Krieg, stell dir vor, er wäre hier – Neue Bühne Senftenberg – Rezension
Seit Kurzem ist das kleine schmale Büchlein der dänischen Autorin Janne Teller, in dem sie einen Ortstausch vornimmt und die im Irak, in Afghanistan und Syrien herrschenden Kriege nach Deutschland verlegt, auf der Bühne zu sehen. In der Neuen Bühne Senftenberg wurde es jetzt als „Klassenzimmerproduktion“ konzipiert. Als Reaktion auf die starken Anfeindungen, die in Senftenberg und Umgebung den Flüchtlingsaufnahmen entgegengebracht werden, vorverlegte das Theater diese Produktion in die aktuelle Spielzeit und will damit demnächst in Schulen touren.
Beginnen das Stück wie eine Unterhaltung
Die Bühne ist dabei nichts als ein Klassenzimmer, ein heller Raum mit hintereinander gestellten Zweiertischen fürs Publikum. Die zwei Spieler ( Hanka Mark und Friedrich Rößiger) kommen herein wie zwei Zuspätkommende, begrüßen die Zuschauer wie Klassenkameraden, setzen sich vorn auf einen leer geblieben Tisch und beginnen das Stück wie eine Unterhaltung. Es dauert exakt eine Dreiviertelstunde und klärt über sämtliche Probleme der deutschen Ausländer- und Asylantengesetzgebung auf.
Was-wäre-wenn-Spiel
Die beiden stellen 14-16-Jährige dar, das wird gleich klargemacht, denn sie sagen ihre Klarnamen und dass sie jetzt etwas spielen wollen. Die Jugendlichen, die zwischen Kindheit und Jugend schwanken, denken die sich Möglichkeiten aus. Was-wäre-wenn-Spiele. Stell dir vor du bist… „Stell dir vor, du wachst auf und stehst auf der Zinne eines Hausdaches…?“ Daraus entwickelt sich eine Umkehrgeschichte, in der ein fiktiver Krieg hierzulande angenommen wird und die ersehnten Flüchtlingsparadiese befinden sich in Ägypten, Syrien, Afghanistan, die als stabile reiche Staaten angenommen werden.
Ein etwas zu plötzlicher Umschwung
Während Hanka Mark dabei den Ton und Habitus einer 16-Jährigen zunächst sehr gut trifft, wirft Friedrich Rößiger leider sehr schnell seine schüchtern-tapsige Jungen-Jugendlichkeit ab und avanciert zum ernsten Charakter. Das kommt überraschend und gerät dadurch in die Gefahr, dass die Jugendlichen als Zuschauer möglicherweise nicht mehr so gut mitgehen können. Leider wird dieser Effekt noch verstärkt durch den viel zu plötzlichen Umschwung in die ernste Ebene. Hier wäre durch Kleinigkeiten, schlägt eine Zuschauerin in der nachfolgenden Diskussion vor, vielleicht noch etwas zu ändern, die Schauspieler könnten noch mehrmals wieder in die Anfangsstimmung zurückkommen, vielleicht durch eingefügte Fragen auf der Ursprungsebene, wie: „Häh, wie das, was soll das denn jetzt, Mann?!“ Dann bekäme die nicht einfache Vorstellung eines echten Krieges in unserer heimischen Welt eine Spur weniger moralischen Zeigefinger. Den gilt es nämlich absolut zu vermeiden, will man bei Jugendlichen Erfolg haben. Diese Stelle ist in der Tat die Sensibelste des ganzen Stückes. Ab da wird die Umkehrsituation gut gemeistert.
Wie sich das Leben verändert
Ohne jede Requisite, ohne Videobilder zerstörter Städte, ohne auch nur die kleinste Kleinigkeit hilfreichen Materials, wird das Publikum auf den Weg der reinen Phantasie geschickt. Die Botschaft lautet: Das kann aufgenommen werden, das können zwei andere einer Klasse auch vorspielen. Macht es nach! Eine gute Anregung: Denkt euch die Umkehrsituation: Ihr wäret diejenigen, deren Land in einen Krieg verstrickt wäre. Ihr wäret diejenigen, die verfolgt und um Asyl betteln müsstet, ihr wäret diejenigen, die nie mehr den versäumten Gymnasialabschluss nachholen könntet usw. Der Inhalt des Buches wird Wort für Wort nachgesprochen.Erschreckend deutlich wird, wie sehr sich das Leben verändert, gerät man in einen Krieg.
Keine Überzeugung über den Apell an die Hilfsbereitschaft, nur das Interesse des Einzelnen wird angesprochen: Gesetzt den Fall Du wärst betroffen!
Ich wäre dafür, dies als Workshop zu konzipieren, zum Nachspielen für Schüler in einem Klassenzimmer. Mal sehen, was denen dazu einfällt. Die im Anschluss an der Diskussion teilnehmenden Gäste, darunter einige Lehrer, waren skeptisch, ab welcher Altersgruppe man Schülern diesen Stoff „zumuten“ könne. Sie plädierten für umfangreiche Vor- und Nachbereitung, „erst ab 10. Klasse“, war die einhellige Meinung. Der Stoff will eigentlich etwas anderes: Er will berühren darüber, dass er nur das Interesse des Einzelnen anspricht. Mit Absicht soll nur das Ego des Schülers erreicht werden. Keine Hilfsappelle an diejenigen, die sich selbst betrogen fühlen, (Aussage einer Lehrerin: 50 % Harz IV-Empfänger in jeder Klasse), keine rührseligen Geschichte von den armen Flüchtlingen, denen man Spielsachen spenden soll, das alles nicht. Stattdessen: Deine Schwester: Bein gebrochen, deine Mutter: Lungenentzündung, dein Vater: Verschwunden, steckbrieflich gesucht, dein Bruder: Beim Widerstand, deine Großmutter: Ermordet. Ihr selbst: Leben im Keller bei Minusgraden, später im Fluchtland: Kuchenverkauf, unterste Gesellschaftsschicht. („Du gewöhnst dich daran Kuchen zu verkaufen…, daran, dass du ein Mensch dritter Klasse bist, daran gewöhnst du dich nie!“) Immer: Gesetzt den Fall Du wärst betroffen!
Passiert hier nie…kann gar nicht sein…
Umkehrgeschichten sind immer heikel, weil die Vorstellung der Zielgruppe nie nahtlos gelingt. „Passiert hier nie…kann gar nicht sein… bei uns doch nicht“ so könnten die Abwehrgedanken lauten und dann erreicht kein Spiel mehr den Kopf. Also kommt alles auf die Kunst an, es muss sehr authentisch gebracht werden, es darf nie die Ebene der Schüler verlassen, die Personen müssen dialektisch aufgebaut sein, sie müssen Widersprüche äußern, sich einmischen. Die Initiative des Senftenberger „Klassenzimmertheaters“ ist da ein guter Anfang, das muss aufgenommen werden. Von mutigen Lehrern und Schülern. Kreativ umgestaltet, abgewandelt, weitergedacht.
Kann hier gebucht werden!