Die Vaterlosen – Berlinale-Rezension

Marie kreuzerMarie Kreutzers Geschwisterdrama “Die Vaterlosen” feiert am 13.2.11. in der Panorama-Reihe der 61. Berlinale (10. bis 20. Februar) seine Uraufführung. Das Spielfilmdebüt der Grazerin hat viele schöne Bilder und gestaltet Probleme, die zwischen Kindern und Eltern manchmal entstehen können.

Als „vaterlos“ wird in Mitscherlichs Buch „Die Unfähigkeit zu trauern“ die Generation aus den 40er Jahren bezeichnet, die in der Kindheit den Müttern die Väter ersetzen musste, weil die in einem wahnsinnig normalen Krieg zu Mördern gemacht, von Granaten getroffen oder erschossen wurden. Manche kamen bis zu zehn Jahre nach Kriegsende zur Tür herein, da war den Kindern die Unterstützung der Mutter schon zum Beruf geworden; und diese Väter, zerlumpte und halbsadistisch-traumatisierte Gestalten, verlangten nun von jenen Gehorsam. Logisch, dass es die damals Vaterlosen aus dem Haus drängte, weg, in neue Zeiten, neue Beziehungsmodelle, neue Ideen. Sie trugen schwer an den Millionen unschuldigen Toten und Mißhandelten, die ihnen vor den  inneren Augen tanzten. Wie man es besser machen könne, mit weniger Toten und weniger Schuld, das war die ständig sie umtreibende Frage. Von den Nachkommen dieser Generation handelt dieser Film, in Wiederaufnahme des älteren Begriffs werden auch diese als vaterlos bezeichnet, allerdings aus anderen Gründen.

Ein Bus voller singender Kinder

Erste Einstellung: ein Bus voller singender Kinder, farbenfroher Sommer, ein riesiger gedeckter Tisch in einer schönen Küche, Gemeinschaftsidylle mit viel Natur und vielen frei sich gebenden Menschen, Abblendung, Nacht, Autofahrt: Ein Sohn besucht seinen im Bett liegenden, sterbenden Vater in einem abgelegenen alten Haus. Die Kommunikation kommt nur schleppend in Gang, der Vater wollte sich nicht behandeln lassen, der Sohn sagt nichts dazu, der Vater fragt ihn, ob er ein guter Arzt sei, da sagt der Sohn, er glaube es, da antwortet der Vater, er glaube es nicht. Der Sohn wolle es nur jedem Recht machen, sei zu anpasslerisch um gut zu sein. Nach diesen vernichtenden Worten stirbt der Vater, herein stürzen ein weiterer Sohn, eine jüngere Tochter, die Frau, der andere Sohn ist langhaarig und bricht sofort in Tränen aus, der Arztsohn bleibt beherrscht. Am nächsten Morgen kommt noch ein Auto und bringt eine junge Frau, die ebenfalls zu spät kommt, sie fragt, warum man sie überhaupt erst geholt habe und macht der Mutter Vorwürfe, warum es nicht schon früher geschehen war. Die anderen verhalten sich seltsam, als sie hereintritt, die jüngste Tochter fragt: „Was, ich habe eine Schwester?“

Erinnerungen klären auf

Dazwischen Erinnerungsfetzen, die wohl im Laufe der Zeit die Erklärungen liefern werden. Die Erinnerungen entstehen jetzt in der jungen Frau, beim Blick über die Wiesen, sie sieht spielende Kinder, aber auch, wie an ihr gezerrt wird, sie soll irgendwohin mitkommen und will nicht. Sie sieht ihren Vater, in den Erinnerungen ein betont unkonventioneller mittelalter Mann mit Zopf, scheinbar das ungekrönte Oberhaupt einer riesigen bunten Familie. Man sieht ihn am Tisch, von mehreren Frauen umschwärmt sitzen, er strahlt Autorität aus, ohne autoritär zu sein, im Gegenteil, er wirkt gleichsam sanft und kühl, da ihm das Haus gehört, scheint es aber Spannungen zu geben. Die anderen kommen, scheints, nicht aus dem Knick, engagieren sich nicht so stark.

