Die schmutzigen Hände im DT – Rezension
Das Stück von Jean Paul Sartre wird selten gespielt. Schade, denn wie kein anderer gehört es in die heutige Zeit und wie kein anderer gehört es zur ganz großen Kunst des 21. Jahrhunderts.
Der Inhalt wird vom Ende her aufgerollt, ein poltischer Gefangener kommt aus dem Knast und steht seiner früheren Genossin vor einer Mauer gegenüber. Er fragt sie, warum sie ihm vergiftete Pralinen in den Knast geschickt hätten und sie, warum er so früh rausgekommen sei. Angst und Misstrauen beherrscht die Szene. Im Hintergrund beherrscht die riesig überdimensionierte graue Gefängnismauer die Szene. Einige Fragen gehen hin und her, er: Die Befehle gab es nicht mehr, ich stand allein, sie: Wie war es mit Hoederer, tatst du es aus Eifersucht? Er macht einen abgekämpften und verbitterten Eindruck, ist voller Wut und Hass. Trotzdem küssen sie sich plötzlich, ich werde es dir erzählen, ruft er, rennt, schlägt einen imaginären Vorhang zurück, die Mauer öffnet sich zu variabel verschiebbaren Wänden in eine frühere Zeit, das Spiel beginnt.
Er will mehr, will wichtig sein
Nun sieht man den Hauptdarsteller Hugo als Jüngeren. (gut gegeben von ole Lagerpusch) Er ist ein junger Mann aus reichem Hause, der sich dem Widerstand gegen die faschistischen Besatzer angeschlossen hat, und dem noch nicht vertraut wird. Daher wird ihm nur Schreibtischarbeit zugeteilt. Er aber will mehr, will an Aktionen teilnehmen, will wichtig sein. Man sieht ihn Sätze in eine Schreibmaschine hämmern, die Sätze werden auf eine Leinwand projiziert: Wir fordern, dass wir denken, wir werden, was sie wollen, wir kämpfen für, wir kämpfen gegen, wir sind, wir alle, die Zeiten sind, weil wir das Leben, ich, du, die Geschichte hat gezeigt, seid bereit, der Mensch, die Partei, eine gerechte, selbstbestimmte Gesellschaft ist möglich.
Das mit dem Morden ist nicht so einfach
Der weitere Verlauf der Geschichte kreist darum, dass er von seiner illegalen Parteileitung den Auftrag abtrotzt, den zu Kompromissen mit den Reaktionären allzu bereiten Parteivorsitzenden Höderer kennenzulernen, bei ihm als Sekretär zu beginnen, sein Vertrauen zu erwerben und ihn dann umzubringen. Es ergeben sich aber Schwierigkeiten. Diese entstehen, weil der Mensch in seiner Vielschichtigkeit unvorhersehbar agiert und das einmal Erkannte jederzeit infrage stellen kann. Auch ist das mit dem Morden nicht so einfach, man lernt einen Menschen kennen und damit auch seine Beweggründe. Vor solchen Entscheidungen steht der Mensch am Ende immer allein, da hilft ihm kein Befehl weiter. Er muss aus sich selbst heraus eine Rechtfertigung finden.
Exemplarisch für den Widerspruch zwischen dem Einzelnen und der Gesellschaft
Dies widerspricht der Hauptmaxime illegaler und militärischer Arbeit, die von Befehlen geprägt ist und oft genug Strukturen enthält oder produziert, die vom Einzelnen nicht wählbar, nicht beeinflussbar und nicht kontrollierbar sind. Die Begegnung zwischen dem 20 Jahre älteren Hoederer und dem jungen Mann gestaltet sich exemplarisch für den Widerspruch zwischen dem Einzelnen und seiner Eingebundenheit in die Geschichte und die als notwendig erkannten Gegebenheiten, ein Thema, das Sartre in all seinen Stücken bis in die kleinsten Facetten menschlichen Lebens problematisiert. Der Mensch ist, was er entscheidet, nicht, in was er zufällig hineingeboren ist. Nicht Umwelt und Gene entscheiden über den Menschen, wie es manche Psychopädägogik so platt behauptet, sondern Umwelt und willentliche Entscheidung, die in jedem Moment unseres Lebens in unseren eigenen Händen liegt, und sein Scheitern quält den Menschen, weil er das fühlt und weiß. Hugo, der junge Mann, hatte die Wahl und er hat etwas gewählt, was einen Menschen vom Leben in den Tod befördert hat und das trägt er nun allein.
