Müll – Ein Making-Off im Grips – Rezension

Das Grips-Theater hat ein Müllprojekt- Stück gemacht und wie es beim Grips immer ist, wird ordentlich recherchiert, solange, bis jeder es am eigenen Leibe spüren kann,  zwei Wochen mussten zB die Schauspieler ihren Müll sammeln und ihn mit zu den Proben bringen. Dabei fand Vanessa, wie sich die neue Gastschauspielerin Vanessa Stern (eine eindrucksvolle Charakterdarstellerin mit Zukunft), sich den Kindern mit ihrem Vornamen vorstellt, und sich auch selbstironisch spielt, heraus, dass sie innerhalb von zwei Jahren einen 5 Meter hohen Turm Windeln, der eine Tonne schwer ist, produziert hat und enorme Mengen von Biomüll, allein aus weggeworfenen Lebensmitteln, die sie im Kühlschrank vergessen hatte, bei  ihr zusammengekommen waren.  Jens (Modalski), ebenfalls sich selber spielend, bekam Probleme wegen des vielen weggeworfenen Plastikzeugs seiner Kinder und Kilian (Ponert) , der Veganer ist, rennt einmal raus und sagt, er mache bei keinem der Stücke mehr mit, wenn es noch einmal Wurst gäbe. Diese Realitätsnähe ist frappierend.

Plastik, vorherrschende Farbe grün

Das Stück beginnt in einem künstlichen Kleingarten, links ein Gewächshaus, rechts ein selbstgebauter Baum, alles andere:  Plastik, vorherrschende Farbe grün, Plastikblumen, Plastikrasen, Plastikstühle. Der Baum wird mit Kirschduft besprüht, ein Paket mit einem Elektrogrill wird aus dem Häuschen geholt, Mengen buntes Plastik wird als Verpackungsmüll aus dem Paket aus- dann wieder versucht einzupacken, kleinzurollen, zusammenzuschnüren.   Dabei wird erzählt.

Die Spieler stellen sich mit ihren Klarnamen vor und berichten, so wollte es die Initiatorin des Projekts, Hannah Biedermann,  von sich selbst als die Schauspieler, die sie sind, mit dem Leben, was sie führen, wenn sie nach Hause gehen und Privatleute werden. Wie sie ihren Müll gesammelt haben, wie sie leben, warum so viel zusammenkam, und was alles zusammenkam, dabei werfen sie sich gegenseitig das Fleischessen, die Pamperswindeln, das Wegwerfen von Glitzerstiften u.ä. vor.  Jeder findet, der andere hat zu viel Müll produziert, rechtfertigt aber seinen eigenen.

Unterschiedliche Lebensstile schaffen unterschiedliche Müllberge.  Gegen Müll ist jeder, dass soviel zusammenkommt, ahnt keiner, wohin der Müll geht, das ist nun der nächste Programmpunkt, den die Spieler herauszufinden sich aufgemacht haben. 

Kein Zeigefinger, kein Hat-ja-doch-keinen- Zweck

Das ganze Stück wird wie ein Projekt dargestellt, das die Regisseurin mit den Schauspielern des Grips aus Selbsterfahrungsgründen initiiert hat. Und genau darin liegt seine große Stärke. Kein Zeigefinger, kein „Ihr“, kein Abschieben der Verantwortung auf die Kinder, und kein:  „Hat ja doch alles keinen Zweck“. Dazu macht Johannes (Birlinger), der auch mitspielt, aber der Musiker ist, an einer Elektrostation Toncollagen, elektronische Sphärenklänge, jedenfalls futuristisch klingende Musik.