Andrea Wenzl spielt sehr sensibel und schön

In der Jetztzeit spielt die letztzuspätgekommene Tochter nun die tragende Rolle, sie macht das gut, spielt sehr sensibel und schön. Sehr selbstbewusst und kämpferisch, nachdenklich und einfühlsam gestaltet sie ihre Figur durchaus glaubwürdig. Wären nicht die vielen Klischees, die den Film zu sehr vorhersehbar machen. Eine alte Schuld lastet auf ihr, sie spricht von 20 Jahren, die sie dem Vater Briefe schrieb, vergeblich. Was war passiert? Die Erinnerungen beim Blick auf die Wiesen und den See zeigen Bilder, wo sie ein Baby auf dem Arm trägt, danach hört man beim Kaffeetrinken, dass die jüngste Tochter ein gesundheitliches Problem habe, dass durch Sauerstoffmangel hervorgerufen wurde. Nun ist leider alles schon fast klar und der Zuschauer langweilt sich.

Empfindsamkeit erhalten geblieben

Die Botschaft des Films lautet: Auch die 68iger-Generation hat ihre Kinder leiden gemacht, aber das wussten wir schon. Das Besondere: Die Kinder haben ihre Eltern, sich gegenseitig und auch das gemeinsame Leben auf dem Land mit vielen Menschen damals durchaus geliebt, das war bei der Vorgängergeneration weniger der Fall gewesen, durch Prügeln und harte Strafen war ihnen meist die gesamte Liebe und „Empfindsamkeit ausgetrieben“ worden (Vesper in „Die Reise, Thomas Bernhard in „Ein Kind“). Diese Ursachenkonstellationen sind hier leider nicht mal andeutungsweise im Blick. Im Weiteren entrollt sich der Konflikthintergrund für das unselige Vater-Tochter-Verhältnis, was allerdings recht unspektakulär bleibt und in dessen Verlauf sich der Spannungsbogen kaum hebt. Wäre nicht die großartige Schauspielerin Andrea Wenzel, die die Kyra gibt, die ihre Trauer in Kraft umgewandelt hat und der ebenfalls sehr gut gegebene Vater Johannes, Andreas Krisch, so wäre der Film kaum zu empfehlen, so aber hat man doch das Erlebnis einiger guter emotionaler Erkenntnisse und es stellt sich auch eine gewisse Tiefenwirkung ein, die einen noch eine Zeitlang beschäftigt, doch dass ein Kommuneleben schlecht für Kinder ist, lässt sich nicht ableiten, allenfalls, dass diese bei Trennungen der Kommune die gleichen Probleme bekommen, als wenn sich Kleinfamilien-Elternpaare trennen, doch immerhin haben sie dann Geschwister, die gar nicht blutsverwandt sind und die man am Ende ins Auto einladen und mitnehmen kann, in ein neues Leben. Kann man sich durchaus anschauen, enthält viele schöne Bilder und berührende Szenen und ist durchaus dem Kleinfamilienhorror vorzuziehen.

Besetzung: Andreas Kiendl (Vito), Andrea Wenzl (Kyra), Emily Cox (Mizzi), Philipp Hochmair (Niki), Marion Mitterhammer (Anna), Sami Loris (Miguel), Pia Hierzegger (Sophie) und Johannes Krisch (Hans), Produzent: Franz Novotny, Alexander Glehr, Ursula Wohlschlage.

Berlinale-Termine:

13.2. 18 Uhr, Friedrichstadtpalast

14.2. 13 Uhr, CinemaxX7

15.2. 14.30 Uhr Cubix 9

15.2. 21.30, Union Filmtheater

18.2. 17 Uhr, Cubix 9

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert