhof schon sehr alt ist. Dem morgens und nachmittags von Pendlern gut besuchten Bahnhof schließt sich zur Spree hinführend, eine Einkaufsstraße an. Dort findet sich alles, was der Westen so in den Osten gebracht hat, vor allem Großkonzerngeschäfte: Ein Schreibwarenkettenladen, ein Drogeriekettenladen, zwei nebeneinander liegende Lebensmittelkettenpaläste, ein Optikerkettengeschäft, dazwischen Blumenladen, Klamottengeschäft, Buchhandelskettenladen, Obst in der Seitenstraße, einige wenige Kleine haben sich noch gehalten, Ortopädiegeschäft, Sportklamotten, usw., das geht nahtlos über  in eine geschwungene Straße, die an einem „Fürstenhof“ und „Kaiserhotel“ vorbei der großen Spreebrücke entgegen strebt.

Markt, Bioladen, Touristenbüro

Wenn man davon links abbiegt, kommt man nach Uptown, diese Benennung ist die Idee einer Freundin, weil es hier zwei direkt untereinanderliegende Stadtkerne gibt. An dieser Stelle findet sich der alte Ortskern, er umfasst den Dom, die Altstadt, das Rathaus und sein zugehöriges Center.  Hier gibt’s den Markt, einen Bioladen und ein Touristenbüro.

Hier beginnt das Staunen: Eine alte Fabrik

Und hier beginnt auch schon das Staunen, denn neben dem Dom und der Gemeinde liegt  eine alte Fabrik und darin ein Kulturzentrum. In riesigen Lettern, unübersehbar, prangt es von den Ziegelwänden der alten Fabrik.

Die nächsten Veranstaltungen, Lesungen, Musikveranstaltungen, Kabarett, Theateraufführungen, Musik, Kleinkunst. Alles Live-Veranstaltungen großer Künstler, die kaum ein Wessi kennen würde, die aber alle kritischen und wachen Geister im Osten kennen und lieben: Ich sag nur: Seilschaft, Wenzel, Gundermann-Lieder, Barbara Thalheim, Preuß und Band, Theater am Rand uvm.

Die Fabrik beherbergt einen „Kinderladen“, die Stadtbibliothek, und zwei große Veranstaltungsräume, die zur Kulturfabrik gehören, einem in Wendezeiten gegründeten einstmaligen Selbsthilfeprojekt, dass ein Herr Stachat, Künstler und stadtbekannte Persönlichkeit  aus den Samariteranstalten, gegründet hat und der Stadt Fürstenwalde seit über zwei Jahrzehnten eine überaus lebendige Alternativkultur beschert.

Theater Größenwahn am Einheitstag

Dorthin hat es jüngst am Vortag der verlogenen Einheitsbesoffenheit das kleine jüdische Theater „Theater Größenwahn“  aus Berlin verschlagen. Unklar war ihnen, ob an so einem Tag in dieser Kleinstadt überhaupt irgendjemand sich einfände.  Dann aber waren 50 Leute da, klatschten, lachten, freuten sich über ihren Tucho, den die meisten gut zu kennen schienen. Und wenn dann Manfred Kloss die Replik gibt, wo sich Tucholsky fragt, wann man denn eigentlich überhaupt jemals Kommunist sein dürfte, in welchem Lebensalter und in welchem Lebensstand, denn alles wird ja gleichermaßen und immer angegriffen (jweils immer mit anderen Begründungen), dann gibt es große Zustimmung. Ebenso bei der Ballade von der Bürgerlichen Wohltätigkeit. Ein Lied, wo die Untugenden der Aktiengesellschaften und deren Verbrechen gegenüber dem Kleinen Mann gegeißelt werden.

Löcher im Käse und Herr Wendringer

Das Beste aber: Wo kommen die Löcher im Käse her? Na? Wissen Sie es? Nein? Hier kann man es lernen. Eine harmloses Kindesfrage beim Abendbrottisch mischt die gesamte Abendgesellschaft auf und am Ende? Ist das Rätsel gelöst worden? Dazu sollten Sie selbst einmal in dieses vorzügliche kleine Theater gehen, man kann das auch in Berlin Neukölln machen.

Augenzwinkernde Menschenliebe

Dann Herr Wendinger, wie er neureich und dummdreist telefoniert, Tucholskys Witz, seine Ironie, sein Schmunzeln, seine köstliche, augenzwinkernde  Menschenliebe, seine rückhaltlose und unsentimentale Parteinahme für die Armen, dann Lottchen und seine Frauen (Liebe ja, Ehe eher nicht) und ein Sonntag, an dem das Schönste der Samstag ist, die Wünsche, die man sich nie erfüllen kann und und und…

Beim Wort Komunismus nicht gleich in Schockstarre gefallen

„Ihr seid ein wunderbares Publikum!“, freut sich nach der  Veranstaltung die Pianistin des „Theater Größenwahn“, (Deutsch-Jüdisch Bühne Bimah). Ihre Augen leuchten, man sieht ihr an, dass sie hier in dieser Stadt nicht mit so viel Pubikum gerechnet hatte. Und dann auch mit solchen, die beim Wort Kommunismus nicht gleich vor Schreck in Schockstarre zusammenzucken.

Zur Bühne

Etwa 50 Leute sitzen im Saal, reinpassen an die 200, grünes und blaues und rosanes Licht beflackert die kleine Bühne. Hier habe ich schon mehrmals auch Günter Wallraff gesehen ( vor völlig ausverkauftem Haus), ein erstaunter und bescheiden wirkender Wessi, der staunend, ohne jeden Dünkel spricht, hier wurde das erste Mal Suggerman als Theaterstück gezeigt (Rühmann und Co, Theater am Rand), hier kommen Wenzel und die Seilschaft  und eine 80-jährige Jazz-DDRlerin, Irische Dudelsack-Musiker und viele Berühmtheiten gleich mehrmals im Jahr.

Fürstenwalde hat auch ein Alternativkino

Grade zu Ende gegangen ist in Fürstenwalde auch eine „Interkulturelle Woche“ im einzigen Kino am Ort, das ein Alternativkino ist (wird grade barrierefrei umgebaut), im Film über türkische Wurzeln in Deutschland (Import-Export Türkei) trat sogar ein alter Fürstenwalder Schuhmacher auf, der noch türkische Wurzeln aus der Kaiserzeit hatte (sein Vater war ein waschechter türkischer Waisenjunge gewesen, den man 1910 nach Deutschland zur Erlernung eines Handwerksberufs geholt hatte). Und dieser Mann, ein Herr Höhne, war nun nicht nur auf der Leinwand zu sehen, sondern saß auch im Publikum und stellte sich den staunenden Mitmenschen.  Von der Nazizeit hatte er allerdings wenig Gutes zu berichten, aber auch nachher in der DDR wollte kein Pfarrer seinen Vater beerdigen.

Es lohnt einmal die RE- Bahn zu benutzen

Das Berliner Umland ist also nicht nur rechts, nein, das ist es nicht, weder in Fürstenwalde noch anderswo, man muss sich nur etwas umschauen, dann kommt man ins Staunen. Viele der Livekünstler, die in Füwa auftreten, bekommt man hier billiger und öfter zu sehen als in Berlin, auch übersichtlicher als in den großen Hallen, wo sie sonst manchmal aufzutreten pflegen. Es lohnt also, einmal die RE-Bahn zu benutzen, am besten nach den Umgehungsbauten, die noch bis November dauern, 35 Minuten ab Ostbahnhof zu fahren und dann im schönen Fürstenwalde anzulanden.

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