“Funk is not dead” im Ballhaus Naunynstraße – Rezension – Theater der zweiten und dritten Generation Deutschländer
jw 15.1.11/Feuilleton
Deutschländer nennt man in der Türkei jene, die durch einen langen Aufenthalt in Deutschland die Sprache, die Gewohnheiten, die Eigenarten und Bewegungen ihres Gastlandes so stark übernommen haben, daß sie in der Türkei wie Ausländer wirken. Was nichts daran ändert, daß dieselben Personen bei uns, trotz aller Angepaßtheit, immer noch als Ausländer gelten. Über Deutschländer macht man sich in der Türkei lustig, da diese, wenn die Ampel auf Rot schaltet, brav stehenbleiben und Menschen beim Reden nicht ins Wort fallen. Deutschländer fühlen sich in beiden Ländern fremd. Nicht aber ihre Kinder, denn diesen bleiben allenfalls der türkische Name, die Familie und vielleicht eine Vorliebe für Sigara Börek, ansonsten fühlen sie sich deutsch. Sie reden deutsch, denken deutsch, essen und trinken deutsch, nehmen am deutschen Bildungswesen teil, werden Ärzte, Berufspolitiker oder Schauspieler. An ihre Herkunft erinnert werden sie allenfalls von Deutschen, die sie aufgrund ihres fremdländischen Namens mit der Frage behelligen, wo sie denn herkämen und mit dem Lob versehen, daß sie wirklich ganz phantastisch gut deutsch sprächen.
Wer kann das schon wissen
Die »Migrationsdebatte« ist entbrannt und Sarrazin feiert seine Triumphe bei den vor Wut brodelnden deutschen Unter- und den abgesunkenen Mittelschichten. Allerdings kamen die, gegen die sich aller Unmut richtet, schon seit Jahrhunderten aus anderen Ländern, weil reiche Staaten seit Urzeiten unterlegene Länder ausplündern und sich dann deren Arbeitskräfte im Niedriglohnsektor einverleiben, doch wer kann das schon wissen, wenn man ihm stetig die Bildung verteuert.
Eine neue Generation will allgemeine Probleme auf die Bühne bringen
Mit den Nachkommen der Deutschländer ist nun eine neue Generation herangewachsen und meldet sich zu Wort. Sie will kein türkisch-deutsches, sondern deutsches Theater machen, sie will sich nicht den Migrantenstatus geben, noch ihm beugen, sie will allgemeine Probleme und keine der Migration schildern, sie will sich nicht in eine Geschlossenheit integrieren, sondern mit der je eigenen Geschichte akzeptiert werden.
Es gelang den Nerv der Zeit zu treffen
Kurzum, die Fans, Mitspieler und Freunde der Fatih-Akin-Filme machen Theaterstücke und haben dafür eine Bühne gefunden: Das Ballhaus Naunynstraße in Kreuzberg, seit 2008 Zentrum der dritten Kreuzberger Kulturgeneration. Bereits im vergangenen September war darüber zu lesen, als dort das Stück »Verrücktes Blut« gegeben wurde, in dem es um die Schul-, Bildungs- und Migrationsdebatte ging. Der Kreuzberger Bühne gelang es hier, in einmaliger Weise den Nerv der Zeit und ihrer Generation in Kreuzberg zu treffen.
Die alltäglichen Demütigungen des Integrationsrassismus
Seit dem 12. Januar ist dort nun das Stück »Funk is not dead« von Idil Üner und Tuncay Kulaoglu, nach dem Film von Koki Mitani »Radio no Jikan«zu sehen. Es beleuchtet zur Abwechslung mal nicht das Leben, wie es das Publikum kennt, sondern den Kulturbetrieb selbst, es schaut nicht dem Mittel- oder Unterschichtler in sein möbliert-zerrüttetes Privatleben, sondern blickt hinter die Kulissen einer neuzeitlich multikulturellen Kulturproduktion, enthüllt etwas von den Kunstschaffenden da vorn, die sie selbst sind, entblößt deren Schwächen, Verlogenheiten und Routinehandlungen. Gleichzeitig verrät es auch etwas über die kleinen alltäglichen Demütigungen des Integrationsrassismus. Sehr erhellend. So hat man das noch nicht gesehen. Und dabei wird gleichzeitig ironisierend die Migrantenkultur aufs Korn genommen, ein neuzeitliches Berliner Gleichnis.
Der grauhaarige Althippyproduzent
Das Stück beginnt unmittelbar, sechs Personen stehen mitten auf der Bühne, im Technikraum einer Hörspielproduktion, im Hintergrund die schalldicht abgeschottete Sprechkabine, darin die beiden Hauptdarsteller, Deniz Temkinli (Aylin Esener) und Ismail Ölmez (Muri Seven) sowie der Erzähler Laurens Walter. Im Vordergrund ein langhaariger Regisseur am Schaltpult, etwas rockermäßig gestylt, in schwarzer Lederkluft (Tim Seyfi), und der grauhaarige Althippieproduzent Klaus Hartmann (Mehmet Yilmaz), der um die Gewinnerin eines Multikultihörspielwettbewerbs herumscharwenzelt (Melek Erenay).
Gewalt muss rein
Zunächst trieft nur der Kitsch aus den ersten Sekunden der Aufnahme, dann beginnt das Spiel über das Spiel, die Hauptdarstellerin ist eine Händel’sche Diva, kalt, hysterisch und egoman. Alle haben etwas anderes im Kopf als das Stück der armen Gewinnerin, und folglich wird dessen Inhalt dann auch durch eine Laune des Erzählers dem angeblichen Publikumsgeschmack »angepaßt«: Gewalt muß rein, ein Ehrenmord, der Autorin wird schwindlig.
“Ich will eine Agentenrolle!”
Modernes Kulturmanagement im Multikultibereich ist oftmals verlogen und atmet Sarrazin ein und aus, dabei kommt es auf die kleinen feinen Zwischentöne an, die hier wunderbar genau getroffen sind. Der in seiner Rolle schließlich auf einen einzigen Satz zusammengekürzte Ismail Ölmez, dem eine Karriere in Hollywood schon zum Greifen nah schien, verdreht das Stück, so wie es ihm paßt (»Ich will eine Agentenrolle!«). Vom Text der Autorin bleibt nur noch das Happy-End.
Warum das Stück »Funk is not dead« heißt, hat sich mir zwar nicht erschlossen, dafür habe ich mich köstlich amüsiert und ein lustiges Ensemble kennengelernt, das mit diesem Stück gezeigt hat, daß es vor Selbstironisierung nicht zurückschreckt. Unbedingt empfehlenswert.
»Funk is not dead«, weitere Aufführungen am 15., 16., 20. bis 23. Januar, jeweils 20 Uhr, Karten unter 030/75453725