Ich bin in der Partei, weil ich Hunger habe, und du?
Das Stück ist großartig besetzt und einzigartig ist die Rolle der Jessica hier gegeben, die durch einen ungewöhnlichen Witz, eine Mischung aus Kindlichkeit und Umsicht, auf besondere Weise den ihr gegebenen Entscheidungsraum bis aufs letzte ausnutzt um den Mann, den sie liebt zu retten. Katharina Marie Schubert als Jessica spielt, wie ich es noch nie sah, diese Interpretation ist wirklich außerordentlich gewagt und gelungen. Ebenso stechen die zwei Leibwächter des Höderer heraus, wie sie die unterdrückte und seit Generationen ausgebeutete Unterschicht in ihrer ständig halbgezügelten Gewaltbereitschaft auf die Bühne bringen, besonders, wo sie sich mit dieser Macht, die sie schützen (Hoederer), in besonderer Weise identifizieren können. „Ich bin in der Partei, weil ich Hunger hatte, warum bist du in der Partei?“, fragen sie mit sicherem Gespür den Sohn reicher Leute, in dem sie von Anbeginn den Attentäter wittern. Nie war mir bisher klar, dass Sartres Stücke Witz haben. Witz und noch etwas: Eros. Das Begehren durchzieht die Beziehungen aller Beteiligten wie mit einem geheimen, aber deutlich sichtbaren Gift, das süchtig macht. Begehren sorgt für Unvorhersehbares, für etwas, wo man für sich selbst nicht mehr garantieren kann, auch das, ein verunsicherndes Moment, das den Menschen herausfordert.
Seinem Leben einen Sinn geben
Das Ensemble bekommt es hin, dies zu zeigen, ohne sexistisch zu werden. Hier ist Ullrich Matthes als Hoederer genial, ein Meister blitzender Blicke, schon in der Art, wie er durch die tanzenden Wände, in die sich die Mauer verwandelt hat, eintritt, spürt man sein sehnsüchtiges, durch zu viel und zu intensives Arbeiten für die Partei unterdrücktes Begehren. In der Art, wie er Jessica ansieht, ganz ohne Aufdringlichkeit, aber doch mit Entschiedenheit, und wie sie das Ganze dann schürt, da sie ahnt, dass er es nur ihr zuliebe hinkriegen kann, seinen Auftrag, das ist alles sehr gut beobachtet und mit großer Ausdruckskraft gespielt.
Kritik am Dogmatismus und an Opportunismus
Keineswegs ist das Stück antikommunistisch, wie es bürgerliche Interpreten immer so oft falsch verstanden haben, wie Sartre im Programmheft zitiert wird, es geht um Kritik am Opportunismus und Dogmatismus, klar, es geht aber vor allem um den Grundgedanken existentialistischer Philosophie, an die man sich in Krisenzeiten durchaus wieder einmal erinnern sollte.
Der Tod, den er verschuldet hatte, war umsonst
Einstmals hat sich davon eine ganze Generation angesprochen gefühlt, seinem Leben aus eigener Entscheidung einen Sinn geben, wider alle Gegebenheiten, und wie man daran wachsen oder scheitern kann. Die Hauptperson ist gescheitert, der Tod, den sie verschuldet und verantwortet hat, war umsonst, in der Erkenntnis dieser Tragik ist er selbst aber gewachsen. Dem Zuschauer bleibt als Frage, wo die heutigen Verantwortlichkeiten liegen, an denen er wachsen und scheitern kann. Mit Sartre kommt nicht nur differenzierteste Gesellschaftskritik auf die Bühne, wobei er nie nur die sozusagen äußerlichen anderen, immer auch die innersten und eigenen Strukturen mit besonderer Schärfe kritisiert, sondern auch immer die Frage, was tust du, was tust du nicht und wie bewährst du dich in der Zeit, die dir gegeben ist? Bravo an Jette Steckel (Regie) und das ganze Team, Sartre müsste viel öfter gespielt werden. Erfüllt er doch das Kriterium für politisches Theater ganz und gar: Das der Zuschauer sich nicht identifiziert und kurzzeitig mitleidend in die Rolle abtaucht, die mit seinem Leben nichts zu tun hat, sondern, dass er durch das Spiel seinen Alltag nun anders, quasi fremd, ansieht, und nun sich selbst fordernd fragt: Was tue, was verantworte ich? Genügt es?
Weitere Vorstellungen im DT: Noch im Repertoire