Wildes kindliches Spielen

Das Erzählen der Erwachsenen wird äußerst bunt und abwechslungsreich gestaltet, mal wird es nur choreografiert: In Pantomime gehen die drei durch eine gedachte riesige Fabrikhalle, es ist die Müllverbrennungsanlage Ruhleben, köstlich wie Jens Modalski das künstliche Lachen des Fachmanns für Öffentlichkeitsarbeit karikiert, der sie herumführt.  Mal brüllen sich die Erwachsenen im Streit die Thesen, „Wer spart am besten Müll“ um die Ohren, dann driftet flugs alles in ein wildes kindlich anmutendes Spielen ab, da sprechen sie plötzlich in einer unverständlichen Art universellen Kindersprache, eher nur jauchzend, dadurch verlassen sie die Erwachsenenrollen und werden zu Kindern, das ist sehr elegant und geschickt jeweils immer zwischengeschoben. Die Kinder im Publikum erreicht das, sie jubeln dazu.

Blödsinnige Stromfresser

Spannung wird permanent durch besondere Überraschungen erzeugt, große Pakete werden aus dem qualmenden rosafarbenen Gewächshaus geholt, wie aus einer Hexenküche und unter großem Wow und Oahh ausgepackt, damit wird unsere Konsumwelt herrlich selbstironisch karikiert. Zum Vorschein kommen besonders blödsinnige Stromfresser,  ein Elektrogrill aus Plastik und ein Laubsauger. Mit denen spielen die jetzt zu Kindern gewordenen Protagonisten unter großem Gejohle. Der Laubsauger pustet die Plastikteile über die Bühne, bekommt noch einen „Rüssel“ angesteckt und wird nun zum Sauger und Puster in einem, Vanessa, die das „Monster“ bedient, macht einen wunderbar schizo-verwirrten Silberblick-Gesichtsausdruck dazu. Bald ist die ganze Bühne von Plastikfetzen bedeckt. Der Elektrogrill ist aus Vollplastik und man mag sich lieber nicht vorstellen, was passiert, wenn das heiß wird. Unter großem Gejauchze wird die völlige Blödsinnigkeit und Dämlichkeit der Produkte deutlich.

Lachkrämpfe und Zaubertricks

Verblüffende Zaubertricks führt Kilian vor, steckt sich einen Riesenluftballon stückweise in den Mund, und zaubert aus einer offenen, ausgetrunkenen, schon zerdrückten Getränkedose eine neue. Die vier, von denen einer Johannes, der Musiker ist, springen herum, machen viel Unsinn, haben höllischen Spaß und die Kinder der ersten zwei Reihen kugeln sich vor Lachen, sie hüpfen auf den Bänken, können sich nicht einkriegen vor Lachkrämpfen und Spannungsgefühl.

Diese Spannung und Energie bleibt bei den Kindern auch bei den ernsten Themen bestehen. Nach dem Bericht vom größten „Wertstoffsortierwerk“ der Welt, Alba, sitzen die Kinder da und staunen, eine Fahrt mit auf dem Müllauto wollten sie schon lange mal mitmachen, davon erzählt Kilian Ponert in einer herrlichen Replik, in dem er einen etwa zehnjährigen Jungen zu spielen scheint, dann kommt die Kompliziertheit der Energiekosten einzelner Plastikteile in der Herstellung zur Sprache.  Da werden die Kinder im Publikum gefragt, was sie so denken. Dazu steigen die Spieler mit Mikros über die Bankreihen. Dabei wird’s immer konkret, genau, persönlich. Was denkst du, wie viel Energie es kostet, dein I-Phone einmal aufzuladen?

Soviel wie einmal kacken

„Also ich habe ausgerechnet, es kostet soviel wie einmal kacken“, sagt Jens (Modalski) da plötzlich und strahlt, „so 200gr etwa“. Die Kinder brüllen vor Lachen, die Erwachsenen so ungeschminkt solche Kampfworte benutzen zu hören. Manche schauen sich ängstlich nach ihrer Lehrerin um, ob die das wohl erlaubt? Aber es kommt noch schlimmer:  Ab da rechnet er eine Weile lang alle Energiekosten von Alltagsgeräten in Kackeinheiten. 3600gr, 56.000 gr, und bald kommt er auf Millionen zu sprechen. Nun lachen die Kinder schon aus vollem Halse, doch bleibt es ihnen dann auch wieder dort genau stecken,  da alles in dem Satz mündet: „Soviel kann man gar nicht fressen, wie man kacken müsste“. Erwachsenen- und Kinderrollen changieren, verschwimmen, die Spannung ist enorm hoch für ein Stück, das keine durchgehende Handlung hat und im Grunde eine Performance darstellt.  

