Die Weise von Liebe und Tod in der Neuköllner Oper (Viktor Ullmann) – Rezension
Der Komponist Viktor Ullmann, von den Nazis aufgrund seiner Wurzeln blutmäßig zum Juden und für vogelfrei erklärt, nach Theresienstadt verschleppt, in Auschwitz feige ermordet, komponierte mit ungebrochener Kreativität gegen das Böse an. Sein in Theresienstadt, kurz vor seiner Deportation nach und Ermordung in Auschwitz geschriebenes und dort sogar aufgeführtes Musikstück: Cornet Rilke, ist vordergründig ein Rilke´sches Heldenepos über einen tapferen Fahnenträger, der in den Krieg zieht, wird durch die Musik (neu gefasst von Malte Giesen und Fabian Gerhardt) gegensteuernd, auf überaus geschickte Weise aber zu einem Antikriegsstück.
Dieses hatte nun seine Uraufführung am 14. September 2018 in der Neuköllner Oper in Berlin
Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke mit dem Titel “Der Cornet”, entstand als kurze leidenschaftliche Erzählung von Rainer Maria Rilke (1875–1926) innerhalb einer Nacht im Jahr 1899 in der „Villa Waldfrieden“ in Berlin Schmargendorf. Später wurde sie in der Inselbücherei veröffentlicht und in der Vorkriegsstimmung der Kriegshetze zum Bestseller.
Liebesnacht im Turmzimmer
Der 18-jährige Adelige Christoph Rilke, ein Onkel des Autors, reitet mit anderen Soldaten um 1664 nach Ungarn, um gegen die dort eingefallenen Türken zu kämpfen. Ein französischer Marquis wird ihm dabei zum Freund. Von einer Rose, die der Marquis von seiner Geliebten erhalten hat, schenkt er von Langenau beim Abschied ein Rosenblatt, das ihn beschützen soll. Später wird er zum Fahnenträger ernannt. Daher der Name: Cornet. Seiner Mutter schreibt er daraufhin stolz einen Brief, den er neben dem Rosenblatt verwahrt. Eine Übernachtung des Soldaten in einem Schloss wird zu einer Liebesnacht mit einer Gräfin, in einem abseits gelegenen Turmzimmer.
Zwischen Heldentod und Verlust
Das Schloss wird in dieser Nacht von den Türken angegriffen und in Brand gesteckt. Um die Fahne zu retten und zu seiner bereits aufgebrochenen Truppe zu gelangen, verlässt er seine Geliebte, läuft durch die brennenden Gemäuer, reitet aus dem Schloss und stirbt waffenlos unter 16 Säbelhieben der Feinde. Schon die Erzählung schwankt zwischen Glorifizierung des Heldentodes und der Trauer um den Verlust des Lebens, der Sinnlosigkeit jugendlichen Sterbens. Viktor Ullmanns Musik verstärkt diese Wirkung noch. Im Vordergrund stehen Trauer und Verlust.
Fahne des Lebens gegen den Tod
Die Fahnenepisode wirkt in Ullmanns Musik methaphorisch: Welche Fahne wird da hochgehalten, waffenlos und durchs Feuer gehend, weg aus dem noch warmen Liebesbett? Es ist die Fahne des Lebens, die gegen das Böse steht? Die Zuhörer aus Theresienstadt, die es bei der ersten Aufführung dort hörten, begriffen das. Die Nazis hörten nur das Heldenepos. Den Cornet von Rilke (200 000 Auflage) trugen die Soldaten 1914-18 in ihrem Tornister, er galt als beliebtestes Buch unter Soldaten. Die letzte Komposition kurz vor Ullmanns eigenem Tod ist im tieferen Sinne seine eigene Geschichte: Liebe und den Triumph der Waffenlosigkeit durch die Flammen des Todes tragen. In Theresienstadt, der Stadt des tausendfachen Todes wurde das verstanden. Mit einer Musik, die nicht nach Angst, sondern nach Triumph des Geistes und des unbeschirmten Lebens klingt. Die erschreckt, aufwühlt und trotzdem tröstet. Hier sagt einer NEIN, wir werden uns nicht der Gewalt beugen. Es ist Ullmanns letzte Komposition, bevor die Nazis ihn nach Auschwitz deportieren und ermorden.
Vervollständigt und fortgeschrieben
Ullmann vertonte damals nur Auszüge, die Neuköllner Oper bringt nun erstmals den vollständigen Text. Die neuen, unvertonten Passagen werden von Malte Giesen sehr passend und kontakarrierend, in eine wie abstrakt wirkende elektronisch schwingende Sphärenmusik der Ullmann-Musik sozusagen an die Seite und gleichzeitig gegenüber gestellt. Sie klingen passend und modern. Der mehrfach preisgekrönte Komponist (u. a. 1. Preis Deutscher Musikwettbewerb Komposition, 2012 Preisträger des Meisterkurses Orchesterkomposition des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart) hat sich einen Namen durch seine Arbeiten im Bereich elektroakustischer Musik gemacht. Die Neuköllner Oper hat nach eigenen Worten das Werk Ullmanns “zugleich »vollständig« gezeigt und durch zeitgenössische Mittel »fortgeschrieben«”. In einem auf engster weißer Bühne, ins Turmzimmer verlagerter Bauhaus-Bühne, spielen zwei Musiker, Klavier und Elektronik, eine Sängerin, ein Sänger, neben- und übereinander, vielleicht die Enge des Getthos symbolisierend?
Knüpft an zeitige Ullmann-Rezeption an
In der Neuköllner Oper knüpft an eine schon sehr zeitige Ullmann-Rezeption an: Sie hat sich schon seit 1989 künstlerisch mit dem Komponisten Viktor Ullmann beschäftigt: Sowohl 1989 als auch 2000 wurde: Der Kaiser von Atlantis durch den NKO-Gründer Winfried Radeke mit großem Erfolg gespielt. Der Komponist Fabian Gerhardt (erweiterte Fassung und Regie), vorher Staatsschauspiel Dresden, DT Berlin, Schauspiel Frankfurt und Schauspielhaus Bochum, hat an der Neuköllner Oper schon mit Iris von Pietro Mascagni und Affe, einem Stück mit den Songs von Peter Fox’ Album Stadtaffe Großartiges abgeliefert. Seine Musik ist engagiert, nicht beliebig. Weitere: Hrund Ósk Árnadóttir, Dennis Herrmann, Malte Giesen (Live-Sounds) und Markus Syperek (Klavier)