Von Gießkannen und Teich-Enten

Am Ende kein moralischer Zeigefinger, der den Kindern sagt, ihr müsst nur Müll trennen, schon ist das Problem geritzt. Die Verursacher werden sichtbar, die Verpackungsindustrie, die Plastikherstellung, die Energiefressgerätehersteller. Die Weiterverarbeitung wird sehr sinnlich erfahrbar gemacht, auch mit vielen Infos, die kein Normalmensch kennt. Allein die Größe der Fabriken beeindruckt und lässt indirekt nochmal die Frage der Mengen aufkommen. Und dass man aus recyceltem Plastik nicht beliebige Produkte herstellen kann, sondern nur bestimmte, das wird in einer köstlichen Sequenz deutlich, indem die Kinder zunächst gefragt werden, was sie für ihren eigenen Plastikteilchen, die sie aus ihren Hosentaschen auf die Bühne werfen dürfen, wohl gern haben wollen, aber leider immer nur Gießkannen und Teichenten dabei herauskommen, die allmählich die ganze Bühne bedecken.

Dann werden die Kinder gefragt, ob sie glauben, dass man mit Müll Geld verdienen kann, einige glauben es, andere nicht, aus der Beschreibung der „Wertstoffsortieranlage“ und der Gieskannen, die dabei herauskommen, geht die Antwort klar hervor.

Auf dem Schornstein ein Spiegelei

Andere Länder und Müllexport werden als Themen nur gestreift, das Stück bleibt hier, bei uns, unser Weg des Mülls in allen Einzelheiten und für jeden persönlich wird verfolgt, man hat sich für zwei Wege entschieden, die für Berlin herausgefunden wurden, Müllverbrennung, wo der (gespielte) Leiter einen köstlich bühnenreifen Satz beisteuert, indem er beteuert, dass das oben herauskommende  Gift weggefiltert wird: Auf dem Schornstein könne man sich ein Spiegelei braten. (Die Kinder lachen sich tot, erfassen, dass das nicht stimmen kann, stellen sich das Spiegelei auf dem Schornstein vor). Die Recherchen in den Fabriken und an den Müllarbeitsplätzen werden eins zu eins nachgespielt und das wird zu etwas,  über das man lachen kann.  Diese Geschichten sind originell, werden witzig vorgetragen, sehr oft trotzig rechtfertigend, wie wir alle mit diesem Problem umgehen, da wir für unseren jeweils unterschiedlichen Lebensstil uns eben ungern rechtfertigen. Damit kann sich jeder identifizieren und das ist sehr gut der Realität nachempfunden. Gleichzeitig weist es, indem man die Beschränktheit dessen erkennt, über sie hinaus. So wird’s ein Stück, das Einsichten befördert ohne moralisch zu wirken. Das Stück ist für unbedingt alle Altersgruppen, nicht nur für Kinder ab 8.

Das Spielen den Kindern abgeguckt

Und, völlig überraschend für ein Umweltstück, ausgesprochen sinnlich, laut, farbenprächtig und lustbetont gespielt. Mit großer Ausgelassenheit geben sich die Spieler dem kindlichen Spiel hin, ein übrigens typisches Grips-Merkmal, die Spieler haben das Spielen offenbar so gut den Kindern abgeguckt, dass ihr Spiel nun anderen Kindern als Vorbild dienen kann, wie man gut und schön spielt. Selbst in einem Stück, das so ernsthafte Probleme wie die Weltzerstörung durch Plastik zum Thema hat. 

Sehr gelungen, unbedingt hingehen! Eine sehr gute Herangehensweise an ein problematisches Thema!

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